Die Juristin und Managerin trat erst 2004 in die CDU ein und soll am 27. April als erste Muslimin zu einer deutschen Ministerin gewählt werden.

Hamburg. Es gibt Tage, die man ein Leben lang nicht vergisst. Der 1. Oktober 1986 war ein ganz besonderer Tag im Leben von Aygül Özkan, die damals noch Özer hieß: Die 15 Jahre alte Schülerin der 10b des Gymnasiums Allee in Altona stand auf der Bühne der Aula ihrer Schule. Sie - Tochter eines Schneiders, der mit seiner Frau in den 60er-Jahren aus der Türkei nach Hamburg gekommen war - spielte die Hauptrolle in dem Stück "Ein Baum blüht im November". Es ist die Geschichte einer mutigen Frau, die im Nationalsozialismus KZ-Gefangenen half und vielen das Leben rettete: Hiltgunt Zassenhaus, auch sie Schülerin des Gymnasiums Allee.

Was für eine Geschichte, was für eine Leistung: Das Mädchen mit Migrationshintergrund, wie es heute ebenso treffend wie umständlich heißt, bringt dem erlauchten Publikum - der Schulsenator ist da, der Bezirksamtsleiter auch - die beklemmende Seite der deutschen Geschichte nahe. Die Schule feiert sich, es ist das 110. Jubiläum, aber die Schule feiert auch die gelungene Integration am Beispiel der 15 Jahre alten Aygül.

Fast 24 Jahre sind seit jenem Abend in der Schulaula vergangen. In wenigen Tagen wird Aygül Özkan - Rechtsanwältin, erfolgreiche Unternehmerin, CDU-Politikerin - wieder eine Hauptrolle übernehmen: Sie wird Ministerin für Soziales, Gesundheit, Integration und Bau im Kabinett des niedersächsischen Ministerpräsidenten Christian Wulff (CDU). Aygül Özkan ist die erste deutsche Ministerin mit nicht deutschen Wurzeln.

"Die Aufgaben, die sie bekommt, meistert sie hervorragend", sagt ein Hamburger Parteifreund, der sie sehr gut kennt. Aber es heißt auch, dass sie sich nicht in den Vordergrund drängt. "Sie muss gefordert werden", sagt einer. Das ist ein sympathisches Profil: junge, politisch engagierte Frau, gut ausgebildet, die auf ihre Chancen warten kann. Und diese Chancen werden ihr reichlich geboten - gerade auch in der Politik.

Es ist eine Karriere im Eiltempo, nichts mit Ochsentour und muffigen, bis vor Kurzem auch noch verrauchten Hinterzimmern, in denen um Posten gekungelt wird: Diese Frau nimmt mit einem gewinnenden Lachen den direkten Weg. Aygül Özkan tritt 2004 in die CDU ein. Vorher hat sie sich im CDU-nahen Wirtschaftsrat engagiert. Sie macht die Wirtschaftspolitik zu ihrem Schwerpunkt. Natürlich wirkt sie auf viele wie eine Exotin in der auf der mittleren und unteren Ebene noch konservativ strukturierten Partei: eine junge selbstbewusste Frau aus einer türkischen Einwandererfamilie, die mit der deutschen Sprache geschliffener umgeht als manche ihrer Parteifreunde und überdies gläubige Muslimin ist. Schnell wird die Parteispitze auf sie aufmerksam.

Der damalige CDU-Chef Dirk Fischer platziert Özkan auf einem sicheren Listenplatz für die Bürgerschaftswahl 2008 - mit einer sogenannten wild card jenseits der Hierarchien der Kreis- und Ortsverbände, die eifersüchtig auf die Rangfolge achten. Im März 2008 sitzt sie zum ersten Mal in der Bürgerschaft, im Juni wird sie zur stellvertretenden Landesvorsitzenden der CDU gewählt. Sie zählt auf einen Schlag zur engen Führungsspitze der Regierungspartei. Um diese Stufe in einer Volkspartei zu erreichen, braucht es normalerweise 15, 20 Jahre eines Politikerlebens. Bei Aygül Özkan waren es vier.

In der Bürgerschaft übernimmt sie den Vorsitz des Wirtschaftsausschusses - auch das ist ungewöhnlich für einen Parlaments-Neuling. Sie meistert diese Aufgabe souverän, aber sie spielt sich nicht in den Vordergrund, sie beteiligt sich nicht an den üblichen Ellenbogen-Spielen. Sie hat es, das muss man sagen, auch nicht nötig.

Aygül Özkan vertritt eine moderne CDU-Politik, mehr noch: Sie lebt sie längst - zum Beispiel die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die für manche in der CDU noch ein heißes programmatisches Eisen ist. Die Mutter eines sieben Jahre alten Sohnes (ihr Mann ist Arzt) arbeitet derzeit noch als Niederlassungsleiterin der TNT-Paketpost und trägt Personalverantwortung für rund 500 Mitarbeiter.

Modern sind nicht nur ihre Themen für die CDU - auch die Integration zählt dazu -, modern ist auch ihr Politikstil. Sie hat zielstrebig ein Netzwerk aufgebaut, das längst weit über die Hamburger Grenzen hinausreicht. Zu Bundeskanzlerin Angela Merkel hat sie einen guten Draht, zum früheren CDU-Generalsekretär und heutigen Kanzleramtschef Ronald Pofalla oder zur Staatsministerin Maria Böhmer, der Integrationsbeauftragten der Bundesregierung, ebenso. Klar, dass die Berliner Wulffs Entscheidung für die Deutschtürkin gutheißen, ja sie ausdrücklich nach Hannover empfohlen haben.

Aygül Özkan ist eine typische Seiteneinsteigerin in der Politik: Das parteiinterne Hickhack interessiert sie nicht. Sie engagiert sich in der Sache. "Sie ist immer gut vorbereitet, hat klare Positionen und ist verlässlich", sagt der Bundestagsabgeordnete Marcus Weinberg, der Özkan seit Langem kennt und wie sie aus Altona kommt. Die Kehrseite ist, dass sie sich in die Partei-Debatten kaum einmischt. Im Landesvorstand kann man sich an Wortmeldungen kaum erinnern. Auch in der Bürgerschaft drängte sie sich nicht mit Macht auf, sondern blieb, beinahe etwas bescheiden, eher im Hintergrund.

Wer die 38-Jährige erlebt, spürt sofort das Engagement und die Überzeugungskraft, mit denen sie ihre Positionen vertritt. Übrigens spricht sie sich für die Primarschulreform aus, weil ihr das Thema Integration so wichtig ist. "Sie ist eine toughe Frau, die ihren Weg gegangen ist", sagt Ulrich Mumm, heute Schulleiter des Gymnasiums Allee und früher ihr Kunst- und Erdkundelehrer. "Aygül war schon in der fünften Klasse eine kleine Persönlichkeit", sagt Mumm.

Zielstrebig und karriereorientiert sei Özkan, sagen Weggefährten und Freunde. Eine wichtige Erfahrung fehlt der jungen Frau bislang: Einen Dämpfer, gar einen Rückschlag, an dem sie auch hätte wachsen können, hat sie nie einstecken müssen. Allenfalls das Ergebnis bei ihrer Wahl zur Vize-Parteichefin 2008 war mit 72,5 Prozent nicht gerade berauschend. Nicht alle begleiten ihren rasanten Aufstieg eben gleichermaßen wohlwollend. Ob das in Niedersachsen auch so ist, wird Aygül Özkan schnell erfahren. Aber erst einmal kommt der 27. April, der Tag ihrer Wahl zur Ministerin. Wieder so ein Tag, den man sein Leben lang nicht vergessen wird.