Die DLRG in Wilhelmsburg entlastet am Wochenende die Hamburger Feuerwehr bei der Wasserrettung. DIe Rettungsschwimmer haben viel zu tun.

Wilhelmsburg. Es ist ein Sonntag in diesem Hamburger Sommer 2012. Das Wetter ist wechselhaft, zumindest, was den Winkel angeht, in dem der Regen fällt. Die Badestelle am Elbstrand von Finkenrieck in Wilhelmsburg ist so gut wie menschenleer. Nur eine Frau ist hier und die führt ihre Hunde aus. Das bedeutet aber nicht, dass die Wachmannschaft der DLRG in ihrer Rettungswache gleich hinter dem Deich nichts zu tun hat. Die Retter sind gerade von einem Einsatz zurück: Am Sandtorkai hatten Spaziergänger Alarm geschlagen. Es sah aus, als triebe jemand leblos im Wasser. Nachdem drei DLRG-Rettungsboote, darunter eben auch das Wilhelmsburger, sowie die Feuerwehr das Wasser lange abgesucht hatten, gab es Entwarnung und zwei Puppenbeine wurden geborgen.

Jetzt sind die Retter wieder in Wilhelmsburg - und haben auch ohne Einsatz und Badebetrieb zu tun: Wachleiterin Britta Kreutzfeld schreibt die Dienstpläne für den nächsten Monat, Rettungsschwimmer Marco Dubbert schleift eine Tür ab und auch Bianka Kaltenbach und Wachdienstpraktikant Philipp Deinert sind mit Wartungsarbeiten beschäftigt. Die Ehrenamtlichen halten ihre Wache selber in Schuss; da ist ständig etwas zu machen.

Die Sonntagswache beginnt bereits am Sonnabend um 18 Uhr und endet 24 Stunden darauf. Die Rettungsschwimmer bekommen ihre Dienste nicht bezahlt - im Gegenteil: Teile ihrer Ausstattung müssen sie selbst kaufen und selbstverständlich zahlen auch die Aktiven bei der DLRG Beiträge. Trotzdem opfern sie regelmäßig ganze Wochenenden für den Dienst - warum eigentlich?

"Die Rettungswache ist schon mein zweites Zuhause", sagt Bianka Kaltenbach. Die 16-Jährige aus Wilstorf ist DLRG-Mitglied, seit sie sechs Jahre alt ist und bei den Lebensrettern Schwimmen lernte. "Ich wollte schon immer machen, was die Großen tun." Über das schnittig JET abgekürzte Jugend-Einsatz-Team wurde die Schülerin schrittweise an die Aufgaben herangeführt, die sie jetzt übernimmt.

Auch Marco Dubbert kam vom JET an die Wache. Der 16 Jahre alte Elektriker-Azubi aus Eißendorf kam vor fünf Jahren über einen Klassenkameraden zur DLRG. "Der hatte mich beim Schulschwimmen angesprochen, weil er meinte, die DLRG könnte mir liegen."

Der Freund hatte Recht. "Wir wurden im JET und auch jetzt an der Wache sofort herzlich aufgenommen. Bei meinen Kameraden fühle ich mich wohl", sagt er. "Es ist ein gutes Gefühl, etwas für die Allgemeinheit zu tun."

Die Rettungswache betreut weit mehr als nur die Badestelle am Finkenriecker Hauptdeich. Ihr Revier reicht von der Bunthausspitze bis Waltershof und schließt auch den Hafen ein. Deshalb heißt sie auch Rettungswache Süderelbe und nicht Rettungswache Wilhelmsburg. Von Freitag, 18 Uhr, bis Sonntag, 18 Uhr, ist die Wache besetzt und entlastet so die Hamburger Feuerwehr, die an den Werktagen für die Wasserrettung zuständig ist. Zwischen vier und acht Retter sind am Wochenende in der Wache. Sie rekrutieren sich aus einer Liste von 30 Freiwilligen, die in unterschiedlichem Maße Freizeit zur Verfügung stellen. Man muss nicht unbedingt kurz vor dem Ertrinken sein, um von der DLRG Hilfe zu erhalten: "Wir schleppen auch havarierte Boote ab und versorgen kleinere Schnittverletzungen, die sich Leute am Strand zugezogen haben", sagt Britta Kreutzfeld. Verletzungen kommen an der Badestelle häufig vor. Ursache sind meist Glasscherben und scharfkantige Steine. Rettungseinsätze an der Badestelle sind zum Glück nicht die Regel. "Man darf nur bis zu den Knien ins Wassser und die meisten Leute halten sich daran. Schwimmen ist wegen der Strömung und des Schiffsverkehrs selbst für Geübte lebensgefährlich", sagt Britta Kreutzfeld.

