Am Anfang stehen häufig positive Erlebnisse. Und neben einer Therapie muss sich auch gesellschaftlich etwas ändern, fordert der Psychologe

Lüneburg. Die Frage klingt ganz einfach. Und trotzdem ist es eine, die offenbar einen Nerv getroffen hat. Wer am Vortragsabend nur pünktlich und nicht eine Viertelstunde vor der Zeit die Tür zur Volkshochschule aufstieß, suchte vergeblich einen freien Stuhl. Mit vielen zusätzlich herangeschafften Sitzgelegenheiten waren es um 19 Uhr rund 120 Frauen und Männer, die vom Oberarzt der Psychiatrischen Klinik erklärt bekommen wollten, was das denn nun eigentlich ist, ein "Burnout". Niemand versteht heute noch darunter, was der Begriff 1978 laut Brockhaus bedeutete: das Durchbrennen von Reaktorbrennstäben.

Am Anfang sei schnell erklärt, wie die kurze Antwort auf die einfache Frage lautet: ein Erschöpfungszustand, bei dem ein Wellnesswochenende am Meer, ein paar Tage Krankschreibung oder ein Urlaub nicht mehr ausreichen, um sich zu erholen. Ein Burnout ist aber keine Erschöpfung, die von einer körperlichen Ursache herrührt - etwa einer chronischen Entzündung, einer Krebs- oder Schilddrüsenerkrankung oder dauerhaften Schmerzen. Ein Burnout hat andere Ursachen.

Und die treffen sich laut Referent Dr. Michael Schejbal von der Institutsambulanz der Psychiatrischen Klinik in der Schnittmenge von drei Faktoren: Stress, Erschöpfung und Depression.

Nun ist Stress von Haus aus gar kein negativ besetzter Begriff, erklärte der Oberarzt. Stress gab es schließlich auch bei den Höhlenmenschen, er war überlebensnotwendig zum Beispiel bei der Jagd auf ein Mammut. Wer sollte die schon ohne das von den Nebennieren ausgeströmte Hormon Adrenalin durchstehen. Denn Stress macht euphorisch.

Der Haken heute: Die Pausen zwischen den Stressphasen verschwinden. Während der Höhlenmensch nach stressiger, aber erfolgreicher Jagd zwangsweise erst einmal mit anderen Dingen als Jagen beschäftigt war wie etwa Essen und Verwertung des Tieres, macht sich der moderne Mensch nach einer erfolgreichen Jagd gleich auf zur nächsten. Es gibt schließlich Kühlschränke.

Soll heißen: Die einst durch die äußeren Bedingungen zwangsweise entstandenen Pausen - Nichterreichbarkeit wegen fehlender Handys! - zwischen den Stressphasen fallen weg. Wir jagen ein Mammut nach dem anderen.

"Wir können durch Adrenalin kurzfristig höchste Leistungen erbringen", erklärte Dr. Schejbal, "das ist ein normales Phänomen. Doch die Schwester von Stress ist Erschöpfung. Und wenn nach der Erschöpfung keine Erholung mehr möglich ist, rutschen wir in die Depression oder den Burnout." Dabei brauche es keine depressive Verstimmung, um in einen Burnout zu geraten, betonte er.

Drei Phasen macht der Arzt aus, die sich über Jahre oder sogar Jahrzehnte hinziehen können: Nummer eins die Aktivierungsphase, Nummer zwei die Widerstandsphase und Nummer drei die Erschöpfungsphase. Die Aktivierungsphase ist geprägt durch euphorischen, positiven Stress -"beste Voraussetzung, um ausgebeutet zu werden", so Schejbal. Denn: Alles läuft super, und das Fatale obendrein: Es gibt positive Rückmeldung der Umwelt. Die Folge: Fortsetzung des Verhaltens. Denn es läuft ja alles super. Und es gibt Anerkennung von außen. Wer aber aufmerksam ist, bemerkt die ersten negativen Anzeichen des Surfens auf der Adrenalin-Welle: Unruhe, Rededrang, Nägelkauen, Harndrang, leicht erhöhter Puls. Doch sie sind zu harmlos und zu wenig negativ, um sie als das zu nehmen, was sie sind: Warnsignale.

In der Widerstandsphase ist weiter Höchstleistung angesagt, aber die körperlichen Erscheinungen werden langsam organischer, struktureller: Schlafstörungen, dauerhaft erhöhter Blutdruck, Infektanfälligkeit. "Davon ist nichts ein Muss, sondern alles ein Kann", betonte der Arzt. Ein häufiger Kreis in dieser Phase: abends mit Alkohol in den Schlaf finden und tagsüber mit Kaffee wach halten. Die Stimmung schlägt um, von Euphorie in Dysphorie, "ich kann nicht mehr", heißt es dann schon mal, Kinder und Partner werden angeschrien.

Phase drei. Die Erschöpfungsphase. "Nichts geht mehr", so Dr. Schejbal. Die Stresshormone sinken ab, die Drüsen können sie nicht mehr in der Menge produzieren wie bislang. Schlaf oder Urlaub reichen nicht. Die Betroffenen werden zynisch, mitleidlos, unfreundlich - oder aber mutlos, depressiv.

Ein Phänomen zieht sich laut Schejbal durch jede Phase des Burnouts: die Verleugnung. "Verständlich. Schließlich ist der Appell ja, sein Leben zu ändern. Und das macht immer Angst. Also wurschtelt man vor sich hin - und wird fertiger und fertiger."

Neben persönlichen, inneren Bedingungen für ein Burnout - Perfektionismus, Unfähigkeit zum Abgeben von Aufgaben, Erwartung von Anerkennung von außen durch Leistung und Engagement - gibt es natürlich auch äußere: etwa den Zynismus in Betrieben. Schejbal sagte: "Erfolge fährt immer das Team ein. Misserfolge und Krankheit jeder allein." Freizeit dürfe in der Bildungselite nicht mehr aus Nichtstun bestehen: "Es muss schon eine Vernissage sein. Langeweile ist out, es besteht sozialer Druck." Was aber hilft? Darauf gibt es keine kurze Antwort. Auch an diesem Abend nicht. Denn der Ratschlag gegenüber Betroffenen, doch eine Psychotherapie zu machen, "setzt dem Ganzen doch die Krone auf", so Schejbal. "Denn das heißt ja: Das ist dein Problem, und du kannst es lösen. Doch was ist mit den äußeren Bedingungen?" Die Antwort blieb und bleibt offen. Klar ist erst einmal nur: "Das, was ich selbst dazu beitrage, kann ich durch eine Beratung oder eine Therapie versuchen zu ändern." Der Rest ruft nach gesellschaftlicher Debatte.