Oppositionsführer Dietrich Wersich (CDU) über die Fehler des Senats und die Perspektiven seiner Partei, das Vertrauen der Wähler zurückzugewinnen.

Hamburg. Seit einem Jahr führt Dietrich Wersich die CDU-Fraktion in der Bürgerschaft. In Debatten glänzt der frühere Sozialsenator mit Sachkenntnis und Eloquenz - die CDU-Umfragewerte beflügelt das aber nicht. Dennoch dürfte der 47-Jährige heute als Fraktionschef bestätigt werden. Im Interview zieht er Bilanz.

Abendblatt: Herr Wersich, ein Jahr nach der Wahl würden Umfragen zufolge 52 Prozent der Hamburger die SPD wählen. Die Zustimmung zum Senat ist noch größer geworden, während die zur CDU bei gut 20 Prozent verharrt. Macht Bürgermeister Olaf Scholz alles richtig?
Dietrich Wersich: Mit Sicherheit nicht, aber er hat noch einen Vertrauensvorschuss, das ist normal. Im Übrigen gilt das Wahlergebnis für vier Jahre, egal, wie Umfragen zwischendurch sind. Für diese Zeit haben uns die Wähler die Oppositionsrolle zugewiesen.

Nennen Sie uns drei Punkte, die Scholz aus Ihrer Sicht nicht richtig macht.
Wersich: Erstens: Hamburgs Haushalt . Schon vor der Wahl hat Scholz teure Versprechen gemacht, ohne abzuwägen, ob das Geld überhaupt da ist und ob es klug angelegt ist. Er will zum Beispiel mit jährlich fast 40 Millionen Euro Steuergeld die Studiengebühren ersetzen, anstatt die Qualität der Hochschulen zu verbessern. Und es schadet der Stadt, dass der Senat noch acht Jahre neue Schulden machen will. Zweitens hat er viele Angebote für das soziale Miteinander in den Stadtteilen zerstört, als die Kürzung der Ein-Euro-Jobs durchgesetzt wurde. Drittens: Mit über 500 Millionen Euro neuer Kredite verstaatlicht der Senat Strom- und Gasleitungen. Zusammen mit den Anteilen für Hapag-Lloyd will Scholz innerhalb weniger Wochen fast eine Milliarde Euro ausgeben, um Unternehmer zu spielen - auf der anderen Seite schließt er das Kundenzentrum für die Bürger in Stellingen, weil dafür das Geld fehlt.

Wie erklären Sie sich die Diskrepanz zwischen Ihrer kritischen Wahrnehmung und der Sicht der Bürger, die mehrheitlich zufrieden sind mit dem Senat?
Wersich: Ist es nicht normal, dass die meisten Menschen erst reagieren, wenn sie selbst von Entscheidungen betroffen sind? Das dicke Ende kommt noch, wenn klar wird, wie die Wahlgeschenke finanziert werden. Ganz aktuell kommt raus, dass Treffpunkte für Jugendliche geschlossen werden müssen, weil der Senat das Geld für kostenloses Mittagessen in den Kitas ausgegeben hat.

+++ Hapag-Lloyd-Anteile sollen schnell weiterverkauft werden +++

+++ Hamburg mit 1,2 Milliarden Euro erstmals im Minus +++

Damit, dass es Proteste bei Kürzungen staatlicher Leistungen gibt, kennen Sie sich aus Ihrer Senatszeit ja gut aus.
Wersich: Ja, wir hatten aber auch den Mut zu entscheiden, wo Kürzungen unvermeidlich sind. Immerhin musste Hamburg damals durch die Krise mit 1,5 Milliarden Euro weniger Steuern rechnen. Jetzt gibt der Senat das Geld mit vollen Händen aus, hat aber leider nicht die Ehrlichkeit zu sagen, wo dafür gekürzt wird. Ich kritisiere, dass Scholz die Leute lieber im Unklaren über die Konsequenzen seiner Wohltaten lässt.

Hätte er Versprechen nicht eingehalten, würden Sie ihm das auch vorwerfen.
Wersich: Olaf Scholz hat versprochen, neue Ausgaben durch Verzicht an anderer Stelle zu finanzieren. Das hat er nicht getan. Und am Ende sind Wahlversprechen nicht wichtiger als das, was der Stadt wirklich dient. Ich halte es für eine falsche Priorität, dass der Senat das Kita-Mittagessen verschenkt. Oder die Pläne, 2014 kurz vor der nächsten Wahl die Kitas billiger zu machen, obwohl schon alle Kinder hingehen. Wen will man also

Stichwort Hapag-Lloyd. Was hätten Sie anders gemacht als der Senat?
Wersich: Zunächst weiß keiner, warum Scholz dem Parlament diesen immensen Zeitdruck auferlegt. Bei einer so weitreichenden und riskanten finanziellen Entscheidung braucht die Bürgerschaft mehr als vier Wochen Zeit für die Beratung. Erst von September an hätte TUI die Möglichkeit, die Anteile an andere zu verkaufen. Wir fragen aber auch, ob es jetzt überhaupt einen anderen Investor gäbe, der mehr als eine Milliarde Euro für eine Reederei ausgibt, die derzeit null Gewinn abwirft.

