Harburger Traditionsgeschäfte Bei “Leicher's“ kommen Literaturliebhaber voll auf ihre Kosten - seit 84 Jahren

Harburg. Alteingesessene, inhabergeführte Geschäfte - es gibt sie noch in Harburg. Oft sind es Familienbetriebe mit einer jahrzehntelangen Tradition. Sie erzählen Geschichten von Kaufleuten, die ihre Kunden noch persönlich kennen, vom Glauben an eine besondere Idee, von der Liebe zum Detail. Aber auch vom schleichenden Niedergang einer Verkaufskultur, die sich im Zeitalter der Shopping-Center und Großmärkte immer schwerer behaupten kann.

Leicher's Buchhandlung in Heimfeld ist ein Kleinod, ein liebenswertes Relikt. Aus einer Zeit, als Buchhandlungen noch überschaubar und nicht in Lagerhallengröße dimensioniert waren. Als die Bestseller noch auf einen Blick erfasst werden konnten und einen die Fülle an bedrucktem Papier nicht schon beim Eintreten erschlagen hat.

Auf 80 Quadratmetern, verteilt auf einen großen Verkaufsraum und ein kleines "Kinderzimmer" mit Jugendbüchern, finden sich hier etwa 3000 Titel. Mehr braucht kein Mensch, um zu wissen, was literarisch en vogue ist. Und wenn doch, kein Problem. "Wir können jedes lieferbare Buch ordern", sagt Regine Schneider, 60, die Inhaberin. Geschehe das bis 18 Uhr, liege es keine 15 Stunden später, also am nächsten Morgen ab halb neun zum Abholen bereit.

So schnell ist kein Internethändler, Amazon eingeschlossen. Und dieser Service kostet nicht einen Cent mehr. Es sei denn, der Kunde mag das Buch nicht selbst abholen und lässt es sich zuschicken. "Auch das machen wir natürlich, ganz nach Wunsch", so die Literaturexpertin.

Rund 460 000 Titel hat ihr Großhändler Koch, Neff & Volckmar mit Sitz in Köln und Stuttgart ständig auf Lager. Da ist die Gefahr, dass ein gewünschtes Buch mal nicht vorrätig ist, gering. Regine Schneider: "Sollte es doch einmal vorkommen, wende ich mich direkt an den herausgebenden Verlag. Es ist nicht oft passiert, dass ich passen musste."

Dass die gebürtige Volksdorferin, die eigentlich eine betriebswirtschaftliche Ausbildung genoss, in Heimfeld gelandet ist, hat sie einem Verkehrsstau zu verdanken. "Als ich ihn umfahren wollte, bin ich auf den Laden gestoßen", erzählt sie. Alles sei ziemlich alt gewesen - das Inventar, die Regale, selbst die Bücher. Gereizt hat sie der Sprung ins kalte Wasser aber doch: "Den Laden umgab eine gewisse Magie, der ich mich einfach nicht entziehen konnte."

1906 steht weithin sichtbar unter dem Dach des buchstäblich ersten Hauses in Heimfelds Meyerstraße. Es erinnert an die Gründerzeit des Quartiers, das Anfang des 20. Jahrhunderts als Wohngebiet für die Beschäftigten der Firma H. C. Meyer jr. entsteht. Heinrich Christian Meyer, der Enkel des gleichnamigen, legendären Firmengründers, den alle nur Stock-Meyer nennen, lässt in Harburg wie schon sein Großvater Spazierstöcke herstellen. Seinerzeit ein äußerst einträgliches Geschäft. Das heute so gut wie keine Rolle mehr spielt.

Dafür ist der Name Kurt Puschendorf deutlich präsenter. Der gründet 1927 in dem kleinen Laden am Anfang der Meyerstraße nicht nur jenes Buchgeschäft, das seit 1. November 1993 von Regine Schneider geleitet wird. 1968 hat Puschendorf auch den Quickborn-Verlag gekauft und an den Alten Postweg 21 vis-á-vis verlegt. Noch heute sagen viele alte Heimfelder, sie gingen "zu Puschendorf", wenn sie Bücher kaufen wollen. Dabei hat Regine Schneider den Laden nicht von ihm, sondern von Jens Bernhard Leicher übernommen, dessen Namen das Geschäft noch immer trägt.

Sechs Aushilfen auf Stundenbasis stehen der aktuellen Chefin zur Seite. "Für Festanstellungen ist der Laden einfach zu klein", erklärt Regine Schneider. Das sei für ihre Helferinnen aber auch kein Problem: "Sie schätzen die flexiblen Arbeitszeiten durchaus."

Dennoch gibt es immer wieder Zeiten, in denen sie "mit dem spitzen Bleistift" rechnen muss. Vor allem, seit die neuen Medien wie Computer, Notebooks, Smartphones und Tablet-PCs mit Brachialgewalt auch in den Buchmarkt eingebrochen sind. Angst habe ihr das aber nie gemacht: "Eine Umfrage unter meinen Kunden hat ergeben, dass sich kein einziger den dauerhaften Umstieg auf elektronische Bücher vorstellen kann." Selbst Verlagsmanager würden inzwischen abwinken, käme die Sprache auf dieses Thema. Das Geschäft mit E-Books laufe miserabel, die Umsätze seien im Vergleich zum gedruckten Buch inzwischen unter ein Prozent gefallen.

Dass Zeitungs- oder Buchleser einmal Exoten sein werden, kann sich Regine Schneider nicht vorstellen. In einem Buch die Seiten umzublättern, sei etwas gänzlich anderes, als auf einem Screen zu scrollen: "Ein Buch riecht anders, es fühlt sich anders an. Es zu lesen ist eine sinnliche Erfahrung, die sich auf elektronischen Geräten so nie einstellen wird."

Die Bücherfrau weiß aber auch um die Vorteile der neuen Technik. So plant sie mit Unterstützung ihres Großhändlers Anfang kommenden Jahres ein Onlineportal. "Was Amazon kann, das können wir auch", sagt sie selbstbewusst. Und versteht den Webshop als zusätzliches Angebot an ihre Kunden. Die könnten sich so sicher schneller einen Überblick verschaffen oder nach bestimmten Büchern Ausschau halten. Die Befürchtung, dass dadurch vielleicht deutlich weniger Kunden in den Laden kommen, teilt Regine Schneider nicht. Dort könne man schließlich gleich auf einen Blick sehen, was gerade angesagt sei. Wie den Roman "In Zeiten des abnehmenden Lichts" von Eugen Ruge, der dafür den Deutschen Buchpreis 2011 erhalten hat. 50-mal ging der Bestseller schon über den Tresen. "Das Buch in die Hand nehmen und mal kurz reinlesen, das kann eben nur, wer direkt zu uns kommt." Und individuell beraten könne ein Computer schließlich auch nicht.

Genau da sieht sie auch die Zukunft für ihr Geschäft. Der persönliche Kundenkontakt sei die halbe Miete. So organisiert sie in ihrem kleinen Reich immer wieder Lesungen mit Autoren aus der Region wie den Krimi-Autoren Thorsten Beck und Jürgen Ehlers oder Jan-Philipp Sendker. So hält sie auch engen Kontakt zu den Schulen und Kindergärten im Umfeld.

Der Erfolg gibt ihr Recht: Im Vorjahr stieg der Umsatz um zehn Prozent. Vom oft herbeigeredeten Tod des Buches ist bei "Leicher's" nichts zu spüren.