Fördern & Wohnen will die Wohneinrichtung Wetternstraße erweitern. Anwohner protestieren. Das Abendblatt durfte sich vor Ort umsehen.

Harburg. Ortstermin in der Wohnunterkunft für Obdachlose an der Wetternstraße 6 in Neuland. Fördern & Wohnen bietet hier als Anstalt öffentlichen Rechts im Auftrag der Hamburger Sozialbehörde 190 Menschen ein Dach überm Kopf auf einfachstem Niveau: Zweibettzimmer mit Strom und Heizung, Schrank, Tisch, Stühle. Auf den Fluren Gemeinschaftsküche und Sanitärräume mit WC und Dusche. Asylbewerber zählen zu den Bewohnern und Menschen ohne Hab und Gut, die sich aus unterschiedlichsten Gründen keine Mietwohnung mehr leisten können, unter anderem wegen Ehetrennung, hoher Verschuldung oder auch wegen Drogen- oder Alkoholsucht.

Fördern & Wohnen betreibt in Hamburg Unterkünfte mit insgesamt 9000 Bettplätzen. Und das Angebot reicht nicht aus. Bis Ende 2014 sollen in der Stadt 500 weitere Plätze geschaffen werden, davon bereits ab kommendem Jahr 130 in Neuland - aufgeteilt in 20 zusätzlich Plätze an der Wetternstraße und 110 in einer neuen Anlage aus sechs Wohncontainern an der Straße Lewenwerder/Communionsweg. Eine Bürgerinitiative wollte - wie berichtet - gegen "weitere Massenunterkünfte für Flüchtlinge und Wohnungslose im Bezirk Harburg" ein Bürgerbegehren starten, verfehlte aber knapp die notwendige Anzahl gültiger Unterschriften.

Die mehr als 100 Mitglieder zählende Bürgerinitiative Wetternstraße bedauert das Scheitern des Bürgerbegehrens. "Wir sind nicht ausländerfeindlich, ich stamme selbst aus Polen und habe in einer Unterkunft für Asylbewerber gelebt," sagt Ivone Mazurkewic, Sprecherin der Initiative, "deshalb setzen wir uns ein für die Einrichtung kleinerer, menschenwürdigerer Unterkünfte mit maximal 40 Plätzen, verteilt über das gesamte Stadtgebiet und nicht konzentriert auf einzelne Bezirke."

Die Unterkunft an der Wetternstraße befindet sich etwa 500 Meter Luftlinie östlich des Harburger Bahnhofs. Außer Gewerbe, Industrie und kleineren Siedlungshäusern gibt es in der Umgebung nicht viel zu sehen. An der Zufahrt von der Hörstener Straße zur Wetternstraße gab es mal die Kneipe "Treffpunkt" mit Frühstück ab sieben Uhr. Aber Türen und Fenster sind schon seit vielen Jahren mit Brettern zugenagelt. Bewohner der Unterkunft gehen die Straße entlang, auf dem Weg in die Stadt zum Einkaufen oder auf dem Rückweg mit vollen Tüten.

Andrea Picker, Regionalleiterin von Fördern & Wohnen, zuständig für 13 Einrichtungen in Hamburg-Mitte und -Harburg, Unterkunftsleiter Holger Wüpper und Sozialarbeiterin Evelyn Lübke geben derweil Auskunft zum Betrieb der Einrichtung. Von der Straße aus ist nur das denkmalgeschützte sogenannte Haus Nummer 1 gut zu erkennen, ein viergeschossiger, roter Backsteinbau, mehr als 100 Jahre alt. Zehn Räume mit 20 Betten befinden sich in den oberen Etagen, im Erdgeschoss die Büros von Unterkunftsleitung und Sozialberatung. "Das war mal eine Polizeikaserne", sagt Wüpper, "dazu gehörten drei weitere gleichartige Gebäude. Die waren nicht denkmalgeschützt und sind in den Jahren 2003 bis 2010 abgerissen worden. Stadtgefängnis und Armenhaus waren zeitweise in der Polizeikaserne. Es gab hier auch ein Barackenlager. Obdachlose haben hier schon vor dem Krieg gewohnt, zeitweise mehr als 300 Menschen." Das denkmalgeschützte Haus Nummer 1 wird derzeit saniert. Die Wohnunterkunft bekommt auch eine Satellitenanlage mit gut 2000 Fernsehprogrammen. Empfangsteil und Fernseher müssen Bewohner selbst besorgen.