Ist also die Reederei, in die schon der CDU/GAL-Senat massiv investiert hatte, nicht besonders attraktiv?
Wersich: Es ist wie beim Hauskauf: Wenn Sie einen überhöhten Preis zahlen, heißt es ja nicht, dass das Haus schlecht ist. Aber Sie sind dumm, wenn Sie zu teuer kaufen.

Mit Frank Horch ist ein früherer Handelskammer-Präses Wirtschaftssenator. Mit dem Reeder Erck Rickmers sitzt ein bekannter Unternehmer für die SPD in der Bürgerschaft. Ist der Union die Wirtschaftskompetenz verloren gegangen?
Wersich: Ich höre immer wieder, dass vor der letzten Wahl die Kommunikation zwischen dem damaligen Senat und Teilen der Wirtschaft spürbar gestört war. Trotzdem sagen die Unternehmen, dass das erfolgreiche CDU-Konzept der Wachsenden Stadt mit der Bildung von Schwerpunkten, sogenannten Clustern, Hamburg stark gemacht hat. Die ausgesprochen gute wirtschaftliche Entwicklung in den vergangenen zehn Jahren wird auch heute noch als Erfolg der CDU betrachtet. Für uns ist Wirtschaft ein Schlüsselthema, daran hängt Wohlstand und Zukunft der Stadt. Nur weil Herr Horch Wirtschaftssenator ist, wird aus der SPD noch keine wirtschaftsfreundliche Partei.

Ole von Beust hat immer gesagt, die CDU sei die wahre Partei der kleinen Leute, um der SPD eins auszuwischen. Gilt das für Sie auch?
Wersich: In jedem Fall. Wir stehen als CDU für Zukunft und Fortschritt, aber eben auch für Hamburg als Heimat. Ich finde es wichtig, dass sich die Menschen in der Stadt wohlfühlen, dass es innere und soziale Sicherheit gibt. Das ist für uns alle extrem wichtig.

Wie beurteilen Sie die innere Sicherheit in Hamburg?
Wersich: Es ist im Moment noch kein Aufregerthema. Aber es ist Fakt, dass die Zahl der Autobrände 2011 um 88 Prozent gegenüber 2010 gestiegen ist. Die Videoüberwachung wurde reduziert und die Situation am Hauptbahnhof, Stichwort Alkoholszene, verschlechtert sich wieder. Die Verwahrlosung der Stadt ist ein Thema, das die Leute umtreibt. Wir wollen die Möglichkeit, ein Alkoholverbot auf bestimmten Plätzen durchzusetzen. Rauchen und Alkohol gehört übrigens auch nicht auf Kinderspielplätze.

Kann es sein, dass die CDU ihre Kompetenz in den Bereich Wirtschaft und innere Sicherheit in den Augen vieler Leute verloren hat?
Wersich: Glaube ich nicht. Dass die Arbeitslosigkeit in Hamburg auf dem niedrigsten Stand seit 20 Jahren ist, war das Ergebnis konkreter CDU-Politik. Das gilt auch für den Rückgang der Kriminalität um mehr als 20 Prozent.

Sie führen die ganze Zeit Argumente dafür an, dass die CDU in Umfragen bei 52 Prozent liegen müsste und die SPD bei 21 Prozent. Es ist aber umgekehrt. Sind die Menschen blind?
Wersich: Nein. Wir haben die Wahl verloren, weil wir kein gutes Erscheinungsbild mehr abgegeben haben. Die Mehrheit hat uns nicht mehr zugetraut, die erfolgreiche Politik fortzusetzen. Wir müssen auch als CDU wieder ordentlich wahrgenommen werden und Vertrauen zurückgewinnen.

"Ordentlich regieren" ist das Scholz-Mantra. Was verstehen Sie darunter?
Wersich: Das ist vor allem Marketing des Bürgermeisters. Sein Regierungsstil hat schon etwas Absolutistisches. Auf die Frage, wer bestimmt, was das Wohl der Stadt ist, würde er wohl sagen: Ich. Das ist das Gegenteil der Haltung von Ole von Beust: Er hat die Kreativität der Menschen in der Stadt zugelassen und freigesetzt und sich selbst nicht zum Maßstab aller Dinge gemacht. Das hat der Stadt gutgetan. Hamburg braucht einen offenen Stil, das verstehe ich unter ordentlichem Regieren.

Wie kann die CDU verloren gegangenes Vertrauen zurückgewinnen?
Wersich: Ich glaube, längerfristig geht es um zwei Dinge: Köpfe und Konzepte. Als Opposition müssen wir zunächst dem Senat kritisch auf die Finger schauen. Aber wir bringen auch Verbesserungsvorschläge ein. Und in drei Jahren werden wir den Hamburgern überzeugende Köpfe der CDU und Ideen für die Zukunft der Stadt präsentieren.

Wo hat die CDU wählbare Alternativen in der Landespolitik?
Wersich: Die Wahlen sind in drei Jahren, erst dann ziehen die Hamburger Bilanz. Für unsere Arbeit bis dahin brauchen wir daher Fleiß und Geduld.

Handelt Olaf Scholz clever?
Wersich: Ich glaube eher, dass Olaf Scholz sich seine Grube schon selber gegraben hat. Er hat sich mit seinen Versprechen und Entscheidungen viele zukünftige Probleme geschaffen. Das wird sich am Ende nicht als clever herausstellen.