Harburger Traditionsgeschäfte, es gibt sie noch: Seit fast 80 Jahren macht Juwelier Schönau individuellen Schmuck - handgefertigt.

Harburg. Alteingesessene, inhabergeführte Geschäfte - es gibt sie noch in Harburg. Oft sind es Familienbetriebe mit einer jahrzehntelangen Tradition. Sie erzählen Geschichten von Kaufleuten, die ihre Kunden noch persönlich kennen, vom Glauben an eine besondere Idee, von der Liebe zum Detail. Aber auch vom schleichenden Niedergang einer Verkaufskultur, die sich im Zeitalter der Shopping-Center und Großmärkte immer schwerer behaupten kann.

Das Jahr 2008 war für die Ingrid Lorenzen-Schönau, 68, genau einen Tag zu lang. Es war ein Schaltjahr, der Februar hatte 29 Tage. "Diesen letzten Februartag hätte es für mich nicht geben müssen", sagt die Goldschmiedemeisterin, "dann wäre mir einiges erspart geblieben."

An jenem 29. Februar 2008 betreten drei Männer ihr Juweliergeschäft Am Centrumshaus 3 unweit der S-Bahn-Haltestelle Harburg-Rathaus. Alle Männer haben Pistolen in den Händen und sind mit Kapuzen und Tüchern vermummt. Sie drängen Ingrid Lorenzen-Schönau in die Werkstatt. Ein Mann schmeißt sie unter den Tisch und tritt sie, auch ins Gesicht. Ihre Brille hält den Tritten stand. "Erst als ich ihm zwischen die Beine trat, hat der Mann aufgehört", sagt die 1,56 Meter kleine Frau. Die Goldschmiedemeisterin löst den Alarm aus - die Täter flüchten mit Schmuck aus dem Geldschrank. Gefasst wurden sie nie.

Auch in diesem Jahr suchten wieder drei Ganoven das kleine Juweliergeschäft heim. Die Männer drangen am 15. März in den Laden, zwei weitere standen Schmiere. Ein Mann bedrohte Ingrid Lorenzen-Schönau mit einem Messer. Die Goldschmiedemeisterin wehrte sich und verletzte sich dabei am linken Unterarm. Die Täter flüchteten mit Armbändern, Königsketten und 30 Paar Trauringen. Sie wurden gefasst. Zwei Stunden vor dem Überfall waren sie unvermummt im Geschäft erschienen - eine Videokamera lief. So hatte die Polizei schöne Bilder von den Männern.

Im kommenden Jahr wird der Juwelier Schönau 80 Jahr alt. Die Überfälle und Einbrüche hat Ingrid Lorenzen-Schönau aufgehört zu zählen - zehn waren es mindestens, auch ihr Vater, Firmengründer Rudolf Schönau, wurde im Geschäft schon ausgeraubt und schwer verletzt. Aber die Goldschmiedemeisterin hat sich nie unterkriegen lassen. "Ich liebe meinen Beruf und habe sehr viele, nette Stammkunden", sagt Ingrid Lorenzen-Schönau. Die Angst, sagt die kleine Frau, die verdränge sie. "Aber jetzt verschließe ich die Ladentür. Die Kunden kommen nur herein, nachdem sie geklopft haben."

Angefangen mit dem Schönau'schen Goldschmieden hat alles in einem kleinen Schuppen im Kapellenweg in Harburg. Rudolf Schönau, Jahrgang 1908, war im zweiten Jahrzehnt des vorigen Jahrhunderts aus dem ostfriesischen Ditzum mit seinen Eltern und Geschwistern nach Harburg gekommen. Nach einer Goldschmiedelehre beim Juwelier Brandt ging er fünf Jahre auf Wanderschaft, blieb in Danzig, Königsberg und Stralsund. Zwischendurch kam er immer wieder nach Harburg zurück und fertigte Schmuck in dem Schuppen, der zum Wohnhaus seiner Eltern gehörte.

"Mein Vater lernte auch die Techniken des Gravierens, des Touchierens, des Emaillierens und des Granulierens", sagt Ingrid Lorenzen-Schönau. 1927 legte Rudolf Schönau die Gesellenprüfung ab, acht Jahre später wurde er Meister und eröffnete ein Geschäft und eine Werkstatt in der Eddelbüttelstraße 47, dort wo jetzt das Harburg Carrée steht.

