Der jüngste Hamburger Senator will den Trend zu immer stärkeren Kontrollen stoppen und auch die Rechte der Internet-User stärken.

Hamburg. Hamburger Abendblatt: Die Republik diskutiert über den Einsatz von Körperscannern zur Erhöhung der Sicherheit an Bord von Flugzeugen. Was halten Sie von dieser neuen Technologie?

Till Steffen: Ich finde es zunächst einmal sehr erstaunlich, wie kurz die Halbwertszeit der Ansage ist: Jetzt ist es genug mit noch mehr Überwachung. Wir haben doch keine neue Lage: Bei dem verhinderten Anschlag von Detroit wurde festgestellt, dass die US-Behörden die Informationen hatten, die Anlass geboten hätten, den Täter gar nicht erst in ein Flugzeug zu lassen. Hier wird am falschen Ende angesetzt.

Abendblatt: Ist denn ein Körperscanner unabhängig vom konkreten Fall ein sinnvolles Mittel zur Terrorabwehr?

Steffen : Für mich ist derzeit unklar, ob ein Sicherheitsgewinn damit verbunden ist. Klar ist aber, dass Körperscanner erheblich mehr Überwachung bedeuten werden. Und: Der Sprengstoff, den der Täter von Detroit bei sich hatte, wäre mit einem Körperscanner gar nicht entdeckt worden.

Abendblatt: Läuft die öffentliche Debatte am Thema vorbei?

Steffen: Es ist die alte Geschichte: Die Menschen haben Angst, und die Politik versucht, mit symbolischem Handeln diesen Ängsten entgegenzuwirken. Auch Körperscanner können umgangen werden, weil sie nicht in der Lage sind, Gegenstände aufzuspüren, die innerhalb des Körpers transportiert werden. Wenn das schon bekannt ist, ist das doch wie eine Einladung an potenzielle Täter.

Abendblatt: Sehen Sie eine generelle Tendenz zur Einschränkung des Datenschutzes und der Bürgerrechte angesichts der weltweiten Terrorgefahr?

Steffen: Der Prozess seit den Anschlägen vom 11. September 2001 lief immer nur in die eine Richtung: Abbau des Datenschutzes und mehr Überwachung. Es gab jetzt Anlass zur Hoffnung, dass dieser Trend gestoppt würde. Die aktuelle Debatte zeigt, dass ohne großes Nachdenken ein Vorschlag aus der Schublade gezogen und als Lösung präsentiert wird. Für mich ist die spannende Frage, ob die Technik am Ende wirklich funktioniert. Dieses Experiment ist ja noch nicht gemacht worden.

Abendblatt: Die Bundesregierung scheint sich ja einig in dem Willen, Körperscanner an Flughäfen einzusetzen. Überrascht Sie die Haltung der FDP?

Steffen: Die Liberalen lösen damit jedenfalls nicht das Versprechen ein, die Bürgerrechte zu stärken. Ich frage mich, wann das endlich einmal kommt.

Abendblatt: Seit Jahresbeginn sind Sie Vorsitzender der Justizministerkonferenz. Wollen Sie sich jetzt stärker bundespolitisch zu Wort melden?

Steffen: Es ist sicherlich Aufgabe des Vorsitzenden der Justizministerkonferenz, für die Interessen der Bundesländer das Wort zu führen. Ich habe aber auch schon in den zurückliegenden eineinhalb Jahren eine Reihe erfolgreicher Vorstöße auf Bundesebene gemacht. Zum Beispiel ging es um eine Veränderung der Strafbarkeit von Kinderpornografie. Dem ist die Justizministerkonferenz 2009 einstimmig gefolgt. Insoweit knüpfe ich mit der neuen Aufgabe an die bisherigen Aktivitäten an.

Abendblatt: Was sind Ihre Themen, Ihre Ziele für 2010?

Steffen: Es gibt zwei Themenbereiche, die deutlich machen, dass Rechtspolitik in neuen Dimensionen stattfindet. Erstens geht es um die Frage, ob das Internet nicht völlig neue Anforderungen an rechtliche Regeln stellt. Zweitens: Was bedeutet die neue europäische Rechts- und Innenpolitik für die Justiz in Deutschland und speziell den Bundesländern?

Abendblatt: Worum geht es beim Stichwort Internet konkret?

Steffen: Unsere rechtlichen Regelungen stammen aus einer Zeit, als es das Internet noch nicht gab. Für mich steht im Mittelpunkt die Frage nach dem Urheberrecht, zum Beispiel bei den Musik-Downloads. Ich habe früher meinen Freunden eine Platte ausgeliehen oder vorgespielt. Auf die heutige Zeit übertragen, heißt das, die Kopie eines urhebergeschützten Werkes weiterzuleiten. Und das ist verboten. Ich halte es für widersinnig, dass der ganz normale Austausch junger Leute über ihre Musikvorlieben mit rechtlichen Konsequenzen versehen ist. Das ist eine erheblich größere Verrechtlichung, als es noch vor Jahrzehnten der Fall war.

Abendblatt: Was schlagen Sie vor?

