Pfeffersäcke und Bildungssolidarität sind bis heute Widerspruch und Symbiose zugleich. Eine Gratulation.

Hamburg. Mit der Universität Hamburg ist es ein bisschen wie mit der Musik in der Staatsoper. Es ist nicht nötig, selber ein Instrument zu beherrschen, um über Stärken und Schwächen der Interpreten diskutieren zu dürfen. Manchmal zum Leidwesen der professionellen Akteure, doch bei größtenteils öffentlich finanzierten Vorstellungen hat jeder das Recht auf Mitsprache. So erst entfaltet sich die Bedeutung einer Institution, manchmal sogar ihr Zauber. Dies ist das Leitmotiv der größten Lehr- und Forschungseinrichtung der Hansestadt: Erst 1919 auf Beschluss der Bürgerschaft gegründet, ist sie die erste demokratisch ins Leben gerufene Hochschule des Landes. Jeder sollte die Möglichkeit erhalten, seinen Geist so zu bilden, wie er oder sie es für richtig hält.

Heute beginnt die Vorlesungszeit des Wintersemesters, 6500 junge Menschen beginnen ein Studium an der Universität Hamburg. Die meisten auch heute, um sich so zu bilden, wie sie es für richtig halten. Beste Gelegenheit, der Universität zum 90. Geburtstag zu gratulieren.

"Frei soll die Lehre sein und frei das Lernen", so beschrieb Sozialdemokrat Emil Krause im März 1919 die Ziele der Universität. Das Zitat ist in dem gleichnamigen Büchlein von Rainer Nicolaysen zu finden, der die Uni-Geschichte auf wenigen Seiten komprimiert hat. Sein Werk ist so etwas wie ein Taschen-Opernführer. Schnell gelesen, kann man danach besser mitreden. Basis ist das Uni-Archiv, das Eckart Krause über Jahrzehnte zusammentrug.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts stieß die Idee, eine Universität für "alle Glieder des Volkes" zu gründen, nicht auf Gegenliebe. Hamburg hatte seit dem 16. Jahrhundert zwar Gelehrtenschulen wie das Johanneum zu bieten. Auch trug die Hansestadt zu Sprüngen der Wissenschaft im 19. Jahrhundert bei, etwa mit dem botanischen Garten (1821), der Sternwarte in Bergedorf (1833), der Kunsthalle (1869) oder dem Völkerkundemuseum (1879). Trotzdem wurde die kaufmännische "geniale Einseitigkeit" der Handelsmetropole beschworen. Baudirektor Fritz Schumacher bemerkte: "Als ich 1909 in die Stadt kam, musste man sehr vorsichtig sein, von einer Universität zu sprechen, sehr einflussreiche Leute sahen in ihr nicht nur etwas Überflüssiges, sondern ein Bleigewicht für die wirtschaftliche Stoßkraft." Den Machthabern behagte die Idee nicht, Akademiker könnten Autoritäten untergraben. Ebenso sahen auch Bildungsbürger ihr Prestige bedroht, und einige Professoren fürchteten jene Arbeitsflut, die eine große Uni mit Prüfungen und Vorlesungen mit sich bringen würde.

Der Urkonflikt der Hamburger Hochschulkultur ist aber vielschichtiger als nur Pfeffersäcke gegen Bildungssolidarität. Bis heute ist die Wirtschaft wichtiger Förderer der Hochschule und, wenn man so will, zugleich ihre größte Bedrohung. Der Hamburger Reeder Edmund Siemers war es, der bereits 1907 eine Million Goldmark für das Hauptgebäude der Universität stiftete, im Geiste des aufkommenden Vorlesungswesens, wenn es auch nicht für alle "Volksglieder" bestimmt war. Ohne Mäzene wäre das Projekt "Hamburgische Universität" kaum denkbar gewesen. Dass im Jahr 2002 das Ehepaar Greve Flügelbauten für das Siemers-Gebäude stiftete, spricht für sich. Dennoch muss der Begriff des "wirtschaftlich Verwertbaren" reflexartig Beklemmungen bei jedem Akademiker auslösen, der sich auf Unabhängigkeit der Forschung und Lehre beruft. Das Ausmaß der staatlichen und privaten Unterstützung prägt bis heute alle Hochschuldebatten. Historikerin Barbara Vogel schreibt, hilfreich sei dabei allerdings weder andauerndes Klagen noch das ceterum censeo "gebt uns mehr Geld und lasst uns ansonsten in Ruhe".

