Der ehemalige Betriebsrat blitzt bei der Kulturbehörde mit seinem Wunsch nach einem Hinweisschild an die ehemaligen Zwangsarbeiter in der Merkel-Fabrikhalle ab.

Wilhelmsburg. Wir blicken gut 70 Jahre zurück. Der Zweite Weltkrieg tobte mit all seinen Schrecken. Damit die Kriegsmaschinerie laufen konnte, waren in Industrieunternehmen Deutschlands Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter beschäftigt. So auch bei den Asbest- und Gummiwerken Martin Merkel an der Sanitasstraße 17-21 in Wilhelmsburg.

48 Zwangsarbeiterinnen aus Russland waren beispielsweise 1942 ins Unternehmen geschickt worden, darunter die damals 20 Jahre alte Maria Brodskaja aus dem Bezirk Tscharkow in der Ukraine. Das vom Freundeskreis der KZ-Gedenkstätte Neuengamme initiierte Besuchsprogramm des Hamburger Senats hatte es 2002 ermöglicht, dass die inzwischen verstorbene Maria Brodskaja im Alter von 80 Jahren noch einmal die Stätte ihrer Zwangsarbeit besichtigen und Erinnerungen auffrischen konnte.

Diese Begegnung, an der auch Rudolf Schmidt, 77, aus Meckelfeld teilgenommen hatte, führte nun zu einer Initiative, die im ersten Anlauf für Schmidt sehr enttäuschend war und ihn - wie er sagt - auch sehr traurig gestimmt habe. Seine Idee war es, an dem letzten in der Sanitasstraße noch verbliebenen Gebäude der Firma Merkel eine Tafel zum Gedenken an die vielen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter anbringen zu lassen.

Kulturbehörde lehnt Gedenktafel ab

Bis auf die stehen gebliebene Fabrikhalle in Sanitasstraße/Veringkanal sind alle anderen alten Fabrikgebäude inzwischen abgerissen worden. Das noch erhaltene Gebäude befindet sich in städtischem Besitz und wird von der Sprinkenhof AG verwaltet. Es wird für das Projekt "Künstler-Community" der Internationalen Bauausstellung (IBA 2013) umgebaut und soll im Oktober eingeweiht werden. Für Künstler werden Atelierräume eingerichtet.

Rudolf Schmidt war von 1966 bis 1999 bei Merkel beschäftigt, war Haustechniker und Betriebsrat, hatte - wie er sagt - einen sehr guten Kontakt zur Familie Merkel. Und dass im Unternehmen, das inzwischen seinen Sitz an der Industriestraße in Wilhelmsburg hat, zu Kriegszeiten Zwangsarbeiter beschäftigt waren, das sei ihm erst durch das Besuchsprogramm des Senats bewusst geworden. Schmidt: "Ich habe dann auch erfahren, dass der damalige Chef Martin Merkel in seinem Taschenbuch alle Namen und Geburtstage der Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter notiert hatte.

Mit seinem Wunsch, eine Gedenktafel mit den Namen an dem Gebäude anbringen zu lassen, ist Schmidt bei der Hamburger Kulturbehörde abgeblitzt. Und auch der Freundeskreis der KZ-Gedenkstätte Neuengamme konnte ihm nicht die gewünschte Unterstützung zukommen lassen. Im Gegenteil: Die Kulturbehörde hatte ihre Ablehnung sogar auf eine Einschätzung des Freundeskreises gestützt. Heiner Schultz, 79, aus Neugraben, Sprecher des Freundeskreises: "Man kann der Tatsache, was damals geschehen ist, einfach nicht gerecht werden.

„Ich möchte die Erinnerung wach halten“

Unsere ganze Industrie konnte nur produzieren, weil bis zu 80 Prozent der Belegschaft Zwangsarbeiter waren. Bis zu einer halben Million Menschen waren als Zwangsarbeiter in der Stadt. Wir könnten die ganze Stadt mit Gedenktafeln zupflastern. Dann verfehlen die Tafeln ihren Sinn, weil niemand mehr hinschauen würde."

Rudolf Schmidt hatte sich mit seinem Ziel, eine Gedenktafel an dem Fabrikgebäude anbringen zu lassen, zunächst mit dem Wilhelmsburger Bürgerbüro in Verbindung gesetzt. Das Bürgerbüro hatte die Kulturbehörde eingeschaltet und die Kulturbehörde teilte nach Rücksprache mit dem Freundeskreis der KZ-Gedenkstätte Neuengamme auszugsweise mit: "Der Anregung für eine Gedenktafel wollen wir aus dem übergeordneten Gesichtspunkt nicht folgen, weil sich Unrecht wie es der genannten Zwangsarbeiterin geschehen ist, für fast jeden Straßenzug Hamburgs nachweisen lässt.

Anhaltspunkt dafür sind die Zahl und geographische Verteilung der 1500 Zwangsarbeiter-Unterkunftslager auf Hamburger Stadtgebiet." Rudolf Schmidt: "Diese Antwort hat mich sehr traurig gemacht. Ich hatte den Krieg als Kind erlebt. Meine Mutter war ums Leben gekommen, mein Bruder verletzt. Mein Vater, der im Widerstand war, saß im KZ-Fuhlsbüttel. Ich möchte ganz einfach die Erinnerung wach halten, gegen das Vergessen.

Das Hamburger Abendblatt brachte Heiner Schultz und Rudolf Schmidt vor dem künftigen Ateliergebäude zusammen. Heiner Schultz schlug vor, die Künstler als künftige Nutzer des alten Merkel-Gebäudes eine Entscheidung treffen zu lassen, auf welche Weise sie an die Vergangenheit des Gebäudes erinnern möchten. Schmidt: "Ich werde mit den Künstlern sprechen, sobald sie eingezogen sind."