Ludwig Baumann ist der letzte noch lebende Deserteur der Wehrmacht. In Harburg hält er einen Vortrag über sein bewegendes Schicksal.

Harburg. "Der Soldat kann sterben, der Deserteur muss sterben" - diese Worte Adolf Hitlers wurden jedem deutschen Soldaten im Zweiten Weltkrieg unablässig eingehämmert. Es drohte standrechtliche Erschießung oder die Versetzung in eine Strafkompanie, was einem Todesurteil gleich kam. Für die Wehrmachtsjustiz war Hitlers Satz richtungweisend. Mehr als 20 000 Menschen fielen von 1939 bis 1945 ihrer inhumanen Rechtsprechung zum Opfer. Ihnen ist die Ausstellung "Entfernung von der Truppe - Kriegsdienstverweigerung und Desertion im Dritten Reich" gewidmet, die während der "Harburger Gedenktage 2011" ab heute bis zum 15. November, in der Harburger Bücherhalle, Eddelbüttelstraße 47a, zu sehen ist.

Zum Auftakt des Programms wird Dr. Detlef Garbe, der Direktor der KZ-Gedenkstätte Neuengamme, in seiner Eröffnungsrede heute um 19 Uhr in der Harburger Bücherhalle auch auf das Schicksal dreier Harburger Opfer der NS-Militärjustiz eingehen: Karl Tibbert wurde am 20. April 1945 auf dem Truppenübungsplatz Höltigbaum in Hamburg-Rahlstedt im Alter von 40 Jahren als Deserteur erschossen. Kurt Johannes war 23 Jahre alt, als sein Leben sechs Tage später im Kugelhagel des Erschießungskommandos am selben Ort endete. Heinz Dreibrodt hatte als 16-Jähriger mehr Glück: Am 3. Mai 1945 wurde er von britischen Truppen aus dem Versteck befreit, in dem er die letzten Tage des Zweiten Weltkriegs verbracht hatte, anstatt nach einem Kurzurlaub zu seiner Volkssturmeinheit zurückzukehren.

Am Mittwoch, 26. Oktober, um 19 Uhr wird ein besonderer Gast erwartet. Es ist Ludwig Baumann, 89, ein unermüdlicher Kämpfer für die Rehabilitierung der lange vergessenen Opfer der NS-Militärjustiz und der letzte noch lebende Wehrmachtsdeserteur. Im Harburger Rathaus wird Baumann aus seinem Leben berichten.

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Der gebürtige Hamburger lebt heute in Bremen. Er wurde im Februar 1941 zur Wehrmacht eingezogen. "Das Schicksal Hunderttausender sowjetischer Kriegsgefangener, die bei Wind und Wetter auf freiem Feld verhungerten und erfroren, bedrückte mich sehr", sagte Ludwig Baumann dem Hamburger Abendblatt. Er hatte die Bilder in der "Deutschen Wochenschau" gesehen. Stationiert war Baumann zunächst in Frankreich. Gemeinsam mit seinem Freund Kurt Oldenburg desertierte er am 3. Juni 1942 in Bordeaux. "Wir wollten den Krieg nicht, wir wollten leben", sagt Ludwig Baumann.

Die Freunde wollten über den unbesetzten Teil Frankreichs über Marokko nach Nordamerika fliehen. Bereits einen Tag nach der Flucht liefen sie einer deutschen Zollstreife in die Arme. Ludwig Baumann und Kurt Oldenburg waren mit Pistolen bewaffnet - "aber wir haben sie nicht erschießen können". Beide wurden zum Tode verurteilt. In der Todeszelle rechneten sie jeden Morgen mit ihrer Hinrichtung. Dass ihre Urteile auf Anordnung des Großadmirals Raeders am 20. August 1942 in Zuchthausstrafen von zwölf Jahren Länge umgewandelt worden waren, erfuhren die Freunde erst Monate später.

Nach dem Krieg schlug Ludwig Baumann bittere Verachtung entgegen. Deserteure galten in der deutschen Nachkriegsgesellschaft als "Feiglinge" und "Vaterlandsverräter". Ludwig Baumann flüchtete Jahre lang in den Alkohol. 1990 gründete er mit 37 Leidensgefährten und einigen Historikern die Bundesvereinigung der Opfer der NS-Militärjustiz. Erst am 17. Mai 2002 hob der Deutsche Bundestag die meisten NS-Militärgerichtsurteile bis auf die gegen so genannte "Kriegsverräter" auf - letztere wurden erst am 8. September 2009 rehabilitiert. Ludwig Baumann ist mit dem Aachener Friedenspreis ausgezeichnet worden.

Am Dienstag, 1. November, liest Fritz Gärmer um 19 Uhr im Johanniszentrum, Bremer Straße 9, die Erzählung "Ein Kriegsende", in der Siegfried Lenz den Konflikt einer Schiffsbesatzung zwischen bedingungslosem Gehorsam und moralischem Gebot in eindrucksvoller Weise thematisiert. Den Abschluss des Programms bildet die Gedenkveranstaltung zum 63. Jahrestag der "Reichspogromnacht", die am Donnerstag, 10. November, um 18.30 Uhr auf dem Jüdischen Friedhof auf dem Schwarzenberg in Heimfeld beginnt.

Die Bücherhalle ist montags und donnerstags von 11 bis 19 Uhr, dienstags und freitags von 10 bis 18 Uhr sowie sonnabends von 10 bis 14 Uhr geöffnet. Der Eintritt ist frei. Auch die öffentlichen Führungen sonnabends um 11 Uhr sind kostenlos.