Man merkt schnell, dass der 66-Jährige in Harburger Vereinen bis vor kurzem noch aktiv Fußball gespielt hat. Mit schnellen Schritten eilt Michael Knepper in seiner alten Eißendorfer Reedervilla die schmalen Holztreppen hoch. Kaum Zeit bleibt dem Besucher da für einen kurzen Rundumblick: Offene Küche, hohe Decken, viel Kunst: an der Wand ein Collage-Bild von ihm mit Szenen aus dem Motorrad-Kultfilm Easy Rider und Größen der Rockmusik. Sieben Jahre lang habe er fast nur Motorrad-Bilder für den US-
Markt gemalt, sagt Knepper kurz. Doch davon will er später erzählen. Jetzt geht es erst einmal hoch in sein Atelier.
Und dort prallt der Besucher regelrecht kurz zurück. Das riesige Porträt einer jungen Frau beherrscht den Raum. Stacheldraht umkränzt ihr Gesicht, bis in feinste Haarsträhnchen zeigt das Bild Details: zarte Sommersprossen, erste, ganz kleine Falten an den Augen. Detailscharf wie ein hochauflösendes Foto und doch irgendwie lebendiger mit mehr Tiefe. „Man braucht Jahrzehnte, um so malen zu können, das ist vor allem Übung“, sagt Knepper, der hier das Porträt einer Freundin gemalt hat, die mit ihren störrischen, festen roten Haaren zu kämpfen habe, was denn auch der Stacheldraht symbolisieren soll.
Es ist eine freie Arbeit ohne konkreten Auftrag, die der Harburger Künstler hier geschaffen hat. Fotorealismus, Anklänge bei Fantasy, aber auch hin und wieder abstrakte Werke – das prägt die Arbeiten von Knepper, der inzwischen völlig von seiner freien Kunst lebt und jetzt in der Hamburger Deichstraße eine neue Ausstellungsreihe quasi eröffnet. Die dortige Galerie hat dazu einen neuen Raum bekommen, den „Kunstraum“, wo künftig jeden Monat ein anderer Künstler seine Werke ausstellen wird. Michael Knepper zeigt vor allem solche fotorealistischen Motive, viele davon hat er mit einer Botschaft verbunden:
Da steht beispielsweise ein kleines Mädchen ratlos vor einem Berg aus toten Walen.
Die Tiere liegen dort mit leerem Blick, sind offensichtlich in Massen gestrandet. „Das war Selbstmord, aus Verzweiflung“, erläutert Knepper. „Vermächtnis einer Generation“, heißt das Bild und meint eben die Verschmutzung der Meere mit kleinsten Kunststoffteilchen, die wir unseren Kindern hinterlassen. Ein Thema, das immer wieder bei Knepper auftaucht und zu dem ihn sein Bruder, ein Chemie-Professor, animiert hat, der dazu forscht. „Das Zeug reichert sich im Körper an, wir wissen gar nicht, was da auf uns zu kommt“, sagt Knepper und verweist auf das kleine Mädchen, das dort so unwissend vor dem drohenden Unheil steht.
Verstörend sind solche Motive manchmal und faszinierend zugleich. Und das vor allem durch diese verblüffend detailscharfen Darstellungen, sie wirken wie eine tatsächlich fotografierte Fantasiewelt. Diese Art der Kunst dürfte viel mit dem eigentlichen Beruf des Illustrators zu tun haben, den er gut 30 Jahre ausübte und ihn zu solcher Darstellungskunst trainierte.
Aufgewachsen ist Michael Knepper als Sohn eins Handwerkers in einem kleinen Ort im Hunsrück. Hier lernte er zunächst Autoschlosser, machte sein Abitur und studierte Visuelle Kommunikation in Trier. Anschließend arbeitete er zunächst in einer Werbeagentur in München und machte sich 1982 bereits als freier Illustrator selbstständig.
Anfang der 90er bekam seine Frau einen neuen Job in Hamburg und die beiden zogen mit ihrem Sohn in den Norden. „Für mich ist es ja egal, wo ich arbeite“, sagt Knepper. Freunde berieten die beiden bei der Haussuche: „Bloß nicht nach Harburg, bloß nicht WL“, wurde ihnen geraten.
Doch dann entdecken sie die alte Villa in dem hügeligen, waldreichen Eißendorf an der Beerentaltrift und wurden von einem Makler prompt übers Ohr gehauen. Dass Wasser- und Stromleitungen längst gekappt waren, hatte er ihnen verschwiegen. Viel sanierte Knepper hier selbst, setzte Stuck an die hohen Decken, legte neue Böden und verwandelte das um 1911 gebaute Haus in ein Gebäude, das so auch irgendwo in den Südstaaten der USA stehen könnte, wie er sagt. In Hamburg arbeitet er weiter als Illustrator, entwickelte für namhafte Unternehmen Plakate und Illustrationen und schuf Titelbilder für die großen Hamburger Magazine. In den 90ern entdeckte er nach 20 Jahren Pause auch seine Leidenschaft fürs Motorradfahren wieder. „Jetzt konnte ich mir das wieder leisten“, sagt Knepper, der sich eine große Harley, eine „Fat Boy“, zulegte. Und so bekam er Kontakt in die Biker-Welt, mancher ließ sich und die eigene Maschine gerne von ihm porträtieren.
Die große Harley-Szene in den USA wurde auf ihn aufmerksam. Oft flog er dorthin, lebte den Traum von Easy Rider und Rockmusik - ebenfalls eine Leidenschaft aus Studententagen, als er Schlagzeuger in einer Band gewesen war. Schließlich meldete sich ein amerikanischer Kunstagent bei ihm. Knepper malte nun Szenen mit harten, langhaarigen Kerlen und schweren Maschinen, fotorealistische Poster, die so manchen Clubraum zieren dürften. Seine limitierten Drucke verkauften sich so gut, dass sie schließlich Grundstein für ein neues, freies Künstlerleben wurden, wo er auch seine Botschaften ausdrücken kann.
„Ich merkte plötzlich, dass man davon leben kann – ganz ohne den Termindruck“, sagt Knepper, der auch heute noch Harley fährt: Einen Chopper, der aus einem zwar nagelneuen Motorrad entstanden ist, aber aussieht, als wäre er uralt und restauriert: Maschinenblock, Rahmenteile und Lenker sind in einem patinierten, metallischen Ton lackiert, am Tank leuchtet eine rötliche Kunstharzschicht. Ein bisschen nach Mad Max sieht das schwere Gerät aus, eben wie aus einer fotorealistischen Traumwelt in die Realität gekommen. Auch hier bleibt sich Knepper treu. Er verkauft seine Kunst eben nicht nur, er lebt sie auch.
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