Im Zweiten Weltkrieg geriet Rudolf Schönau in russische Gefangenschaft, erst drei Jahre nach Kriegsende kam er nach Harburg zurück. Seine Frau Hilde, eine Trapeziererin, hatte die Geschäfte weitergeführt. "Nach dem Krieg hat mein Vater viel für Naturalien gearbeitet", sagt Ingrid Lorenzen-Schönau. "Für eine schöne Mettwurst fertigte er dann einen Ring an."

Ingrid Lorenzen-Schönau, Jahrgang 1943, liebte schon als Kind die Werkstatt ihres Vaters. "Ich bin da so herein gewachsen, das war mein Ein und Alles. Schon als 14-Jährige habe ich unter Anleitung meines Vaters einen silbernen Armreif gemacht. Das war mein Talisman bis er auf unerklärliche Weise verschwunden ist."

Nach der Mittleren Reife an der Technischen Oberschule an der Bunatwiete begann Ingrid Lorenzen-Schönau eine Goldschmiedelehre beim Juwelier Dunkelstein in den Großen Bleichen in der Neustadt. Die Werkstatt lag direkt über dem Schaufenster, gegenüber dem Ohnsorg-Theater. "So konnten wir gut auf die Straße schauen und waren immer über die neueste Mode informiert", sagt Ingrid Lorenzen-Schönau.

Ihre Gesellenprüfung absolvierte sie 1962 mit "sehr gut", Goldschmiedemeisterin wurde sie fünf Jahre später. Bereits 1963 wechselte Ingrid Lorenzen-Schönau in den Betrieb ihres Vaters. Bis kurz vorm Tod von Rudolf Schönau 1996 haben Vater und Tochter immer zusammen gearbeitet - vor Weihnachten auch bis morgens um 4 Uhr.

So lange muss die Goldschmiedemeisterin heute nicht mehr arbeiten. "Jetzt, wo das Internet im Spiel ist, kaufen die Leute leider weniger Kleinigkeiten beim Juwelier", sagt Ingrid Lorenzen-Schönau.

Als 1998 das Harburg Carrée gebaut wurde, wurde das Haus mit der Werkstatt und dem Laden abgerissen. Aber bereits seit 1959 hatte Juwelier Schönau eine zweite Dependance in der Schwarzenbergstraße 3, heute Am Centrumshaus 3. Dort verkauft Ingrid Lorenzen-Schönau noch immer Schmuck, gemeinsam mit ihrer Mitarbeiterin Hannelore Goebel, 66, die bei Schönau gelernt hat.

An diesem Vormittag sitzt Ingrid Lorenzen-Schönau in der kleinen Werkstatt an der Werkbank und fertigt einen Siegelring. Sie gießt, bringt auf Weite, hämmert, feilt, schmirgelt, poliert und wird später den Stein fassen. "An meinem Beruf liebe ich, dass ich etwas kreativ machen kann - von der Zeichnung bis zur Ausführung", sagt Ingrid Lorenzen-Schönau. "So ein selbst gefertigtes Schmuckstück kann über Generationen weiterleben, wenn es gut behandelt wird. Das ist ein bleibender Wert."

Gefragt sind derzeit besonders Münzanhänger aus Gold, Brillanten als Wertanlage und moderner Silberschmuck. Die beste Zeit, sagt die Goldschmiedemeisterin, seien die 1960er Jahre gewesen. Und heute? "Man kommt so zurecht", sagt Ingrid Lorenzen-Schönau. "Aber mein Beruf ist für mich Berufung. Sonst könnte ich ja jetzt schon als Rentnerin mein Leben genießen. Wenn ich gesund bleibe, werde ich den Betrieb noch einige Jahre weiterführen."

Einmal, vor zwölf Jahren, da hat Ingrid Lorenzen-Schönau einen Dieb gestellt. Der Mann ließ sich Colliers zeigen und riss sie der Goldschmiedemeisterin aus der Hand. Er rannte aus dem Laden, Ingrid Lorenzen-Schönau hinterher. "Er lief in den S-Bahnhof Harburg-Rathaus und hat dann die ganzen Kameras gesehen. Dann hat er aufgegeben, und ich habe ihm die Colliers wieder abgenommen."

Ungefährlich war das nicht: Der Mann war sehr groß und sportlich. Aber die furchtlose Goldschmiedemeisterin verdrängt ja ihre Angst.