Ein Lehrstück auch für die Politik: Die Bürgerinitiative in Klecken hat ihren Standortwunsch in Sachen Supermarkt durchgesetzt.

Klecken. Die Erdarbeiten an der Bürgermeister-Glade-Straße sind unübersehbar: Am "Landhaus" in Klecken, dem Geschäftszentrum des Ortes, wird ein Rewe-Markt gebaut. Ende September soll Richtfest sein. Noch vor Weihnachten wird der einzige Supermarkt für die etwa 5000 Menschen in den Ortschaften Klecken und Eckel eröffnen. Vor zwei Jahren noch war der Kampf um diesen Einkaufsstandort das größte Politikum in der Gemeinde Rosengarten.

Dass heute der Immobilienentwickler Procom Invest am "Landhaus" für seinen Mieter Rewe baut, ist die Erfolgsgeschichte eines Einwohnerprotestes, der zu Anfang auf verlorenem Posten schien: Die Mehrheit im Gemeinderat wollte den Supermarkt an einem anderen, 1500 Meter weiter entfernten Standort ansiedeln. Der Bürgerinitiative (BI) "Nahversorgung Klecken Eckel, Ja, aber richtig!" gelang es dennoch, die Parteienfront aufzubrechen. Die Strategie eines erfolgreichen Bürgerprotestes - eine Analyse.

Die Ausgangslage

Dass Klecken endlich einen Supermarkt bekommen soll, ist unstrittig. Ein Plan eines Bauvorhabens mit Seniorenheim und Discounter am Standort "Landhaus" scheitert, weil es dem Projektentwickler nicht gelingt, den Finanzierungsnachweis zu erbringen. Im Mai 2009 bringt die Ratsmehrheit von SPD, Grünen, FDP und Wählergemeinschaft überraschend einen neuen Standort ins Spiel: "Klecken-Mitte", weit weg von dem Geschäftszentrum "Landhaus".

Drei Interessengruppen schließen sich daraufhin gegen den neuen Einzelhandelsstandort zusammen: Geschäftsleute am "Landhaus", Landfrauen, die ein halbes Jahr zuvor 1026 Unterschriften für einen Supermarkt in "Landhausnähe" gesammelt hatten, und verschiedene Einwohner, die "Klecken-Mitte" für falsch halten. Sie vereinigen sich noch im Mai zur Bürgerinitiative "Nahversorgung Klecken Eckel - Ja, aber richtig!". Keiner von ihnen hatte jemals zuvor in einer Bürgerinitiative mitgearbeitet, niemand hatte Erfahrungen in Öffentlichkeitsarbeit und baurechtlichen Fragen. Unterstützt wird die Bürgerinitiative von der CDU, zwar stärkste Fraktion im Gemeinderat, aber in der Stimmenanzahl dem Bündnis "Neue Mehrheit" unterlegen.

Die Demonstration

Unmittelbar vor der entscheidenden Ratssitzung im Juni 2009 gelingt der Bürgerinitiative ein Coup: Sie mobilisiert mehr als 250 Einwohner, die vor dem Rathaus gegen den Standort "Klecken-Mitte" demonstrieren. Sie empfangen die ehrenamtlichen Politiker mit Plakaten, Trillerpfeifen und Rasseln.

Die Demo gilt heute bei der Bürgerinitiative als der wichtigste Schachzug, die Ratsmehrheit zum Einlenken gebracht zu haben. "Die Politiker waren so erschrocken, die waren baff", sagt BI-Sprecherin Bettina Erwin. Offenbar ist ihnen bewusst geworden, das Bürgerinteresse an der Supermarkt-Frage unterschätzt zu haben. Die Folge: Die Ratsmehrheit beschließt, die Standort-Entscheidung zu vertagen.

Der Dialog

Hartnäckig beim Nachfragen, bestimmt auch süffisant, aber nie unter der Gürtellinie: Die Bürgerinitiative qualifiziert sich als Gesprächspartner, bleibt stets im Dialog mit dem politischen Gegner. Bisweilen ist die Atmosphäre giftig, aber nie vergiftet. BI-Mitstreiter besuchen regelmäßig die Einwohnerfragestunde bei Ratssitzungen und Fachausschusssitzungen.

