Die Zeiten für Nachtschwärmer sind hier vorbei. Aber der Außenmühlenteich hat bei Sonnenuntergängen seinen ganz besonderen Charme.

"Du kommst aus Wilstorf? Wo liegt das noch gleich?" Mit diesem Spruch muss sich fast jeder Wilstorfer regelmäßig auseinandersetzen, zumindest wenn er die Elbe gen Norden überquert. Für viele Hamburger gibt es eben nur den Bezirk Harburg - und der kleine beschauliche Stadtteil mit seiner langen Geschichte, der großen Architekturvielfalt und der "Alster des Südens" ist nicht sonderlich bekannt. Ein Grund dafür könnte sein, dass der Stadtteil erst mit dem Groß-Hamburg-Gesetz 1937/38 zu einem Teil der Hansestadt wurde. Und dass der Lokalpatriotismus besonders unter den alteingesessenen Bewohnern nicht zu unterschätzen ist. Was soll man schon in Hamburg? - fragt sich zumindest der Ur-Wilstorfer.

Die Grenzen des Stadtteils zu ziehen ist selbst für Ortskundige gar nicht mal so einfach. Gern streitet man sich mit den Marmstorfern über den großen Stadtpark, der faktisch auf Wilstorfer Seite liegt. Diese "natürliche" Grenze wird von den Nachbarn oft nur mit einem Grummeln akzeptiert. Im Norden trennt die Stadtautobahn mit ihrer großen, während des Baus höchst umstrittenen Hochbrücke der A 253 den Stadtteil von Harburg ab. Eine mindestens genauso harte Grenze ziehen die Bahngleise im Nordosten zu Gut Moor und Rönneburg. Davon, dass Wilstorf im 17. Jahrhundert ein Bauerndorf war, ist heute nur noch wenig zu erkennen. Mit dem Aufstauen des "Engelbachs" im 16. Jahrhundert wurde es von Harburgs zweitem Herzog, Otto II., geprägt. Die Butenmühle, die auf dem Gebiet des heutigen Langenbek liegt, sollte mit dem Gewässer betrieben werden. Das Resultat der Bauarbeiten: der Außenmühlenteich, der gern als "Alster des Südens" bezeichnet wird.

Spielen, joggen, Tretboot fahren

Der Teich liegt in dem 90 Hektar großen Harburger Stadtpark, der insgesamt 16 Kilometer an Wegen zum Joggen, Spazierengehen und Fahrradfahren bietet. Auf den ersten Blick scheint alles etwas verwuchert und verwunschen. Bei Sonnenuntergängen hat der See jedoch seinen ganz besonderen Charme mit seinen blühenden Seerosen und den wilden Schwänen. Angelegt wurde der Park im Jahr 1913 unter der Leitung des Architekten Georg Hölscher. Aufgrund von Kriegsschäden wurde er jedoch erst im Jahr 1926 fertiggestellt.

Die bereits bestehende Badeanstalt wurde in den Park mit einbezogen, und auch der Schulgarten gehört nach dem Zukauf von weiterem Terrain seit 1931 zum Park. Für Hölscher war damit "eine volkserzieherische Aufgabe zu erfüllen. Und schließlich - im Gesamten gesehen - sollte es eine beliebte und gern besuchte Erholungsstätte für die Bevölkerung werden, die auch sozialen Forderungen gerecht wird."

Heute ziehen jedoch weniger die Gärten als vielmehr die Spielplätze und der Tretbootverleih die Sonntagsspaziergänger und Familien in den Park. Für Jogger ist es an einem sonnigen Nachmittag nahezu unmöglich, ohne Slalomlauf den etwa drei Kilometer langen Rundweg um den Teich zu bewältigen.

Geheimtipp für Fisch-Gourmets

Einmal im Jahr findet das Außenmühlenfest statt, das jedoch von Jahr zu Jahr kleiner wird. Und wenn's so richtig eisig ist, dann ist sogar das Schlittschuhlaufen auf dem Teich erlaubt - mit Budenzauber und heißem Glühwein, wie es sich auf einer zugefrorenen "Alster" gehört. Aus gastronomischer Sicht gab es lange Zeit nur das kleine, am nordöstlichen Ufer gelegene Bootshaus - für die Tüte Pommes oder das Eis zwischendurch. Seit 2010 lockt jedoch eine gastronomische Perle, das Fischrestaurant Leuchtturm, Gourmets aus allen Ecken Hamburgs in den Süden der Stadt.

