Wie schon beim Michel soll das historische Areal in der Altstadt verdeckt werden. In diesem Fall von einem achteinhalbstöckigen Baukomplex.

Hamburg. Genau zehn Jahre nach der Planung einer Bausünde, die heute den Hamburgern den Blick aus vielen Richtungen auf ihren Michel verstellt, beginnt eine Stadtplanungsdiskussion von ganz besonderer Brisanz um ein ähnliches Thema. Diesmal geht es um St. Katharinen, das älteste Bauwerk in der Stadt. Im alten Saal der Bezirksversammlung Mitte, zwischen Chromstühlen und schwerem 70er-Jahre-Muff, treffen am Mittwoch die Honoratioren hamburgischer Stadtplanungskunst und ebenso honorige Vertreter einer Interessengemeinschaft aufeinander, die verhindern will, dass wieder ein Kirchturm hinter einer zu hohen Bebauung verschwindet. Der Bezirk Mitte will einen Kompromissvorschlag präsentieren - zur Lösung eines Konflikts, der seit zwei Jahren in der Altstadt ausgetragen wird.

Auf dem 8500 Quadratmeter großen Gelände der Katharinenschule an der Willy-Brandt-Straße ist ein achteinhalbstöckiger Baukomplex vorgesehen (der zwischenzeitlich sogar auf eine Höhe von 30 Metern angewachsen war). Pröpstin und Hauptpastorin Ulrike Murmann sagt zu den Planungen: "Wir haben in vielen Gesprächen mit den Planern und Architekten darum geworben, dass die Bebauung der Bedeutung dieser alten Kirche und dem Charakter der Altstadt entspricht. Zwar wurden die Pläne überarbeitet, aber es bleiben immer noch kritische Punkte offen. Deshalb kann mein Kirchenvorstand den derzeitigen Entwürfen nicht zustimmen." Der geplante Büroriegel an der Willy-Brandt-Straße orientiere sich in seiner Höhe und Massivität an den umstrittenen Bürokomplexen an der ehemaligen Ost-West-Straße, anstatt den Blick auf die Kirche zu gewähren. Ulrike Murmann: "Er versperrt darüber hinaus die Wegeführung vom Rathaus in die HafenCity, die unserer Gemeinde so wichtig ist. Der Kirchenvorstand fordert daher einen weitergehenden Diskurs zwischen Vertretern aus Politik, Verwaltung, Fachöffentlichkeit und betroffenen Bürgern."

Zur Diskussion am Mittwoch wird ein großer Bahnhof erscheinen: Oberbaudirektor Jörn Walter, Mitte-Bezirksamtsleiter Markus Schreiber, Baudezernenten, Vertreter von Hochtief, Mitglieder des Kirchenvorstands, Mitglieder der Interessengemeinschaft Katharinenquartier, Ulrike Murmann, Bezirkspolitiker, Bauausschusschefs, Architekturkritiker, Standesvertreter der Architekten, Anwohner und Bürger. Seit 2008 kämpft die IG Katharinenquartier gegen die geplante Bebauung. Einer ihrer Sprecher, der Architekt Christian Kottmeier, sagt: "Wir wollen einen Stopp der Planungen und ein neues Nachdenken."

Der Umgang mit dem Katharinenquartier fällt in eine Phase des Umdenkens darüber, wie Hamburg mit der Stadtentwicklung umgeht. Nach den Ereignissen im Gängeviertel und dem großen Echo der "Recht-auf-Stadt-Bewegung" kündigte Oberbaudirektor Jörn Walter im Abendblatt einen Masterplan für die City und eine neue Politik an, die den von vielen Fachleuten geforderten öffentlichen Diskurs verwirklichen soll. Der Bezirk Mitte legte nach und verkündete im Abendblatt acht Leitsätze, nach denen Obergrenzen von Gebäuden festgesetzt werden und besonders die Blickbeziehungen zu den Kirchtürmen, die die Silhouette Hamburgs bilden, festgeschrieben werden. Das sind exakt die Themen der IG Katharinenquartier.

Die Interessengemeinschaft wehrt sich gegen die Uniformität der geplanten Bebauung, die einen Büroriegel zur Willy-Brandt-Straße vorsieht und zwei Wohnblöcke. "Statt des Büroriegels könnte man ausschließlich Wohnungen um einen begrünten Innenhof errichten. Hier würden in 250 Wohnungen fast 800 Menschen ein neues Zuhause finden. Das sind mehr als derzeit in der HafenCity leben", sagt Kottmeier. Nach Vorstellungen der IG sollten mehrere kleinteilige Wohngebäude errichtet werden. "Mit je zehn bis zwölf Wohnungen." So würden sich schnell Hausgemeinschaften bilden.

Die Protagonisten machen diesen Architekturstreit zu einer besonderen Bühne, auf der nun der Vorhang fällt. Auf der einen Seite stehen die Entwickler des Baukonzerns Hochtief, der mit dem Bau der Elbphilharmonie in den Schlagzeilen ist. Hochtief hat das Katharinen-Grundstück vor zwei Jahren an Hand erhalten, aber noch nicht gekauft. "Die neuen Pläne sind zum zweiten Mal nachgearbeitet worden", sagt Gabriele Stegers von Hochtief. Mehr wolle man vor Mittwoch nicht bekannt geben. Auf der anderen Seite stehen die Mitglieder der IG Katharinenquartier, die ganz leise, aber vernehmbar die Möglichkeit eines Bürgerbegehrens ins Auge fassen.

Schon im April 2009 forderte die Gemeinde St. Katharinen, dass die Planungen nicht vollzogen werden. "Die deutliche Sichtbarkeit der Hauptkirche St. Katharinen als Kulturdenkmal muss gesichert werden. Die Wegeverbindung vom Rathaus in die HafenCity braucht St. Katharinen als markanten Orientierungspunkt." Der Turm von St. Katharinen enthalte das älteste stehende Mauerwerk Hamburgs. Die umgebende Bebauung müsse dem Charakter des kleinteiligen historischen Altstadtquartiers gerecht werden. Dies ist durch die Blockbauweise der aktuellen Planung nicht gewährleistet.

Auch Pastor Frank Engelbrecht von St. Katharinen teilt diese Meinung: "Kriterium für eine angemessene Bebauung ist, ob sie das kulturelle und geistliche Erbe stärkt, das Hamburg in St. Katharinen hat. Dazu gehören für mich Sichtachsen auf die Kirche, Förderung des Wohnens - denn zur Kirche gehören Menschen und eine Bebauung, die über ihre Kleinteiligkeit die historische Vielfalt der Nachbarschaft rund um St. Katharinen neu zum Leben erweckt."

Die IG Katharinenquartier hofft auf einen Neustart der Diskussion am Mittwoch. Kottmeier: "Wir streiten um eine neue Mitte für ganz Hamburg." Dazu hat die Interessengemeinschaft ein Manifest erarbeitet. Einer der Kernsätze: "Das unmittelbare Umfeld der Kirche muss ihr den attraktiven Raum lassen, als städtebaulicher, funktionaler und vor allem kultureller, geistiger und geistlicher Mittelpunkt für Katharinenquartier und HafenCity in Erscheinung treten zu können."

Die öffentliche Diskussion um das Katharinenquartier beginnt am Mittwoch, dem 10. Februar, um 18 Uhr im Sitzungssaal der Bezirksversammlung (Klosterwall 4, City-Hof Block B).