Markus Schreiber war der schillerndste und bekannteste Hamburger Bezirksamtsleiter - auch weil seine forsche Art oft aneckte

Hamburg. "In Hamburg ist der Bezirksamtsleiter der Kopf des Bezirksamts. Dieses Amt wird öffentlich ausgeschrieben und ein(e) Kandidat(in) von der Bezirksversammlung gewählt. Dieser wird dann vom Senat für sechs Jahre eingesetzt." So weit die offizielle Stellenbeschreibung. Markus Schreiber war mehr als ein Verwaltungschef, er war zehn Jahre lang der omnipräsente "City-Bürgermeister", eine Art Schattensenator, der manch echtes Senatsmitglied an Bekanntheit übertraf.

Das hatte zwei Gründe: Mitte ist der schillerndste, aber auch sozial fragilste Hamburger Bezirk, ein Schmelztiegel aus Hafen, Kiez, Innenstadt und Rathaus. Es gibt kaum eine wichtige Geschichte, an der das Bezirksamt Mitte nicht beteiligt ist - das führt fast zwangsläufig die Prominenz des Amtsleiters mit sich.

Der zweite Grund liegt in der Persönlichkeit Markus Schreibers. Geboren 1960 in Winterhude als Sohn eines Pastors, später Lehrer (Fächer: Mathematik, Chemie und Erziehungswissenschaften) in Bahrenfeld und Altona, SPD-Mitglied und seit 2002 Bezirksamtsleiter, mischte er mit Verve in öffentlichen Diskussionen mit. Und nicht selten gab er selbstbewusst die politische Speerspitze, die den Senat pikte, auch und gerade, seit seine Partei diesen wieder stellt.

Prominentestes Beispiel war der Zaun gegen Obdachlose unter einer Brücke auf St. Pauli, den Schreiber im Herbst ohne Rücksprache mit dem Senat errichten ließ. Erst auf massiven Druck aus dem Rathaus ließ er das als Bollwerk der sozialen Kälte kritisierte Gitter wieder entfernen. Im Frühjahr hatte er den Senat mit der Ankündigung verärgert, den Bauwagenplatz Zomia in Wilhelmsburg räumen zu lassen. Auch da musste er zurückrudern. Manch einer hatte die Aktion als Retourkutsche bewertet, weil Schreiber bei der Vergabe der Senatsposten leer ausgegangen war. Dabei war seine öffentliche Bewerbung via Interview ("Sollte mich Olaf Scholz fragen, stünde ich bereit") schon das Ausschlusskriterium für den Job.

Wer derart forsch auftritt, zieht natürlich Pfeile auf sich - oder noch schwerere Geschütze. Mit Bestürzung nahm der Bezirksamtsleiter zur Kenntnis, dass im Zuge der Zaundebatte sogar sein privates Umfeld attackiert wurde. "Unerträglich" sei das für seine Familie gewesen, sagte Schreiber ungewöhnlich emotional. Ohnehin gibt es auch den anderen Markus Schreiber. Den anerkannten Verwaltungsfachmann, den leidenschaftlichen Fotografen, der Bücher über St. Pauli und Wilhelmsburg veröffentlicht hat, den zurückgezogen auf Finkenwerder lebenden Familienvater (seine Tochter ist 15 Jahre alt), der kürzlich im Abendblatt als seinen Wunsch für das Jahr 2030 formulierte, er sehe sich "auf der Dachterrasse einer Wohnung in der Hamburger Altstadt mit meiner Frau und meinen beiden Enkelkindern".

Auch für seinen vorerst letzten großen Auftritt wählte Schreiber sehr persönliche Worte. Bevor er um Punkt 14 Uhr im Rathaus seinen Rücktritt bekannt gab, schaute er kurz auf Bürgermeister Olaf Scholz neben sich. Soll ich jetzt wirklich?, schien er zu fragen. Scholz nickte nur kurz. Erst darauf nahm Schreiber seine Brille ab und verlas seine Erklärung - so unsicher hat man ihn selten gesehen. "Der entsetzliche Tod eines elfjährigen Mädchens unter den Augen meines Jugendamts, meines Bezirksamts, belastet mich so stark, dass ich nicht weiter Bezirksamtsleiter sein will", sagte der 51-Jährige. Hamburg-Mitte habe viele soziale Brennpunkte, tragische Fälle seien nie auszuschließen. "Morgens aufstehen zu müssen mit dem Gefühl, hoffentlich ist heute kein Kind in meiner Verantwortung gestorben, möchte ich nicht mehr." Er bedaure, dass seine lange Amtszeit so "tragisch" ende.

Drei Monate lang bekommt Schreiber noch sein Gehalt als Bezirksamtsleiter, danach stehen ihm bis Anfang 2014 (so lange ist er gewählt) noch 75 Prozent davon zu. Als möglich gilt, dass er künftig wieder als Lehrer arbeitet. Dass er innerhalb der Verwaltung auf einen höher dotierten Posten "befördert" wird, gilt als unwahrscheinlich.