Nichts erinnert mehr an das alte Fachwerkhaus, in dem die 1976 eröffnete Diskothek Top Ten über 25 Jahre Anlaufpunkt für die Harburger Jugend war. Heute müssen die jungen Nachtschwärmer den Weg bis ganz nach "Hamburg" bewältigen - womit dann der Weg über die Elbe in die Amüsierviertel der Stadt gemeint ist.

Hausdächer in Wellenform

Anders als viele Stadtteile bietet Wilstorf eine große architektonische Vielfalt. Nördlich, in direkter Nachbarschaft zur heutigen Phoenix AG, erinnern nur noch die ziegelroten Werksgebäude an der Nöldekestraße an die alte Jute-Spinnerei von 1883. Für deren Arbeitskräfte wurden, wie auch für die Mitarbeiter der Gummifabrik Phoenix, mehrgeschossige Arbeiterwohnungen gebaut, die zum Beispiel an der Winsener Straße und der Anzengruberstraße das Stadtbild prägen. Gleich nebenan steht die neobarocke St.-Franz-Joseph-Kirche katholischer Konfession, die 1913 für die neu hinzugezogenen Arbeiter der Harburger Industrie gebaut wurde. Viele von ihnen stammten aus dem Rheinland, aus Polen und aus Österreich-Ungarn. Somit erinnert auch das Aussehen der gelben Kirche an der Winsener Straße an Gotteshäuser in Böhmen und Österreich.

Noch heute lebt ein Großteil der Wilstorfer in mehrgeschossigen Mietshäusern. Die ersten dieser Art wurden Ende des 19. Jahrhunderts gebaut, weil es wegen der Ansiedlung von Industriebetrieben südlich der Elbe an Wohnungen mangelte. Arbeiter und Angestellte schlossen sich zu Genossenschaften zusammen. Der 1921 gegründete Eisenbahnbauverein vergibt noch immer die meisten Wohnungen im Stadtteil. Die letzte große Siedlung auf Wilstorfer Stadtgebiet wurde zwischen 1960 und 1965 Hanhoopsfeld gebaut. Im Kontrast dazu stehen die Einfamilienhäuser auf der anderen Seite der Winsener Straße, die den Stadtteil einmal durchschneidet. An der Jägerstraße präsentiert sich eine weitere architektonische Besonderheit: Die Häuser haben wellenförmige Dächer - einzigartig in Hamburg.

Eine Kirche im alten Bauernhaus

Geprägt ist der Stadtteil durch seine vielen Sportvereine, Kirchengemeinden, Schulen und Kindertagesstätten, die ihn eigentlich zu einem perfekten Wohnort für Familien machen. Diese zieht es jedoch mittlerweile eher in die Neubaugebiete nach Langenbek. Wilstorfer Kinder besuchen die Schule Hanhoopsfeld, das Alexander-von-Humboldt-Gymnasium oder die Schule Kapellenweg. Mit ihrer über 360 Jahre langen Geschichte hat sie maßgeblich zur Prägung des Stadtteils beigetragen und ist auch optisch eine Besonderheit: Im Vergleich zu anderen Hamburger Schulgebäuden wirkt das Hauptgebäude mit seinem Turm, an dem eine goldene Uhr prangt, recht pompös.

An den Schulhof grenzt die Kirche der Paul-Gerhardt-Gemeinde, die aus rotem Backstein errichtet und 1938 geweiht wurde. Die zweite evangelische Gemeinde in Wilstorf - die Bugenhagen-Gemeinde - wird, ähnlich wie der Stadtpark, oft einem falschen Stadtteil zugeordnet ist. Sie liegt lediglich an der Grenze zu Rönneburg. Der architektonische Kontrast zur Paul-Gerhardt-Kirche ist gewaltig: Die Bugenhagen-Gemeinde ist in einem alten Bauernhaus untergebracht. Ein Relikt aus jener Zeit, in der Wilstorf noch dörflich geprägt war. Lang, lang ist's her - doch es gibt sie, die Überbleibsel aus dieser Zeit. Man muss nur genau hinsehen.

In der nächsten Folge am 24.10.: Neuengamme