Sie ist nicht nur Chefin der Wache Süderelbe, sondern auch Leiterin des DLRG-Bezirks Harburg. Dabei kommt die 30 Jahre alte Kauffrau und Mutter nicht einmal aus dem Süden Hamburgs sondern ist Luruperin, "und zwar schon immer", sagt sie. "Dass ich zur DLRG Harburg gekommen bin, habe ich einer Freundin zu verdanken." Deren Freund war nämlich Harburger und Rettungsschwimmer und die Freundin wollte Britta hier ebenfalls verkuppeln.

"Dagegen habe ich mich zwar verwahrt, aber die Truppe als solches fand ich so gut, dass ich dabei blieb", sagt sie rückblickend. "In den 15 Jahren seit damals habe ich viele Fähigkeiten erworben, die ich als Bürokauffrau so nicht erlangt hätte, wie zum Beispiel einen Bootsführerschein, fundierte Erste-Hilfe-Kenntnisse und die Ausbildung zur Signalfrau, die bei Tauchereinsätzen die Kommunikation des Tauchers mit dem Ufer oder dem Boot sicherstellt."

Dass man einige der Wasserretter-Qualifikationen auch an Land gebrauchen kann, hat Marco Dubbert erst vor wenigen Wochen selbst erfahren: "Auf dem Rückweg von einer Übung an der Ostsee kamen wir an einem Verkehrsunfall vorbei und haben Erste Hilfe geleistet. Es war schon ein seltsames Gefühl: Einerseits war man stolz, als Jugendlicher etwas tun zu können, das sich viele Erwachsene, die einfach weiterfuhren, wohl nicht zutrauten. Andererseits waren wir sauer. Natürlich hätten die Vorbeifahrenden helfen können. Einen Notruf absetzen kann jeder."

Bei allem Können und aller Übung: Die Hilfe im Notfall ist nicht immer von Erfolg gekrönt. "Es gibt Momente, die schwer zu verarbeiten sind", sagt Britta Kreutzfeld. So wie im letzten Jahr, als eine Frau mit ihrem Auto in den Binnenhafen gefallen war. "Sie konnte erst nach einer Viertelstunde geborgen werden", erinnert sich die Retterin. "Unsere jüngeren Rettungsschwimmer haben wir an Land gebracht, bevor es so weit war." In solchen belastenden Fällen verlassen sich die Retter auf die Kameradschaft untereinander. "Wenn man nach so einem Einsatz einen Kameraden anruft, hat der Zeit - egal, was er gerade zu tun hat. Das ist sehr wichtig", sagt Kreutzfeld.

Wichtig ist auch das gemeinsame Lachen - selbst wenn das manchmal auf Kosten Einzelner geht: "Als wir einmal die Bugwelle der Queen Mary kreuzten, und das Boot hart aufkam, hat sich ein Kollege am Gesäß wehgetan und musste den Rest der Fahrt liegend verbringen. Die Sprüche darüber muss er sich heute noch anhören."

Auch wenn der DLRG-Bezirk Harburg der kleinste in Hamburg ist, hat Britta Kreutzfeld keine wirklichen Nachwuchssorgen. Aus der Mitgliedschaft kommen immer wieder Freiwillige nach, wie zum Beispiel Philipp Deinert. Der 15-Jährige macht gerade sein Rettungsschwimmerabzeichen und absolviert ein Praktikum auf der Wache. "Wenn ich so weit bin, will ich auch mitmachen", sagt der Schüler. Kopfzerbrechen macht Britta Kreutzfeld lediglich die Schließung der Wilhelmsburger Schwimmhalle zum Ende des Sommers. "Das ist nicht nur die Trainingsstätte für unsere Rettungsschwimmer, sondern dort bieten wir auch Schwimmkurse an. Erstens wären wir als Retter ohnehin entspannter, wenn mehr Menschen schwimmen könnten, und zweitens rekrutieren wir ja auch angehende Rettungsschwimmer aus den Kursen. Viele Eltern wollen jetzt aber erst einmal abwarten, bis die neue Wilhelmsburger Halle fertig ist, und nicht in andere Hallen ausweichen."

2013 soll die neue Wilhelmsburger Schwimmhalle stehen. Britta Kreutzfeld hofft dann auf volle Kurse.

Über dem Deich klart der Himmel auf. Wenn jetzt Wilhelmsburger zum Baden kommen, werden sich die Retter mit Klappstühlen auf den Deich setzen und die Augen offen halten - und immer ein Ohr am Funkgerät: Vielleicht ist der nächste Notruf aus dem Hafen nicht auf einen schlechten Scherz zurückzuführen.