Zweiter Teil der Serie über den Apfel, unser liebstes Obst. Heute: Der Apfel als Symbol für Liebe und Sünde

Kaum eine andere Frucht beschäftigt die Menschen so sehr wie der Apfel. Ein Apfel war es, der auf das geniale Haupt des Physikers Isaac Newton fiel und so den Impuls dafür gab, dass er ergründete, warum Bälle immer auf dem Boden landen und nicht im Himmel hängen bleiben. Der Apfel steht für gesunde Nahrung schlechthin, ist Sinnbild für die Ursünde, beliebtes Stillleben-Motiv, Liebesorakel und Symbol der Hoffnung. Grund genug für das Freilichtmuseum am Kiekeberg, dem Apfel eine eigene Ausstellung zu widmen. Für das Abendblatt erläutern Experten des Museums unterschiedliche Facetten der Frucht. Heute: der Apfel als Symbol für Liebe und Sünde.

In christlicher Tradition steht der Apfel für die Versuchung schlechthin. Dabei ist in der Bibelstelle über das Ende der Unschuld von einem Apfel gar keine Rede. Es kann also durchaus sein, dass es gar nicht ein Apfel war, der Eva zum Verhängnis wurde. Im ersten Buch Mose, das erzählt, wie Adam und Eva von der Schlange verführt werden, wird lediglich eine verbotene Frucht erwähnt. Auch Werner Steinmann Pastor der Erlösergemeinde in Vahrendorf, hat Zweifel daran, dass die Bibelstelle richtig gedeutet wurde. „Es könnte sehr gut sein, dass die verbotenen Früchte, von denen die Rede ist, Weintrauben, Feigen oder auch Getreide waren“, sagt Steinmann.

Der 62-Jährige führt den Apfel als Symbol für den Sündenfall auf das Wort lateinische Wort malum zurück. Mit langem a heißt es übersetzt Apfel, mit kurzem a steht es für das Schlechte und Böse. „Und so hat der Apfel als Symbol der Versuchung in der christlichen Tradition Eingang gefunden“, sagt Steinmann.

Das Christentum kennt den Apfel aber auch als positives Symbol. Nicht umsonst hängen Christen Äpfel an den Weihnachtsbaum. Deshalb schlägt Pastor Steinmann den Bogen zur Geburt von Jesus Christus. Mit dem Apfel ist die Sünde zwar in die Welt gekommen. „Aber mit Jesu Geburt wird das negative Symbol überwunden, und die Tür zum Paradies öffnet sich wieder“, sagt Steinmann. Für den Pastor aus Vahrendorf ist der Apfel ein Symbol mit vielen Facetten und der für Verführung und Erlösung zugleich steht.

Steinmann ordnet den Sündenfall ohnehin nicht einer moralischen Kategorie zu. „Die Paradiesgeschichte soll vielmehr die Entfremdung des Menschen von Gott verdeutlichen, die grundsätzliche Zerrissenheit des Menschen“, so Steinmann. Dabei werde ein mythologischer Zusammenhang gewählt, „um zu erklären, was sonst nicht zu erklären ist“.

In der Bibel taucht der Apfel jedoch auch als Liebessymbol auf, beispielsweise im Hohelied Salomos: Wie ein Apfelbaum unter den Bäumen des Waldes, so ist mein Geliebter unter den Söhnen – und seine Früchte sind süß meinem Gaumen. „Hier bekommt der Apfel in der Beziehung von Mann und Frau eine sehr sinnliche Bedeutung und ist Ausdruck der Lebensfreude, wie man sie in der biblisch-jüdischen Tradition immer wieder finden kann“, sagt Steinmann.

Auch auf Friedhöfen findet sich der Apfel wieder. Hier steht die Frucht vor allem für die Hoffnung. Im vergangenen Jahr wurde auf dem Hamburger Friedhof Ohlsdorf ein Apfelhain für Urnen- und Sarggräber angelegt. In dem Zusammenhang wird auch gerne auf das Luther-Zitat verwiesen: „Auch wenn ich wüsste, dass morgen die Welt zugrunde geht, würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen.“ Ähnliches versuchen Hinterbliebene offenbar mit Apfelschmuck auszudrücken, das sie auf dem Grab niederlegen als Ausdruck der Zuversicht und Hoffnung.

Thomas Schürmann, ehemaliger Leiter der Abteilung Volkskunde im Freilichtmuseum am Kiekeberg, hat herausgefunden, das der Luthersche Spruch ein Zeugnis des 20. Jahrhunderts ist. In seinem Essay „Streiflichter zur Bedeutung des Apfels“ im Begleitbuch zur Ausstellung „Der Apfel – Kultur mit Stiel“ beschreibt Schürmann, dass der Spruch zum ersten Mal in einem Rundbrief der hessischen Kirche vom Oktober 1944 aufgetaucht ist. „In einer Situation also, in der man Hoffnung gut gebrauchen konnte“.

Die Paradiesgeschichte ist nicht unbedingt eine, die Pastor Steinmann regelmäßig von der Kanzel predigt. Er findet, dass die Zuhörer sehr viel Vorwissen haben müssten, um die Geschichte richtig einordnen zu können. Bei Gottesdienstbesuchern, zu denen Menschen aller Altersstufen zählen, keine einfache Aufgabe. „Da hat jeder eine andere Vorstellung“, sagt Steinmann. Aber er denkt darüber nach, in einem seiner Gottesdienste die Paradiesgeschichte am Symbol des Apfels verständlich zu machen. Vielleicht verteilt er also demnächst an seine Zuhörer Äpfel und erklärt, was es auf sich hat mit der Vertreibung aus dem Paradies.