Die Schüler erforschen den etwa 40.000 Bände umfassenden Bücherschatz ihrer Schule und machen dabei faszinierende Entdeckungen.

Stade. Sie tragen weiße Handschuhe und schlagen behutsam Buchseiten um. Von der "Idyllendichtung" als Miniatur bis zum ledergebundenen Prunkatlas im gewaltigen Riesenformat reicht der Jahrhunderte alte Bücherschatz, mit dem sich 21 Gymnasiasten des elften Jahrgangs am Stader Athenaeum derzeit wissenschaftlich befassen. Sie wollen mit Geschichtslehrer Lars Hellwinkel bibliografische Geheimnisse aus den Tresoren ihrer Historischen Bibliothek erforschen. Sie beteiligen sich damit als eine von sieben niedersächsischen Schulen an dem von der Deutschen Stiftung Denkmalschutz initiierten Programm "denkmal aktiv - Kulturerbe macht Schule". Und sie zeigen, dass alte Bücher auch junge Menschen faszinieren.

Helge Jentsch will erforschen, welche Zeitzeugnisse der Abt Albert von Stade in seiner 1608 veröffentlichten "Historiographia Alberti" überliefert hat. So monströs wie das mit edlen Lettern geprägte Buch ist auch die wissenschaftliche Herausforderung. "Die Ausgabe ist komplett auf Latein verfasst, das ist schon nicht einfach zu ergründen", sagt er. Dennoch ist sein Forscherdrang geweckt und er hat bereits herausgefunden, dass der Abt eine Art Weltchronik verfasste. "Seine Informationen sammelte er offenbar im Stader Hafen, wo Reisende und Pilger ihm berichteten. Ich will nun über seine Biografie ergründen, in welchem Zeitraum er seine Aufzeichnungen sammelte." Er habe sich extra dieses Buch ausgesucht, um vom Stader Johanniskloster aus, wo der Abt vermutlich lebte, auf Spurensuche zur Stadthistorie zu gehen.

Sein Mitschüler David Peter untersucht eine großformatige Weltatlas-Edition von 1653. "Ich habe Kontakte in die Niederlande aufgenommen, um zu erforschen, ob der Atlas vom seinerzeit berühmten Kartografen und Kupferstecher Joan Blaeu stammt." Sein ehrgeiziges Ziel ist es, Erfassungsprotokolle zu jedem der historischen Bücher zu erstellen und sie zu katalogisieren. Seit 2010 wird im Seminarfach "Verborgenes Wissen" in Zusammenarbeit mit dem Landschaftsverband Stade und dem Staatsarchiv daran gearbeitet. Lehrer Lars Hellwinkel sieht das Projekt als beispielgebend, wie im modernen Medienzeitalter auch mit historischen Büchern Interesse an der Wissenschaft geweckt werden kann. "Die Schüler entwickeln so ein Bewusstsein für Denkmäler und Kulturgut."

Die Wiederentdeckung der Historischen Bibliothek bekommt besonders mit Blick auf das 425-jährige Bestehen des Athenaeums im kommenden Jahr eine besondere Bedeutung. "Der Grundstein für die Bibliothek, die heute etwa 40.000 Bände im Bestand hat, wurde 1823 gelegt", sagt Hellwinkel. Die Schüler wollen nun mit Hellwinkel die Bände so katalogisieren und nach Fachgebieten ordnen, dass sie von Schülern und der Öffentlichkeit in der wissenschaftlichen Bibliothek genutzt werden können. Fachlichen Austausch pflegen sie bereits mit dem Hamburger Gymnasium Christianeum und dem Dom-Gymnasium Verden, die vergleichbare Bibliotheken haben. Bis dahin ist es allerdings noch ein weiter Weg für die Gymnasiasten. Denn zwei Drittel des historischen Bücherschatzes lagere noch in Kisten und ohne weitere finanzielle Unterstützung sei ein solches Projekt nicht zu stemmen, zumal es für die historische Büchersammlung im Athenaeum auch ein Platzproblem gebe, so Hellwinkel. Seit 2008 haben Sponsoren das Projekt mit insgesamt 30.000 Euro unterstützt.

Die Schüler sehen in der Mammutaufgabe allerdings keinen Pflichtauftrag zwischen angestaubten Wälzern. "Ich liebe Bücher", sagt Jacqueline Brinkmann. "Als ich dieses Seminarfach und die "denkmal"-Aktion entdeckte, war ich sofort neugierig." Da seien noch echte Geheimnisse auf Latein, in Griechischer Mythologie und dem Zeitgeist von früher zu entdecken. Keke Kolster ist in eine 188 Jahre alte Ausgabe von Lessings "Emilia Galotti" vertieft. "Lessing, Klopstock, die Geschichte unserer Schule, all das ist für mich unglaublich spannendes Kulturgut."