Hinter Haus 1 ist erst kürzlich das Grundstück vom Kampfmittelräumdienst nach Bombenblindgängern abgesucht worden. Auf dem Gelände sollen zwei moderne Häuser gebaut werden, mit größeren, familiengerechten Räumen und insgesamt 70 Betten. Der Bauantrag dafür ist nach den Worten von Andrea Picker gestellt, die Baugenehmigung liegt noch nicht vor. Dafür soll dann ein 50 Betten zählender Wohnblock aus der Nachkriegszeit, das sogenannte Haus Nummer 5, abgerissen werden. So ergibt sich das Plus von 20 Plätzen auf dem Gelände. Weitere 120 Unterkunftsplätze sind seit rund 20 Jahren in fünf grauen, zweigeschossigen Holzhäusern auf dem hinteren und von der Straße kaum einsehbaren Grundstücksabschnitt eingerichtet. Von derzeit 190 auf 210 wird sich die Gesamtzahl der Unterkunftsplätze nach dem Ausbau erhöht haben. "Wir haben hier eine rege Fluktuation", sagt Sozialarbeiterin Evelyn Lübke, "pro Monat einen Wechsel von 30 bis 40 Bewohnern." Vergangenen Freitag waren 181 Bewohner aus 35 Nationen im Haus, der jüngste 18 Jahre alt, der älteste 75 Jahre. Einige wohnen auch dauerhaft hier, weil sie ohne Papiere zumeist aus Afrika eingereist sind und ihnen kein Herkunftsland nachgewiesen werden kann, in das sie zurück geschickt werden können. Die Einrichtung an der Wetternstraße gilt als reine Männerunterkunft. Nach Fertigstellung der Neubauten sollen - so Andreas Picker - auch Familien bei Bedarf untergebracht werden können.

Die in der Bürgerinitiative Wetternstraße zusammengeschlossene Nachbarschaft hat in monatlichen Sitzungen am "runden Tisch" ihre Bedenken gegen die Erweiterungsbauten eingebracht und laut Sprecherin Mazurkewic erreichen können, dass die Wohnanlage auch nachts und an Wochenenden, wenn die Aufsichts- und Beratungskräfte von Fördern & Wohnen nicht vor Ort sind, von einem Wachdienst kontrolliert wird. Mazurkewic sagt, es sei von Nachbarn gesehen worden, dass in den Häusern häufig auch Fremde übernachteten. Alkohol und Drogen würden konsumiert. Häufiger käme es zu Schlägereien.

Erst Anfang September gab es einen größeren Polizeieinsatz. Bernd Kähler, SPD, stellvertretender Vorsitzender des Bezirks-Sozialausschusses und Teilnehmer am Runden Tisch: "Die Nachbarschaft fühlt sich nicht von den Bewohnern der Einrichtung bedroht, wohl aber von Besuchern." Mazurkewic sagt, sie habe selbst schon schlechte Erfahrungen gemacht, habe helfen wollen, sei aber an Kriminelle geraten und betrogen worden. Am 1. November hat die Bürgerinitiative einen Gesprächstermin bei Bezirksamtsleiter Thomas Völsch und Bürgerservice-Dezernent Bernhard Schleiden. Dann soll es darum gehen, dass die Anwohner der Wetternstraße von der Verwaltung über alle Pläne und Veränderungen in ihrer Umgebung rechtzeitig informiert werden.