Harburg. Beliebte Anlaufstelle für arme Menschen wird Sparmaßnahmen beim Jobcenter Hamburg zum Opfer fallen. Die Betroffenen wehren sich.

„Unser Sozialkaufhaus ist in Harburg eine Institution geworden. Dass es geschlossen werden soll, bricht uns wirklich das Herz.“ Marianne Sorokowski sitzt auf der Café-Terrasse des Second Hand Geschäfts, das weit mehr ist als ein Laden: Hier werden ausrangierte Möbel aufgearbeitet, Textilien ausgebessert, Hausrat sortiert, Essen gekocht. Alles wird im Kaufhaus und seinem Café sehr günstig angeboten und erfreut sich großer Nachfrage. Ende Januar soll damit Schluss sein.

Rund 300 Kunden kommen täglich ins Geschäft „fairKauf“ am Küchgarten. Sorokowski: „Oftmals stehen morgens um 9.30 Uhr bereits Leute vor der Tür und warten, dass wir öffnen.“ Einkaufsberechtigt sind Menschen, die Bürgergeld, Grundsicherung, Rente, BaföG oder Wohngeld beziehen oder deren Einkommen unterhalb der Pfändungsfreigrenze (1330 Euro netto) liegt. „Wenn wir wirklich schließen müssen, hinterlässt das eine große Versorgungslücke in Harburg – wo sollen die Leute denn dann einkaufen?“, fragt Sorokowsi. Zumindest Möbel und Hausrat zu niedrigen Preisen, etwa für Flüchtlinge, seien in Harburg kaum zu haben.

Harburg: Kaufhaus ist wichtig für einkommensschwache Bewohner und Flüchtlinge

Nicht nur die Kundschaft, auch die 60 Mitarbeiter des Sozialkaufhauses sind betroffen. Sie arbeiten, finanziert vom Jobcenter Hamburg, als Ein-Euro-Jobber für maximal zwei Jahre im fairKauf, mit dem Ziel, anschließend in den ersten Arbeitsmarkt eingegliedert werden zu können. Träger des sogenannten AGH-Projekts (AGH steht für Arbeitsgelegenheiten) ist der Verein In Via. Er betreibt neben dem Harburger Sozialkaufhaus ein zweites in Hammerbrook, das ebenfalls vor dem Aus steht.

Vergangene Woche hat Projektleiterin Sorokowski von den konkreten Schließungsplänen für Harburg erfahren. Sie sind Teil einer vom Bund verordneten Sparmaßnahme für das Jobcenter Hamburg. Nach Schätzung der Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) Arbeit Hamburg, dem Dachverband der Hamburger Beschäftigungsträger, müssen in 2024 wohl 15 Millionen Euro eingespart werden – mehr als die Hälfte davon bei der Förderung von Langzeitarbeitslosen, so die LAG Arbeit.

Jobcenter Hamburg spart vor allem bei Langzeitarbeitslosen

Insgesamt sind 800 Langzeitarbeitslose in 34 Projekten betroffen. „Menschen, die nicht mehr oder noch nicht für den ersten Arbeitsmarkt fähig sind, haben nun kaum noch eine Chance, sich zu beweisen“, sagt Sorokowsi. Im Harburger Projekt können sie im Verkauf oder in der Verwaltung arbeiten, im Bistro „Café fair“, in der Möbel- oder Textilwerkstatt, im Lager sowie als Fahrer, um gespendete Möbel abzuholen oder beim Kunden anzuliefern. „Wir sind hier eigentlich immer ausgebucht. Die Leute kommen gern. Einige warten darauf, vom Jobcenter zugewiesen zu werden.“

Drei Frauen aus dem 60-köpfigen Mitarbeiterteam (v.l.): Andrea Schwartz, Sandra Etzroth und Petra Möller halten die geplante Schließung des Sozialkaufhauses gerade für die Kundschaft für eine Katastrophe.
Drei Frauen aus dem 60-köpfigen Mitarbeiterteam (v.l.): Andrea Schwartz, Sandra Etzroth und Petra Möller halten die geplante Schließung des Sozialkaufhauses gerade für die Kundschaft für eine Katastrophe. © HA | Angelika Hillmer

