In Hamburg-Nord liegen CDU und SPD eng beieinander. Dirk Fischer und Christian Carstensen gehen trotzdem fair miteinander um.

Hamburg. Für Petra Osinski ist das dann irgendwann doch zu viel Harmonie, immerhin tritt sie gegen Christian Carstensen an. Also bringt die Kandidatin der GAL in Hamburg-Nord etwas Wettkampfhärte in die Diskussion: "Wir Grüne sind auch gegen Kohlekraftwerke und nicht nur gegen Atomkraft", ruft sie, die selbst im Publikum sitzt, den Zuhörern im Kulturhaus Eppendorf zu. Vorne, auf dem Podium, sitzen SPD-Spitzenkandidat Carstensen und Osinskis Parteifreund Manuel Sarrazin, der für die Grünen in Harburg antritt. "Atomkraft - nein danke!", ist das Motto der Veranstaltung. Ein Urthema der Grünen, das sich die Petra Osinski nicht wegnehmen lassen will. Dabei hat sie es, wie alle Direkt-kandidaten der kleineren Parteien, nicht leicht in einem Wahlkampf, der von den politischen Schwergewichten bestimmt wird. Von Dirk Fischer (CDU) nämlich und eben dem Sozialdemokraten Carstensen.

Der ist Titelverteidiger in dem traditionell umkämpften Wahlkreis Nord und spielt auch in diesem Jahr alles oder nichts - auf der Landesliste ist er nicht abgesichert. Der Langenhorner ist seit neun Wochen jeden Morgen ab 7 Uhr im Einsatz. Jetzt, auf dem Podium in Eppendorf, sieht er etwas abgekämpft aus. Das war vormittags noch anders. Infostand am Goldbekplatz in Winterhude. Nebenan ist Wochenmarkt, die GAL ist auch da. Vor allem ältere Hamburger und Kita-Betreuerinnen mit ihren Schützlingen kommen an Carstensens Stand vorbei. In ein Gespräch verwickeln lässt sich kaum jemand. Politik ist ein harter Job.

Carstensen (36) ist Favorit in seinem Wahlkreis, er will wieder in den Bundestag. Was für ein Gefühl er hat? Ein gutes, sagt Carstensen, klar. Wie alle Genossen gibt er auf die miserablen Umfragewerte seiner Partei nichts. Er darf nichts darauf geben. "An unseren Ständen werden mir die Programme aus der Hand gerissen." Er geht dann rüber zum Stand der Grünen und begrüßt deren Wahlkämpfer - man kennt sich. Dann muss er aber auch schon weiter, ein neues Kandidaten-Hearing. Seine Helfer verteilen Broschüren, Carstensen schwingt sich dynamisch in seine Familienkutsche. Der linke hintere Reifen ist bedrohlich platt. Carstensen würde vehement bestreiten, dass das ein Bild mit symbolischem Gehalt ist. Und er versteht sich nicht nur mit der GAL, auch mit der CDU. Über den Kontrahenten Fischer äußert er sich jedenfalls nur freundlich. Die beiden schätzen sich.

Fischer ist mit 65 fast 30 Jahre älter als Carstensen, aber auf der Höhe der Zeit. Er hat sich ein Facebook-Profil zugelegt. Das wirkt bei dem gediegenen Schnauzbartträger Fischer ein bisschen lustig. Fischer nennt dort Angela Merkel und Helmut Kohl als seine Stars. Jetzt sitzt er im Steinhäusl in Fuhlsbüttel. Stammtisch mit dem Ortsverband, ein Heimspiel bei Wein und Kaffee. Der passionierte Radfahrer Fischer ist im Freizeitlook - Jeans, rot kariertes Hemd - und mit dem Fahrrad gekommen, Baujahr 1980, sagt Fischer stolz. Die, die ihm heute zuhören, sind meist noch älter. Fischer redet über Atomkraft, Steuerpolitik und die Rente. "Ich sage die Wahrheit, verspreche nichts", sagt er einmal. Es ist sein neunter Bundestagswahlkampf.

Der Wahlkreis Nord ist mal seiner gewesen, dreimal in Folge konnte Fischer hier gewinnen. Die letzten drei Male nicht mehr, und trotzdem setzten die Christdemokraten gerade hier, im Wahlkreis 22, auf einen schwarzen Sieg. Fischer sagt, er habe gar kein Gefühl mehr, was Wahlausgänge angeht. Demoskopien interessieren ihn nicht, man kann sich ja doch nicht auf sie verlassen. "Ich weiß aber, dass ich nur gewinnen kann, wenn die FDP-Wähler mir ihre Erststimme geben", erklärt Fischer. Dann wirbt er noch für sich: Er habe "ein gutes Feeling", was die einzelnen Probleme und Strukturen in den verschiedenen Stadtteilen seines Wahlkreises angehe. Draußen rauscht der Verkehr vorbei, es geht viel um Lärm hier im Norden. Die lauten Schienengeräusche des Güterverkehrs, der Flughafen in Fuhlsbüttel - das Thema haben alle Kandidaten auf der Agenda. Im Bundestag arbeiten Fischer und Carstensen gemeinsam im Verkehrsausschuss. Das Verhältnis sei bestens, sagt Fischer, "es gibt hier keine künstliche Verkrampfung - gut so". In der Fußballelf des Bundestags spielen sie zusammen. Fischer auf der Außenbahn, Carstensen im defensiven Mittelfeld. "Gemeinsam sind wir gut", sagt Fischer.

Eine, die Carstensen Stimmen abnehmen könnte, ist die Kandidatin der Linken. Denn im Wahlkreis 22 ist es nicht anders als überall: Wo die Volkspartei so schnell, wie ihre Ränder abbröckeln, gar nicht schauen kann, verleiben sich die traditionelle Anhänger der Sozialdemokraten ein. "Wir wollen ein zweistelliges Ergebnis", sagt Vera Niazi-Shahabi. An den Infoständen wird sie oft von mit linken Ideen sympathisierenden Passanten angesprochen. Wenn sie sich allerdings den Hamburger Oberstufenschülern stellt, dann muss sie sich kritischer Fragen erwehren. Die Gymnasiasten in Eppendorf oder Winterhude, sagt Niazi-Shahabi, seien "erstaunlich brav und bürgerlich orientiert". Antworten kann sie ihnen trotzdem immer geben, sie glaubt an die Konzepte ihrer Partei.

Robert Bläsing glaubt auch an die Konzepte seiner Partei, er ist der Kandidat der FDP. Ein 26 Jahre junger Mann, der behauptet: "Für mein Alter interessieren sich die Wähler eher nicht." In Schulen hat er es trotzdem leichter als in Altenheimen. Bläsing ist ein Seiteneinsteiger. Kein politisches (Alpha-)Tier, sondern fast noch ein Lehrling. Er habe viel gelernt in diesem Wahlkampf, sagt der gebürtige Brandenburger offenherzig. Zum Beispiel, dass Gelassenheit nicht von Nachteil ist. Und dass er nun wisse, dass er kein Ehrgeizling sei. Die bescheidene Ehrlichkeit ist nicht unsympathisch, das gilt auch für sein sonstiges Auftreten. Er versucht, authentisch zu sein, "aber auch nicht auf jeder Podiumsdiskussion dieselbe Platte aufzulegen", sagt Bläsing. Er weiß, dass seine Partei im Aufwind ist, davon will er profitieren. Auffällig, wie freundlich auch er sich über seine Konkurrenten äußert. Die seien alle sympathisch. Das TV-Duell zwischen Steinmeier und Merkel hat sich Bläsing im Kurt-Schumacher-Haus angesehen, zusammen mit den Jusos.