“In den Vierlanden wohnt man nicht, hier lebt man“, sagen Bewohner zwischen Blumenkulturen und Gemüseanbau.

Hamburg. An der Ecke Curslacker Heerweg und Curslacker Deich steht ein altes Fachwerkhaus. Über der Tür hängt ein auffälliges Schild: "Stadt Hamburg" steht darauf geschrieben. In den 90er-Jahren war die Kneipe ein beliebter Treffpunkt für die Einwohner der Deichstraße. Bei einem kühlen Feierabendbier haben sie hier über den Tag, die Arbeit und die Nachbarn gesprochen. Heute erinnert nur noch das alte Schild an diese Zeit. In dem Haus praktizieren Ärzte und Heilpädagogen, sogar eine Musikschule wurde eingerichtet. Die Musiklehrerin Johanna Rabe (42) ist vor neun Jahren hier eingezogen. Sie kommt aus der Stadt - damit ist am Curslacker Deich jedoch nicht etwa Hamburg gemeint, sondern Bergedorf.

Am Curslacker Deich scheint man früher wie heute weit, weit entfernt von Hamburg zu sein. "Hier ist die Welt noch in Ordnung", sagt Helmut Küster, der am Curslacker Deich 133, nur wenige Gehminuten von der "Stadt Hamburg" entfernt, einen Tante-Emma-Laden betreibt. Fragt man den 52-Jährigen nach seinem letzten Besuch in der Innenstadt, huscht ihm ein Lächeln über das Gesicht. "Ich denke, das war vor ungefähr zehn Jahren", sagt er. "Ich habe hier in der Straße alles, was ich brauche." Einen so persönlichen Service wie den des bekennenden Fans des Spielvereins (SV) Curslack-Neuengamme dürfte in der Stadt kaum zu finden sein - sei es in Bergedorf oder Hamburg.

Jeden Morgen packt Helmut Küster seinen Kunden die Frühstückstüten und stapelt sie auf der alten Holztreppe. Darin enthalten: Brötchen und Zeitung. "Ganz so wie bestellt", sagt er. Der Selbstständige hat fast sein ganzes Leben am Curslacker Deich verbracht, verreist ist er noch nie. "Mir macht die Arbeit einfach unheimlich viel Spaß", sagt er. "Hier kennt jeder jeden, jeder ist für den anderen da." Obwohl der Curslacker Deich zum Bezirk Bergedorf und damit zu Hamburg gehört, ist das Leben hier eher dörflich. "Hier achten die Menschen sehr auf die anderen", sagt der Polizeibeamte Matthias Lange (46), der sich selbst "Dorfsheriff" nennt. "Kommt ein Fremder, schreiben sie das Kennzeichen auf und sagen mir Bescheid." Das schütze aber leider nicht immer vor Einbrüchen. Gemeinsam mit seiner Frau Imke Jans (45) wohnt er in einem Einfamilienhaus am Curslacker Deich 165a. Imke Jans ist ebenfalls dort geboren. Ihr Elternhaus steht auf demselben Grundstück. "Viele Curslacker meiner Generation sind hier geboren und hier geblieben", sagt sie.

Doch in den letzten Jahren habe sich die Straße immer mehr verändert. "Die Jüngeren müssen sich außerhalb von Curslack orientieren", sagt sie. "Dafür sind in den letzten Jahren viele Städter hierhergezogen." Das ist eindeutig auch im Straßenbild erkennbar: Der Curslacker Deich, der sich an der Dove Elbe entlangschlängelt, ist nicht von einer einheitlichen Architektur geprägt. Hier stehen Fachwerkhäuser mit Reetdächern neben Rotklinkerhäusern und modernen Glaspalästen. Betriebe wie Bauernhöfe, Blumenkulturen und Gemüseanbau, die hier früher häufig zu finden waren, treten mehr und mehr in den Hintergrund. "Zugereiste" werden die Zugezogenen genannt, wenn die "Einheimischen" über sie sprechen. Und sie haben es in der Straße nicht immer leicht. So steht in der "Chronik des Polizeipostens Curslack" von 1950 geschrieben: "Die gebürtigen Vierländer duzen sich untereinander. Lediglich bei den Fremden, Zugewanderten wird das 'Sie' angewandt. Die Zugewanderten können sich in Curslack auch nicht so recht einleben, dazu benötigen sie Zeit, und viele werden sich nie recht einleben können." Fragt man Christel Eggers (62) und Hanna Wörmbke (67), die wie Helmut Küster und Imke Jans schon immer am Curslacker Deich wohnen, nach zugezogenen Städtern, bekommt man keine eindeutige Antwort.

"Es gibt Leute, die ziehen hierher, pflanzen ihre Hecken und schotten sich dann vollkommen ab", sagt Christel Eggers, die das Rieck Haus, eines der ältesten erhaltenen Hufnerhäuser der Vierlande, leitet. "Die absolute Ruhe, wie viele sie erwarten, gibt es aber nicht", ergänzt Hanna Wörmbke. "Hier kräht der Hahn, hier wird Landwirtschaft betrieben, hier wohnt man nicht nur, sondern hier lebt man." Städter seien häufig daran zu erkennen, dass sie nicht grüßen, sind sich beide Frauen einig. "Die müssen wir uns noch erziehen", fügen sie lachend hinzu. Rose Marie (62) und Eckhard (71) Kolwa gelten selbst nach 25 Jahren noch als "Zugereiste". "Auch unsere Kinder, die hier aufgewachsen sind, werden es wahrscheinlich immer bleiben", sagt die Handwerkerin, die mit ihrem Mann das Fachwerkhaus Nr. 161 liebevoll restauriert hat. Seinen Garten öffnet das Paar regelmäßig für die Aktion "Offener Garten" für Fremde. "Feiern spielt eine wichtige Rolle in der Gemeinschaft", sagt die aus Bramfeld Zugezogene. "Besondere Anlässe werden mit der Nachbarschaft begangen. Wenn man mitmacht, ist man schnell integriert."

Die nächsten Folgen

21. August: Heubergredder (Alsterdorf)

24. August: Talstraße (St. Pauli)

26. August: Kaiserkai (HafenCity)