Die 71-Jährige aus Tespe will nicht alleine alt werden. Jetzt sucht sie Gleichgesinnte, die im “Haus Sonnenschein“ leben möchten.

Tespe. Als Irmtraud Viertel vor 47 Jahren von Hamburg-Winterhude nach Tespe zog, war sie Pionierin in der Elbmarsch. "Junge Familien können erschlossenes Baugebiet in der Elbmarsch bekommen", hatte ihr Mann auf dem Schwarzen Brett bei der Polizei gelesen. Genau da wollte das Ehepaar hin: raus aus der Stadt ins Grüne. Auf dem Land eine Familie gründen, der Mann verdient das Geld, und die Frau kümmert sich um die Kinder. So der Plan.

700 Menschen wohnten damals in Tespe, heute sind es 4000. "Wir waren das dritte Neubauhaus mit einem 2000 Quadratmeter großen Schlauchgrundstück", sagt Irmtraud Viertel, "um uns herum waren nur Wiese und Wald. Wir konnten die Rehe und die Fasane sehen, und manchmal kamen Kühe aufs Grundstück und haben den Garten abgeräumt."

Irmtraud Viertel bekam drei Töchter. Das Leben war gut und schön - bis zu einem Tag im Jahr 1986. Die Tesperin bekam einen Anruf, morgens um 11 Uhr: "Ihr Mann ist bei einem Polizeieinsatz in Hohnstorf tödlich verunglückt." Für Irmtraud Viertel war es "der Schock fürs Leben".

Sie widmete ihre Zeit fortan voll dem Ehrenamt: machte - unter anderem - für die SPD Politik im Kreistag und in Ausschüssen, organisierte Ausstellungen in ihrer Töpferterrasse, gab Keramikkurse an der Kreisvolkshochschule, wurde Jugendschöffin am Amtsgericht Winsen und gründete den Förderverein Elbmarschkultur, der 300 Mitglieder hat und dessen 1. Vorsitzende sie ist.

"Ich bin ein Tausendfüßler", sagt Irmtraud Viertel, "nach dem Tod meines Mannes habe ich mein Leben in die Hand genommen." Für ihr ehrenamtliches Engagement ist die Tesperin mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande ausgezeichnet worden und damit eine von rund 244 000 Verdienstordensträgern in Deutschland.

Jetzt ist Irmtraud Viertel 71 Jahre alt und hat ein neues Projekt im Visier - auf ihrem Grundstück: Sie will eine Senioren-Wohngemeinschaft gründen. "WG 60+" heißt der Arbeitstitel.

Ein zweites, 83 Quadratmeter großes Haus hatte die Tesperin bereits vor elf Jahren errichtet. Sie vermietet es an eine 65 Jahre alte Dialysepatientin. In ihrem Haus an der Lüneburger Straße wohnt Jürgen, 63, auf eineinhalb Zimmern im ersten Stock - er war nach seiner Scheidung von Marmstorf erst nach Reppenstedt gezogen und sagt, "ich muss nicht mehr die Großstadt haben, ich liebe das ruhigere Wohnen".

Nun hat Irmtraud Viertel ein drittes Haus auf ihrem Grundstück bauen lassen: das 90 Quadratmeter große "Haus Sonnenschein" mit drei Zimmern, Küche und Bad und zwei Terrassen, seniorengerecht eingerichtet. In dieses "Haus Sonnenschein" soll die "WG 60+" einziehen. "Meine Kinder haben mich gefragt, ob ich bis ins hohe Alter töpfern will oder im Alltag mit Menschen Kontakt haben will", sagt Irmtraud Viertel. "Noch wohnen in 'Haus Sonnenschein' Monteure, aber ich möchte hier eine schöne Wohngemeinschaft für Menschen ab 60 gründen."

Für die Tesperin wäre es ein Albtraum, den Lebensabend allein im Haus zu verbringen. Von morgens bis abends vor dem Fernseher zu sitzen oder vor dem Computer, ist nicht ihr Ding. "Die heutigen Senioren sind nicht die von früher, sondern junge Alte", sagt Irmtraud Viertel, "sie wollen noch aktiv sein, Kontakte pflegen, reisen, ein neues Hobby kennenlernen. Gemeinsam erleben soll das Motto unserer Senioren-Wohngemeinschaft in der Elbmarsch sein."

Zwei bis drei Senioren können in 'Haus Sonnenschein' leben. Das Anforderungsprofil: "Man muss ein Gemeinschaftsmensch sein und möchte der Einsamkeit entfliehen", sagt Irmtraud Viertel. "Eigenbrödler passen nicht in so eine WG. Man sollte gern mit Gleichgesinnten sein. Wir wollen gemeinsam Rad fahren und Karten spielen."

Die Tesperin preist die Vorzüge des Standortes: 17 Vereine hat Tespe zu bieten - vom Frauenchor bis zum Skatverein "Herz 10 Elbmarsch". Die Elbe fließt 700 Meter von "Haus Sonnenschein" entfernt, die Marsch eignet sich für Wanderungen und Radtouren bis nach Hitzacker. Keine Windkrafträder weit und breit, einzig die Fassade des stillgelegten Kernkraftwerkes Krümmel auf der anderen Elbseite stört die Idylle.

Eine Senioren-WG auf dem Land sei eine passende Alternative zum Alleinewohnen und zum Altersheim, meint Irmtraud Viertel. Die Großfamilie, die stets zusammenhalte, gebe es ja auch in der Elbmarsch nur noch auf den Höfen. "Die Kinder sind auch bei uns weltoffen geworden und wollen nicht mehr bei ihren Eltern bleiben. Die müssen dahin, wo die Arbeit ist."

Wer sich für die "WG 60+" interessiert, kann sich telefonisch bei Irmtraud Viertel unter der Rufnummer 04176/551 melden. Sie wirbt mit den Worten: "Man lebt hier in Frieden, hier ist die Welt noch in Ordnung. Der eine guckt nach dem anderen."