Internationale Bedeutung soll die Universität Hamburg erlangen, in diesem Punkt schienen sich schon damals viele einig zu sein. Die Uni der 20er-Jahre war noch alles andere als basisdemokratisch, ab 1927 schritten Professoren in Talare gehüllt umher, um sich sozial abzugrenzen. Ohnehin spalteten Befürworter und Gegner der Demokratie die Gesellschaft. Dennoch war Hamburgs Uni vor dem Dritten Reich als fortschrittlich zu bezeichnen. 1932 studierten hier mit 25 Prozent überdurchschnittlich viele Frauen, jeder fünfte Mitarbeiter war jüdischer Abstammung. Der Philosoph Ernst Cassirer oder Naturwissenschaftler, um mit den Physikern Wolfgang Ernst Pauli und Otto Stern nur zwei zu nennen, hätten im heutigen Sinne "Exzellenzcluster" geleitet. Letztere wurden im Exil mit dem Nobelpreis ausgezeichnet.

Entgegen aller Behauptungen war Hamburg jedoch eine fruchtbare Stadt für Nazis, und so fanden sich 1933 viele Helfer, die "Hansische Universität" aufzubauen und kritische Geister in Mord, Selbstmord, innere Migration oder die Flucht zu treiben. Dankbar wurde ein Markenzeichen der Universität aufgenommen: die vielen Auslandsstudien, die sich vom Hafen begünstigt entwickelten. Besonders das Koloniale Institut, einer der Vorläufer der Uni, passte in die Ideologie des "Führer-Rektors" Adolf Rein, der die Universität zum "wagemutigen Ausgreifen" über die Weltmeere animierte. Auch die Völkerkunde ließ sich rassistisch weiter betreiben.

Der Unmut, dass es nach 1945 keine wirkliche "Stunde Null" an der Universität, die nun schlicht "Universität Hamburg" hieß, gegeben hat, äußerte sich in der bekanntesten Protestaktion: "Unter den Talaren - Muff von 1000 Jahren" - einen Banner mit dieser Aufschrift entrollten Studenten 1967 während einer Feier zum Rektorwechsel. 1000 Jahre, damit war das "1000-jährige Reich" gemeint. Talare werden seitdem nicht mehr getragen. Getreu Willy Brandts "Mehr Demokratie wagen" wurde 1969 ein Gesetz verabschiedet, das die akademische Selbstverwaltung auf viele Gruppen der Universität aufteilte. Skeptiker reden heute von "Gremien-Uni".

Aktuell ist die Universität Hamburg erneut im Umbruch. Dass sie im Jahr ihres 90. Geburtstags nach dem Rücktritt von Monika Auweter-Kurtz ohne Leitung dasteht, versinnbildlicht die Debatte: Wer soll wie viel Macht über die Hochschule haben? Gremien wurden bereits stark reduziert, auch wurde ein Hochschulrat gegründet, mit zahlreichen externen Vertretern. Die Geschichte zeigt aber auch: Änderungen an der Uni Hamburg verlaufen niemals ohne leidenschaftliche Gegner und Befürworter.

Ideen für die Zukunft der Universität gibt es jedenfalls viele. Wie zur Musik der Staatsoper ist jede Meinung willkommen. Aber welche Position auch immer vertreten wird: An dem Gründergeist, eine Hochschule für alle zu schaffen, müssen sich diese Ideen messen lassen.