Am Montagvormittag herrscht im 2010 eröffneten Kaufhaus reges Treiben. Überall sind Kunden zu sehen, viele suchen nach Kleidung, Schuhen, Hausrat. „Hier ist derzeit viel los. Ich glaube, die Kunden bekommen Panik“, sagt Verkäuferin Andrea Schwartz. Wie alle Kollegen bedauert sie die Schließung sehr: „Wir sind hier ein soziales Zentrum, in dem nicht nur eingekauft wird. Eine Kundin trifft sich öfters mit ihrer Freundin im Café. Draußen geht das nicht, das ist viel zu teuer.“

Schwartz wohnt in Wilstorf und arbeitet seit eineinhalb Jahren am Küchgarten. Ihr Job endet zwar im September. Dennoch sei die spätere Schließung für sie persönlich ein großer Verlust: „Dann kann ich hier nicht mehr einkaufen.“

„Das ist hier wie eine Familie, ich habe echte Freundinnen gefunden“

Kollegin Petra Möller, vierfache Mutter aus Wilhelmsburg, sagt, es habe sie sehr mitgenommen, als sie von der geplanten Schließung hörte: „Das ist sehr schrecklich. Das Kaufhaus sollte erhalten bleiben.“ So sieht es auch Sandra Etzroth aus Hamm, die seit sieben Monaten im Harburger fairKauf-Haus arbeitet: „Ich fühle mich sehr wohl hier und bin stolz, dass ich das gut hinkriege, denn ich war 20 Jahre drogenabhängig.“

Sie freue sich jeden Tag auf die Arbeit: „Das ist hier wie eine Familie, ich habe echte Freundinnen gefunden. Einmal im Monat gehen wir in Heimfeld gemeinsam kegeln.“

Auch Flüchtlinge helfen im Sozialkaufhaus aus, um ihre Sprachkenntnisse zu verbessern

Die Arbeit stärkt nicht nur das Selbstwertgefühl vieler Langzeitarbeitsloser oder Flüchtlinge, sie hilft auch bei der Qualifikation für den ersten Arbeitsmarkt. Sorokowski: „Wir führen mit allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern monatliche Entwicklungsgespräche und können den Jobcentern rückmelden, wo Vermittlungshemmnisse sind. Die Betroffenen informieren wir über bestehende Coaching- oder Sprachangebote.“ Es gebe auch Flüchtlinge, die ein oder zweimal in der Woche ehrenamtlich im Kaufhaus aushelfen, um ihre Sprachkenntnisse zu verbessern.

Ein weiterer Vorteil sei die Stärkung des Bewusstseins für eine nachhaltige Lebensweise, sagt die Projektleiterin: „Bei uns wird alles recycelt, auf- und umgearbeitet. Nichts landet auf dem Müll. Die Belegschaft und die Kunden tragen diesen Nachhaltigkeitsgedanken in ihre Familien, zu ihren Bekannten.“

Das Café fair im ersten Stock bietet von Dienstag bis Freitag Mittagstische für „einkaufsberechtigte Personen“ an. Am Montagmittag genießen Mitarbeiterinnen eine kurze Auszeit auf der beschatteten Terrasse, mit mitgebrachten Speisen. Im Café seien auffällig viele Rentner zu Gast, sagt Sorokowski und zitiert einen Kunden: „Ich kann mir keinen Fisch vom Markt leisten. Aber bei Ihnen gibt es freitags Fisch!“

Sozialkaufhaus Harburg: Preiswerter Mittagstisch, Lieferservice beim Möbelkauf

Wie entsetzt die Kundschaft ist, zeigen Reaktionen auf eine Unterschriftenaktion, die Marianne Sorokowski am vergangenen Mittwoch ins Leben rief: „Einige Kunden nahmen sich spontan eine Liste und gingen auf die Straße, um Unterschriften zu sammeln. Andere nahmen sich Listen mit, um in der Nachbarschaft oder in der Schule ihrer Kinder zu sammeln.“ Schon in den ersten beiden Tagen kamen rund 400 Unterschriften zusammen – ohne die Rückläufe aus der sammelwütigen Kundschaft.

Sie verstehe nicht, dass gerade eine soziale Einrichtung nahe eines Brennpunktgebietes wie das Phoenix-Viertel geschlossen werde, sagt Andrea Schwartz. Günstige Kleidung sei ja vielleicht noch woanders in Harburg zu bekommen, aber vor allem bei den Möbeln werde es schwierig: „Ich habe schon Aussagen gehört wie: Die Leute können bei Ebay Kleinanzeigen kaufen. Aber unsere Kunden haben kein Auto. Und Ebay Kleinanzeigen keinen Fahrdienst.“