In Buchholz kämpft ein Opern-Tenor seit Jahren gegen den Abriss seines Hauses. Ein Ende des Streits scheint bislang nicht in Sicht.

Buchholz. Ein bisschen war es wie Liebe auf den ersten Blick. Als Prosper-Christian Otto zum ersten Mal die Häuser im Wochenendhausgebiet Lohbergen im Buchholzer Ortsteil Sprötze sah, war er begeistert. Diese Ruhe, diese Idylle und diese Abgeschiedenheit - für den ausgebildeten Tenor erschien das Fleckchen wie der Himmel auf Erden. "Ich hatte eine Cembalistin nach einem Auftritt nach Hause gebracht, und sie wohnte dort", erzählt er. Weil er sich nichts sehnlicher wünschte, als ebenfalls zwischen Wäldern und Hügeln zu leben, bat er sie sofort, ihm Bescheid zu sagen, wenn irgendwo etwas in der Nähe frei werden würde. Ein folgenschwerer Wunsch, wie sich später herausstellen sollte.

Otto selbst wohnte zu diesem Zeitpunkt eigentlich in Hamburg, aber ab und zu in einem Haus in Buchholz, das ursprünglich seinen Ur-Großeltern mütterlicherseits gehört hatte. Dorthin zog er sich zurück, wenn er für sein Gesangsstudium nicht in Hamburg proben konnte, sondern die Abgeschiedenheit des Dorfes brauchte. "Daher kannte ich Buchholz", sagt der gebürtige Herforder. "Sonst wäre ich vermutlich gar nicht auf die Idee gekommen, hierher zu ziehen." Dass ihm seine Begeisterung für das Waldgebiet einen jahrelangen Rechtsstreit einbringen würde, der mittlerweile vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe seinen vorläufigen Höhepunkt gefunden hat, hätte er sich damals nicht gedacht.

+++ Tenor wehrt sich weiter gegen Abriss +++

Schwarzbau. Dieser Begriff klebt wie Pech an dem Holzhaus, das Otto 1983 erwarb und erst einmal grundsanieren musste. "Es war eine komplette Bruchbude." Er schaffte neue Dachziegel an, ließ eine Betonierung um das Haus bauen und die Holzverkleidung erneuern. Im Laufe der Zeit kamen ein Schwimmbecken und kleinere Bauten hinzu. Gerade diese Nebenbauten sind es nun, die Otto laut Verfügung der Stadt Buchholz eigentlich bis zum 30. Juni hätte beseitigen müssen. Sein Wohnhaus selbst soll bis zum 31. März 2013 komplett abgerissen sein.

Doch Otto will weder dem einen noch dem anderen Auftrag nachkommen. "Dass wir irgendwann alles abreißen, ist ausgeschlossen", sagt er. Darauf die Stadt Buchholz: "Wir gehen den ganz normalen Weg des Rechtsstaats", sagt Sprecher Heinrich Helms. Otto sei eine neue Frist für den Abriss gesetzt worden, und wenn er die wiederholt verstreichen lasse, könne die Stadt auf seine Kosten ein Abrissunternehmen beauftragen. Die Verfassungsgerichtsklage und das noch ausstehende Urteil hätten keine aufschiebende Wirkung.

Otto gegen den Rest der Welt. Dieses Bild hat sich in der Öffentlichkeit verfestigt. Für Außenstehende ist es dabei nicht leicht, die Übersicht über die Ereignisse zu behalten - auch wenn es sicherlich einige Buchholzer gibt, die des Themas längst überdrüssig sind.

207 Wochenendhäuser stehen seit den 20er-Jahren in dem Sprötzer Waldgebiet, das nach dem Zweiten Weltkrieg insbesondere für Flüchtlinge und ausgebombte Hamburger zur Zufluchtsstätte wurde. Viele Häuser wurden ohne Genehmigung aus- und umgebaut, was jahrzehntelang niemanden störte, schließlich gibt es mehrere vergleichbare Wochenendhausgebiete im Landkreis Harburg. 1999 gab das Land Niedersachsen dann einen Leitfaden für den Umgang mit ungenehmigten Bauten im Landkreis heraus, der Rechtssicherheit schaffen sollte.

+++ Lohbergen-Siedlung ist doch illegal +++

Laut Otto sei das auch überall geschehen, nur eben nicht in Buchholz. Die Kurzversion der Ereignisse sieht wie folgt aus: Die Stadt entwickelte einen Bebauungsplan, der das Gebiet in Cluster einteilte. Für diese Cluster galt jeweils eine bestimmte Maximalgröße, zahlreiche Hausbesitzer mussten ihre Gebäude zurückbauen. Otto hätte sein Haus, das eine Grundfläche von circa 170 Quadratmeter besitzt, auf 90 verkleinern müssen. Er reichte Klage gegen den Bebauungsplan ein und bekam im vergangenen Jahr vom Bundesverwaltungsgericht in Leipzig Recht. Der B-Plan wurde für gesetzeswidrig erklärt, aber da hatten fast alle Hausbesitzer ihre Häuser schon verkleinert.

Was also tun? An dieser Stelle interpretierten Otto und Stadt Buchholz die Sache unterschiedlich. Auch wenn der B-Plan nicht mehr gelte, habe die Stadt einen Ermessensspielraum, hieß es seitens der Verwaltung. Alle bereits umgebauten Häuser hätten Bestandsschutz, neue Baurechte werden nicht erteilt und die restlichen Gebäude müssten wie gehabt verkleinert werden, nur eben mit einer neuen Frist - so auch Ottos Haus. Der pocht jedoch bis heute darauf, dass die Stadt einen neuen Bebauungsplan für das Gebiet aufstellen oder gegen alle Gebäude, die im Bereich des nun unwirksamen Bebauungsplans liegen, mit einer Abrissverfügung vorgehen müsse.

Eine Lösung des Streits scheint in weiter Ferne zu liegen, obwohl Otto allmählich an sein Alter denkt. "Ich bin jetzt 63 Jahre alt und will die Sache nicht ewig mit mir rumtragen." Vor allem seine Frau, die pikanterweise von dem ja eigentlich illegalen Haus aus die von der Stadt mit jährlich 72 000 Euro unterstützte Musikschule mit 42 Lehrern und etwa 800 Schülern führt, empfinde die Situation als sehr belastend.

Aus Ottos Sicht gibt es neben dem neuen Bebauungsplan mehrere Möglichkeiten, die Angelegenheit zu einem Ende zu bringen: Die Stadt duldet sein Haus und schließt die Akte oder genehmigt doch noch den Umbau seines Hauses, obwohl sie eigentlich keine neuen Baurechte mehr erteilen wollte. "Auf drei Geschosse und eine Grundfläche von 90 Quadratmetern würden wir uns einlassen." Ob er mit diesem Wunsch nach dem jahrelangen Hickhack Gehör findet, steht allerdings in den Sternen. Rückblickend bedauert Otto einfach nur, überhaupt in das Waldgebiet gezogen zu sein. "Wenn ich das alles gewusst hätte, hätte ich das Haus niemals gekauft."