Steffen: Wir müssen das Urheberrecht auf seinen Kern konzentrieren, um es durchsetzbar zu machen und die Akzeptanzkrise zu überwinden. Junge Leute haben eben kaum Verständnis für das jetzige Urheberrecht. Das ist eine große Gefahr für die Kreativen. Diese Tendenz werden wir nicht umdrehen können, wenn wir das Urheberrecht immer weiter ausdehnen. Ich meine, dass nur die eigentliche kreative Leistung durch das Urheberrecht geschützt werden sollte.

Abendblatt: Das heißt also, Musik-Downloads sollen nicht mehr unter Strafe gestellt werden.

Steffen: Es ist doch sehr die Frage, ob es Sinn macht, solche Bagatellstraftaten strafrechtlich zu verfolgen, oder ob wir uns nicht besser auf die gravierenden Fälle des unerlaubten Handels konzentrieren. Es ist absolut nicht leistbar, dass die Strafverfolgung bei allen denkbaren Fällen von Urheberrechtsverletzungen tätig wird. Trotzdem muss es eine Art Vergütung für die Künstler geben. Kultur kann nicht kostenlos sein. Wie genau das ausgestaltet wird, müssen wir sehen. Früher gab es eine Kopierabgabe für jeden, der einen Kopierer kaufte. Die Abgabe stand den Autoren zur Verfügung. Jetzt gibt es die Überlegung, eine Kultur-Flatrate einzuführen. Mit solchen Bezahlsystemen wäre dann ein nicht kommerzieller Austausch etwa von Musik-Dateien möglich.

Abendblatt: Gibt es weiteren Änderungsbedarf?

Steffen: Es gibt Auswüchse des Urheberrechts, bei denen sich die Frage nach dem Sinn ernsthaft stellt. Beispiel Theater und Ballett: Es gibt Häuser, die davor zurückschrecken, andere Werke in ihren Werken zu zitieren. Die haben die Sorge, mit dem Urheberrecht in Konflikt zu geraten. Wenn das schon immer so gewesen wäre, dann hätte Goethe seinen "Faust" nie schreiben können, schließlich hat er den Urfaust ausgiebig zitiert. Oder: Wenn jemand eine Party-Einladung auf seine Internetseite stellt und dabei einen Stadtplan-Ausschnitt verwendet. Das sind Beispiele, bei denen ich mich frage, ob das noch angemessen ist.

Abendblatt: Überrollt das EU-Recht das deutsche System?

Steffen: Durch die verstärkte Zusammenarbeit werden bewährte Mechanismen im deutschen Recht infrage gestellt, besonders im Bereich des Strafrechts und der Strafverfolgung. Ich bin grundsätzlich überzeugt von einem einheitlichen Rechtsrahmen in Europa. Wir haben viele unterschiedliche Regelungen in den Staaten, sodass man manchmal gar nicht weiß, in welchem Land man gerade mit einem Bein im Gefängnis steht, wenn man zum Beispiel etwas im Internet anbietet. Nur wenn wir zu einer Vereinheitlichung kommen, müssen wir sehr genau aufpassen, dass wir nicht bewährte Ausbalancierungen von Rechten von Ermittlungsorganen und Beschuldigten aus dem Gleichgewicht bringen.

Abendblatt: Das heißt konkret?

Steffen: Wir erleben in Europa den Trend, dass die Kompetenzen der Ermittlungsbehörden ausgebaut werden, dass sie verstärkt kooperieren und Daten austauschen. Auf der anderen Seite werden die Rechte der Beschuldigten nicht in gleichem Maße ausgebaut.

Abendblatt: Nennen Sie doch mal ein paar Beispiele.

Steffen: In Deutschland ist das Recht eines Beschuldigten auf einen Pflichtverteidiger ebenso Standard wie bestimmte Rechte auf Einsicht in die Ermittlungsakten. Das ist aber keinesfalls überall in Europa so. Die spannende Frage ist dann, ob eine Verurteilung im Ausland aufgrund des europäischen Haftbefehls hier vollstreckt werden kann. In anderen Staaten ist das Recht eines Beschuldigten auf einen Dolmetscher besser geregelt als hier.

Abendblatt: Werden Sie sich als Vorsitzender der Justizministerkonferenz für eine EU-Charta der Beschuldigtenrechte einsetzen?

Steffen: Ja, das muss das Ziel sein.

Abendblatt: Wie groß ist Ihr Gestaltungsspielraum als Senator eines kleinen Bundeslandes wirklich?

Steffen: Meine Erfahrung ist die, dass sich durch die Verortung in der schwarz-grünen Koalition meine Ansprechfähigkeit in beide Richtungen, also CDU- wie SPD-geführte Länder, erhöht. Es gibt Schnittmengen auch mit den SPD-geführten Ländern. Ich sehe mich da eher in einer Vermittlerrolle zwischen beiden Lagern.

Till Steffen ist Rechtsanwalt und mit 36 Jahren das jüngste Mitglied des schwarz-grünen Senats. Er war von 2004 bis 2008 Bürgerschaftsabgeordneter und machte sich als justizpolitischer Sprecher der GAL und Gegenspieler des früheren Justizsenators Roger Kusch (damals CDU) einen Namen. Zu den Grünen kam Steffen als 17-Jähriger. Er war 1994 Mitglied des ersten Bundesvorstands der Grünen Jugend.