Der Coup war sorgfältig vorbereitet und von langer Hand geplant: Die Rechtsexperten der fünf Bürgerschaftsfraktionen und die Vertrauensleute der Volksinitiative "Transparenz schafft Vertrauen" saßen am Dienstag einträchtig im Rathaus zusammen, um der erstaunten Öffentlichkeit einen gemeinsamen Gesetzentwurf zu präsentieren. Das Ziel der denkbar größten Koalition ist nichts weniger als die gläserne Stadt: Die öffentliche Verwaltung und die Politik verpflichten sich grundsätzlich, Verträge, Dienstanweisungen, Senatsbeschlüsse und Haushaltspläne ins Netz zu stellen.

Wie ungewöhnlich das Bündnis ist, zeigt ein Blick auf die Teilnehmer: Da saß die CDU-Abgeordnete Viviane Spethmann in einer Reihe mit ihrer Kollegin Christiane Schneider von der Linken, obwohl CDU-Politiker sonst gemeinsame Auftritte mit Linken vermeiden wie Niederländer ein Lob für den deutschen Fußball. Etwas gewöhnungsbedürftig für das bürgerliche Lager dürfte auch die Anwesenheit von Michael Hirdes vom Chaos Computer Club gewesen sein.

Es entbehrt natürlich nicht einer gewissen Ironie, dass ausgerechnet einem Gesetz, das die Grundlage für die Veröffentlichung Tausender Akten, Dokumente und Verträge der Stadt im Internet schaffen soll, Geheimverhandlungen vorausgingen. Aber genau so war es: Zunächst trafen sich seit März die SPD und die Volksinitiative um den Verein "Mehr Demokratie", die im Dezember mit 15 000 Unterschriften die erste Stufe zu einem Volksentscheid hin genommen hatte. Von Anfang an mit dabei war Justiz-Staatsrat Ralf Kleindiek, um die Sicht des Senats einzubringen. Später wurde die Runde auf die Rechtsexperten aller fünf Fraktionen erweitert und der Datenschutzbeauftragte Prof. Johannes Caspar hinzugezogen.

Für die Verhandlungen über das Transparenzgesetz gilt: Manchmal braucht die Politik eben das Hinterzimmer. "Es war hohe Kommunikationsdisziplin notwendig", sagt SPD-Fraktionschef und Chef-Unterhändler Andreas Dressel. Wenn Details vorher bekannt geworden wären, hätte die interfraktionelle Einigung platzen können.

Die Camouflage war bis zuletzt perfekt: Für die Tagesordnung der Bürgerschaftssitzung am Mittwoch hatte die SPD-Fraktion einen eigenen Antrag zum Thema Transparenzgesetz angemeldet. Dieser Platzhalter, der den Senat harmlos zu einem Sachstandsbericht aufforderte, wurde in dem Moment aus dem Programm gekippt, als die Einigung unter Dach und Fach war.

Warum die immense Anstrengung zum großen, alle einschließenden Kompromiss? Die Antwort auf Seiten der SPD ist einfach: Die Chance, mit einer vermittelnden Haltung gegen Extrempositionen bei einem Volksentscheid für mehr Transparenz zu bestehen, wurde als sehr gering eingeschätzt. "Wer an einem Info-Stand für weniger Transparenz eintritt, als andere es fordern, hat schon verloren", sagt ein Sozialdemokrat. Wenn die Bürgerschaft nicht eingegriffen hätte, wäre der Volksentscheid am Tag der Bundestagswahl 2013 über die Bühne gegangen. Da hätte das Plebiszit leicht zur Abstimmung über die Politik des SPD-Senats werden können, was die Sozialdemokraten vermeiden wollten.

Und gerade der Verein "Mehr Demokratie" hat schon mehrfach gezeigt, dass er imstande ist, Mehrheiten bei Volksentscheiden zustande zu bringen. Der passende Satz aus dem Politik-Lehrbuch dazu lautet: "If you can't beat them, join them!" (Wenn du sie nicht schlagen kannst, verbünde dich mit ihnen!) Es kommt hinzu, dass Grüne und Linke ohnehin Bündnispartner der Transparenz-Initiative waren und die FDP ihr nahestand.

Dressel und seine Mitstreiter setzten darauf, früh einzugreifen. Man hätte auch das Volksbegehren zum Transparenzgesetz abwarten können. Aber dann hätten die Initiatoren statt 15 000 vielleicht schon 150 000 Unterstützer-Unterschriften gesammelt. Die Chance auf einen Kompromiss wäre geringer geworden. Ein Meilenstein war schließlich die Expertenanhörung im Rechtsausschuss der Bürgerschaft Ende Februar. Dabei waren verfassungsrechtliche Mängel vor allem hinsichtlich des Datenschutzes deutlich geworden.

Das war die Chance der Politik-Profis zum Einstieg: Die rechtliche Beratung führte zu einem verfassungskonformen Entwurf, der dann die Basis für die Verhandlungen mit der Bürgerschaft war. So wurde die totale Transparenz, die der Initiative vorschwebte, aber in Teilen auch unpraktikabel war, noch verhindert. Das am Mittwoch beschlossene Gesetz sieht unter anderem vor, dass von Senatsbeschlüssen nur das Vorblatt und das Petitum, also die eigentliche Entscheidung, im Internet veröffentlicht wird. Die behördeninternen Abstimmungen bleiben, anders als ursprünglich geplant, zum Beispiel ausgeblendet. Auch unveröffentlichte Gerichtsentscheidungen, die einer Behörde vorliegen, sowie Bauanträge sind vom Transparenzgesetz ausgenommen.

Es scheint so, als ob die Parlamentarier ihre Lehre aus der katastrophalen Niederlage beim Volksentscheid gegen die Primarschule 2010 gezogen hätten. Damals hatte es eine Koalition von CDU, SPD, GAL und Linken für die Reform gegeben. Verhandlungen mit der Initiative "Wir wollen lernen" waren gescheitert, was auch an der mangelnden Kompromissbereitschaft aufseiten des damaligen Senats und der schwarz-grünen Koalition lag.

Statt mit dem Kopf durch die Wand zu wollen, gilt nun das Prinzip Flexibilität. Es lässt sich auch so ausdrücken: Repräsentative und direkte Demokratie bewegen sich aufeinander zu. "Es ist nicht klug, es auf den finalen Showdown bei einem Volksentscheid ankommen zu lassen", sagt ein führender Sozialdemokrat. Zweimal seit dem Regierungswechsel im Rathaus im März 2011 ist es bereits zu Einigungen mit Volksinitiativen gekommen, wodurch Volksentscheide verhindert wurden. In beiden Fällen war "Mehr Demokratie" beteiligt: Es ging um die Weiterentwicklung der direkten Demokratie auf Bezirks- und auf Landesebene.

Nicht immer findet die Kompromiss-Strategie allerdings die Zustimmung aller: Als die SPD und Schulsenator Ties Rabe am Donnerstag in das Schulgesetz kurzerhand einen Passus aufnahmen, der einen Anspruch von Eltern auf den Besuch einer Halbtagsschule für ihre Kinder vorsieht, hagelte es Kritik. Die Grünen hielten Rabe vor, opportunistisch zu handeln und Angst vor einem Volkentscheid zu haben. Tatsächlich hatte Walter Scheuerl, der Anti-Primarschul-Stratege, bereits mit einem erneuten Plebiszit gedroht.