Rund 400 Menschen sind auf die regelmäßige Hilfe der Harburger Tafel angewiesen, weil ihre Einkünfte zu gering sind. Helfer gesucht.

Harburg. Eigentlich könnte Ursula Müller in der Weltgeschichte herumreisen, könnte sich ihren Hobbys widmen und all das tun, was Rentner eben so tun. Stattdessen führt die ehemalige Managerin ein Non-Profit-Unternehmen mit mehr als 90 Mitarbeitern in insgesamt vier Filialen. "Nur putzen oder verreisen ist wirklich nichts für mich", sagt die Jesteburgerin.

Vor 16 Jahren stand sie vor der Entscheidung, "ab jetzt nur noch meinem Mann den Haushalt zu führen, oder noch etwas Sinnvolles mit meiner Zeit anzufangen", sagt Ursula Müller. Sie entschied sich für die zweite Option und fing als ehrenamtliche Helferin bei der Hamburger Tafel an. "Aber meine Freundin und ich merkten, dass man dort nicht viel für uns zu tun hat", so Müller. Nach einem Gespräch mit Annemarie Dose, Gründerin der Hamburger Tafel, war die Entscheidung gefallen. Müller und ihre Freundin gründeten in der alten Harburger Post die erste Harburger Tafel. "Wenn ich zurückdenke, waren unsere Anfänge schon sehr abenteuerlich. Wir hatten das Treppenhaus und zwei kleine Kellerräume als Lager und eine Ausgabestelle, in der wir uns ständig auf den Füßen rumgetreten sind, weil kein Platz da war", sagt sie.

Über mangelnde Kundschaft konnten sich die Ehrenamtlichen schon vor 16 Jahren nicht beschweren. Schon damals kamen viele Menschen zur Harburger Tafel, weil ihre Einkünfte einfach nicht ausreichten. Wenn Ursula Müller von den Menschen spricht, die zur Tafel kommen und dort Lebensmitteln bekommen, spricht sie grundsätzlich von ihren "Kunden". Die Tafel, so Müller, "kann die Menschen nicht versorgen, wir können unsere Kunden nur entlasten, damit sie mal mit den Enkeln zum Dom gehen oder ihren Kindern Spielzeug kaufen können, wofür ihr Budget nie ausreichen würde".

Das Prinzip der Tafel ist einfach: Lebensmittelgeschäfte, Discounter und Hotels geben die Lebensmittel an die Tafel ab, die sie nicht mehr verkaufen können. Mit ihren weißen Transportern mit dem Harburger-Tafel Aufkleber holen die Fahrer - alle Mitarbeiter der Tafel arbeiten ehrenamtlich - die Lebensmittel ab. Und die Helfer verteilen diese Lebensmittel gegen einen Obolus von zwei Euro an Menschen, die Hartz IV beziehen oder deren Rente so gering ist, dass sie davon kaum leben können. Für diese zwei Euro gibt es eine ganze Hackenporsche-Ladung Lebensmittel. Was übrig bleibt, liefert die Tafel an Kitas.

Im Jahr 2000 mussten Ursula Müller und ihre Mitstreiter die Räume in der alten Post räumen. Die Arkaden sollten gebaut werden. "Wir haben lange gesucht. Kein Vermieter wollte uns haben. Als die Zeit drängte, bin ich zum damaligen Harburger Bürgermeister Bernhard Hellriegel gegangen und habe ihn gebeten, uns zu helfen. Dann hat er uns die Räume an der Buxtehuder Straße organisiert, wo wir uns sehr wohlfühlen", erzählt Müller.

Mit den Räumen hat sich auch der Kundenstamm der Harburger Tafel vergrößert. Immer mehr alte, alleinstehende Menschen, immer mehr junge, alleinerziehende Mütter sind auf die Unterstützung angewiesen, weil ihr Einkommen nicht ausreicht, um ihre Kinder zu ernähren. An vier Tagen in der Woche teilen die Helfer an der Buxtehuder Straße Lebensmittel aus. Müller schätzt die Anzahl ihrer Kunden auf etwa 400.

Eine von ihnen ist Hannelore Inert. Seit dem 1. Mai dieses Jahres kommt die Rentnerin regelmäßig zur Harburger Tafel. "Bis dahin wusste ich gar nicht, dass einem so sehr geholfen wird, wenn man darauf angewiesen ist.", sagt die 63-Jährige. Da ihr Mann in Langzeittherapie sei, kümmere sie sich allein um ihr Einkommen. Als ihr 400-Euro-Minijob wegfiel, wurde es mit ihrer geringen Rente eng. "So schnell kann es gehen. Man rechnet nicht damit, selbst einmal hier herzukommen, und dann muss man es plötzlich doch tun." Bei der Tafel macht sie sozusagen ihren Wocheneinkauf. Immer freitags füllt sie ihre Tasche mit Obst, Fisch, Brot und vielem mehr. "Die Sachen, die ich hier bekomme, sind wirklich gut. Das ist schöne Ware, die ich dringend gebrauchen kann."

Obwohl ihre Situation nicht leicht ist, sucht sie weiter nach einem Job und sieht ihre Zukunft durchaus optimistisch. "Irgendwann wird es sicher auch wieder besser."

In den vergangenen Jahren haben Müller und die anderen Ehrenamtlichen drei weitere Tafel-Filialen in Buchholz, Winsen und Neuwiedenthal gegründet. Ans Aufhören oder Kürzertreten denkt die 71 Jahre alte Jesteburgerin nicht. Vielmehr beschäftigt sie die Sorge um den Nachwuchs für ihren Mitarbeiterstamm. "Wir brauchen unbedingt Helfer", sagt sie. Eine Sorge aber ist Ursula Müller ab heute los: Der Fuhrpark der Harburger Tafel kann, dank einer Spende von 10 000 Euro der Buchholzer Rotarier, erweitert werden. "Wir werden diese Spende in einen größeren Wagen investieren. Den brauchen wir dringend", sagt sie.