Ein abendlicher Aufwand, der sich lohnt: "Die Politiker mussten sich äußern", sagt Heiko Delventhal, BI-Koordinator und damit so etwas wie der 1. Vorsitzende. "Wir bekamen so Aussagen, an denen wir die Politiker messen konnten." Die BI schickt sogar Weihnachtskarten an den politischen Gegner.

Die Öffentlichkeitsarbeit

Neben dem ständigen Dialog mit den Politikern bezeichnet Heiko Delventhal die Öffentlichkeitsarbeit als das A und O des Erfolges. Geheimdiplomatie gehört nicht zum Stil der Bürgerinitiative: "Wir standen immer im Dialog", sagt der BI-Koordinator, "aber jeder wusste, dass alles öffentlich gemacht wird." Die Bürgerinitiative gibt dazu einen eigenen Newsletter heraus.

Das Bürgerbegehren

Die Bürgerinitiative initiiert ein Bürgerbegehren, obwohl sie von Anfang an weiß, wie sie heute zugibt, dass es rechtlich nicht zulässig ist. Das Recht in Niedersachsen schließt Bürgerentscheide über Bebauungspläne aus.

Dennoch sei das Bürgerbegehren eine wichtige Demonstration gewesen: Die BI sammelt mehr Unterschriften als nötig, erfüllt das gesetzlich vorgesehene Quorum. "Wenn man die formellen Kriterien erfüllt, hat das eine psychologische Wirkung", sagt Bettina Erwin.

Die Psychologie

Die Bürgerinitiative hat von Anfang an die Strategie verfolgt, für etwas zu sein. Obwohl sie de facto Supermärkte in "Klecken-Mitte" und am früheren Spar-Markt-Gelände (Lidl zeigte hier Interesse) vereitelt hat, kommt sie nicht in den Ruf, Verweigerer zu sein. Die BI pflegt den Kontakt zur Procom Invest und demonstriert so die Ernsthaftigkeit des Rewe-Markt-Projektes am "Landhaus".

Die interne Organisation

Als der erste BI-Chef Sven Bagemihl aus beruflichen Gründen seine Führungsrolle im Oktober 2009 aufgeben muss, bricht die Arbeit der Initiative nicht zusammen. Ein Führungsstab von zwölf Personen lenkt die BI über mehr als zwei Jahre hinweg. Dem Stab gehört auch das Gründungsmitglied Dorothea Hoyer an. Die Landfrau ist von unschätzbarem Wert für die Bürgerinitiative: Sie kennt offenbar jeden im Ort. Die BI hat Drähte in den Schützenverein, die Freiwillige Feuerwehr und den Tennisverein - ein Grund für ihre große Mobilisierungskraft.

Das Zusammengehörigkeitsgefühl

Zur Mobilisierung der Sympathisanten organisiert die Bürgerinitiative einen Lichtermarsch. So nimmt sie die Menschen emotional mit. Ein selbst entworfener Autoaufkleber wird zum Verkaufsschlager - er findet sich auf der Hälfte aller Autos im Dorf wieder.

Was bleibt vom Bürgerprotest?

Die Bürgerinitiative wird sich mit der Eröffnung des Rewe-Marktes am "Landhaus" auflösen. Die Idee, als Wählergemeinschaft Politik zu machen, hat der bunt zusammengewürfelte Haufen schon früh verworfen. BI-Koordinator Heiko Delventhal will sich weiter politisch engagieren und kandidiert bei der nächsten Kommunalwahl für die CDU: "Bürgerengagement lohnt sich", sagt er. Der Erfolg zeige, dass man sich vor niemandem klein machen müsse, sagt Dorothea Hoyer. Klecken habe an Gewicht gewonnen in der Gemeinde: "Die Politik weiß jetzt", so Bettina Erwin, "wir sind das kleine gallische Dorf."