Spaziergänger entdeckten Spuren der Wölfe. Schon im nächsten Frühjahr erwartet Wolfsexperte Siegfried Kenner eine Pärchenbildung.

Göhrde. Leicht gebückt und die Augen immer am Boden geheftet schreitet Wolfsberater Siegfried (Kenny) Kenner entlang des Königswegs in der Göhrde langsam voran. Er entdeckt die Spur eines Hirsches im nassen Sandboden und die Hinterlassenschaften eines Fuchses. Aber vom Wolf keine Spur. "Nee, da ist nichts", sagt der Mann in grüner Cordhose und Jack-Wolfskin-Jacke.

Dabei stehen die Chancen gerade in diesen Tagen gut, Pfotenabdrücke oder Kot eines Wolfs zu entdecken. Denn es gibt einen ersten Nachweis, dass sich ein Wolf südöstlich von Dannenberg aufhält. Björn Vogt aus Groß Heide ist es vor einigen Tagen gelungen, ein Foto von diesem Wolf zu schießen. Der Lokaljournalist hatte gerade seine Kinder mit dem Auto zum Kindergarten in Dannenberg gebracht und befuhr die Kreisstraße 1 zwischen Splietau und Prabstorf, als er auf einem offenen Feld ein graues Tier entdeckte.

"Ich habe sofort gewusst, dass es ein Wolf ist", sagt der 43-Jährige. Geistesgegenwärtig griff er nach seinem Fotoapparat, der immer auf seinem Beifahrersitz mitfährt, und knipste. Ein Glücksfall. "Ich war wie elektrisiert und habe beim Fotografieren richtig gezittert", sagt Vogt. Die Wolfsexperten vom Niedersächsischen Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) haben bereits bestätigt, dass es sich bei dem fotografierten Tier um einen Wolf handelt.

"Das ist wie ein Sechser im Lotto", sagt Kenner. Seit zehn Jahren ist der Hotelier aus Göhrde als Wolfsberater tätig. Er wurde in der Lausitz ausgebildet und ist Teil des so genannten Wolfsmonitoring. Das heißt: Er geht Wolfshinweisen von Spaziergängern und Joggern nach, begibt sich auf Spurensuche im Wald und steht im ständigen Austausch mit den zuständigen Behörden. Er selbst hat aber noch nie einen Wolf gesehen.

Selbst der Wölfin Zora aus einem Wolfsrudel am Truppenübungsplatz in Altengrabow (Sachsen-Anhalt), die sich im Mai in Lüchow-Dannenberg aufhielt und sogar einmal nachts um zwei Uhr etwa 400 Meter von seinem Haus entfernt durch den Wald schritt, ist er nie begegnet. Kenner schließt aber aus, dass es sich bei dem fotografierten Tier um Zora handelt. Denn der Wolf auf dem Foto trägt im Gegensatz zu Zora kein Sendehalsband. Der Experte glaubt ebenso wenig, dass die bekannte Wölfin vom Truppenübungsplatz in Munster-Nord einen Ausflug in die Göhrde gemacht hat. Er ist überzeugt, dass es sich um ein drittes männliches Tier handelt. "Genau feststellen lässt es sich aber erst, wenn wir einen erneuten Nachweis wie zum Beispiel eine Trittfolge finden", sagt Kenner. Diese kann dann mit der Spur der anderen Tiere verglichen werden.

Das erste Geschenk, das ihm der jetzt fotografierte Wolf hinterlassen hat, war sein Kot im September 2010. "Das ist Gold im Wolfsmonitoring", sagt Kenner. Um den Wolfs- vom Hundekot unterscheiden zu können, verlässt sich Kenner ganz auf seine Nase. "Wolfskot hat einen scharfen, süßlichen Geruch, und der Kot vom Hund stinkt einfach nur nach Hundedreck." Im November häuften sich Hinweise aus der Bevölkerung. Vor zwei Wochen sichteten Jäger den Wolf auf der Jagd, Spaziergänger entdeckten Spuren. Und jetzt das Foto.

Kenner schreitet weiter auf dem Königsweg durch den Wald. Es ist einer der Wege, die er regelmäßig kontrolliert. Schließlich gelangt er zu einem Lindenbaum. Vor 160 Jahren ist sie als Zeichen des Triumphs gepflanzt worden. Doch für Kenner ist sie ein Mahnmal. Der Lindenbaum erinnert an die letzte Wolfsjagd in der Göhrde. Der damalige Reviergehilfe Georg Weber hatte sie am Königsweg gepflanzt, nachdem er hier 1851 den letzten Wolf in der Göhrde geschossen hatte.

Und heute? Gibt es noch Jäger, die das streng geschützte Tier lieber tot als lebendig sehen wollen? Schließlich bezahlen sie für ihre Leidenschaft - das Beutemachen und den Spaß, ein wildes Tier zu überlisten - viel Geld und wollen natürlich möglichst viel Wild im Wald vorfinden. "Nicht alle Jäger sind voller Begeisterung. Es gibt auch welche, die sagen, wir brauchen den Wolf nicht", sagt Peter Pabel, Vorsitzender im Hochwildring Göhrde, der gleichzeitig als Wolfsberater tätig ist. Er kann auch nicht ausschließen, dass tatsächlich jemand eine Straftat begeht und einen Wolf abknallt. "Aber viele Jäger sagen, sie haben nichts gegen das Tier."

Eine deutliche Gefahr ist der Wolf für Schafe, die nicht mit den richtigen Zäunen geschützt sind. Deshalb müssen Schäfer in Wolfsgebieten mit Verlusten rechnen. Die Landwirtin Andrea Funcke aus Walmsburg, die rund 100 Schafe hält, investiert jetzt fast 1000 Euro in neue Zäune, um sie vor Wölfen zu schützen. Das macht die 44-Jährige dennoch nicht zu einer Wolfsgegnerin "Ich habe kein Problem mit dem Wolf. Wenn ein Wolf ein Schaf reißt, bekomme ich es wenigstens ersetzt."

Bislang haben auch die Bewohner in der Nähe der Göhrde nichts gegen den Wolf. "Ich finde es schön, dass das Tier zurückkehrt. Und bis jetzt hat sich der Wolf nicht mit unseren Tieren angelegt", sagt Anne-Katrin Kalb. Angst hat die 30-Jährige aus Dahlenburg nicht.

Auch Maik Dumnick, Eigentümer des Edeka-Marktes in Dahlenburg, äußert sich wohlwollend. "Ich halte gar nichts davon, dass Jäger hinter einem Wolf herlaufen und ihn abschießen", sagt der 33-Jährige aus Dahlenburg.

Wolfsberater Kenner geht davon aus, dass sich schon im Frühjahr ein Wolfspaar bilden wird. Er hofft jetzt auf Schnee, um Wolfsspuren leichter entdecken zu können. In den nächsten Wochen wird der Experte viel Zeit im Wald verbringen. Er wird in leicht gebeugter Haltung voranschreiten - immer die Augen auf den Boden geheftet.