Geplante Oberstufe fällt weg. Gewerkschaft vermutet in Rolle rückwärts der Landesregierung gezielten Schlag gegen Integrierte Gesamtschulen.

Lüneburg. Bei Opposition und Verbänden ist Kopfschütteln die Reaktion auf die jüngste Wende in der niedersächsischen Schulpolitik. "Der Minister hat sein Meisterstück versemmelt." So ist es seit Tagen aus den Reihen der Opposition im Niedersächsischen Landtag zu hören. Tatsächlich wurde die geplante Oberschule rasiert und ihres Herzstücks beraubt. Mit einem Mal nämlich ist die Oberstufe der Oberschule vom Tisch. "Gerade die Aussichten, das Abitur dort ablegen zu können, machte für viele den Glanz dieser Schule aus", sagt Annegret Sloot. Sie sollte Schülern auf dem Land die Aussicht auf das begehrte Abitur so lange wie möglich offen halten, damit auch "Spätzünder" eine Chance erhalten.

Zwar soll die Schule neben dem Haupt- und Realschulzweig wie von der Landesregierung geplant mit einem gymnasialen Zweig bis zur zehnten Klasse eingerichtet werden, "doch kann ich mir nicht vorstellen, dass viele Eltern ihre Kinder dort anmelden werden", so die Vorsitzende des Bezirksverbands der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Niedersachsen (GEW). Nun würden Eltern weiterhin den Besuch der oftmals weit entfernt liegenden Gymnasien vorziehen "Wer will schon die Katze im Sack kaufen." Für Sloot ist die Oberschule, wie sie noch in diesem Monat im Landtag beschlossen werden soll, ein Wahlkampf-Bluff.

"Die Oberschule war ein schickes Modell", bestätigt auch Rainer Timmermann, Präsident des Niedersächsischen Städte- und Gemeindebundes. Allerdings sei er "von den Socken" gewesen, als er vergangene Woche im Landtag über die Rolle rückwärts der Regierung informiert worden sei. "Damit haben wir nicht gerechnet und darauf beruhte nicht unsere Zustimmung", so Timmermann. "Wir wollen auf dem Land eine Schule mit der Option Abitur."

Er erinnert daran, dass zwei von drei Niedersachsen auf dem platten Land leben. Für eine große Anzahl der mehr als 500 Gemeinden im Land wie auch Mittelstädte in einer Größe bis 20 000 Einwohner sei die Oberschule ein hoffnungsvolles Angebot gewesen. "Wenn das nicht möglich ist, was brauchen wir dann eine neue Schulform?", fragt Timmermann.

Die Landesregierung begründet die Rückwärtsrolle unter anderem mit den zu geringen Schülerzahlen, die für die Einrichtung einer Oberstufe nicht ausreichten. Diese Zahlen waren jedoch schon vor einem halben Jahr bekannt. Angesichts des dichten Netzes an Gymnasien sowie der zurückgehenden Schülerzahlen seien zusätzliche Oberstufen vollkommen überflüssig und Verschwendung von Steuergeld, heißt es in einer Erklärung des niedersächsischen Verbandes.

+++ Kommentar: Ein großer Wurf ist das nicht, Herr Kultusminister! +++

Annegret Sloot und die SPD-Landtagsfraktion formulieren auch Bedenken hinsichtlich der unterschiedlichen Behandlung von Oberschule und Integrierter Gesamtschule. Während die Oberschule ähnlich einer kooperativen Gesamtschule zwei- bis dreizügig geführt werden soll, hält die Landesregierung nach wie vor an der Fünfzügigkeit für die Integrierten Gesamtschulen (IGS) fest, "obwohl diese Schulform in zahlreichen Kommunen von vielen Eltern gewünscht wird", so Sloot.

Eltern bevorzugen deren integrativen Unterricht sowie Durchlässigkeit und Flexibilität des Schulsystems. Das belegt eine Studie der Gemeinnützigen Gesellschaft für Gesamtschulen Niedersachsen (GGG). Im Sommer 2010 waren die Gesamtschulen erstmals in der Lage zu vergleichen, welcher Schulabschluss am Ende der vierten Klasse von den Grundschulen prognostiziert, für welche Schulform ein Kind als geeignet erachtet wurde und welchen mittleren Bildungsabschluss es am Ende der zehnten Klasse tatsächlich erreichte.

Die Auswertung zeigte eine deutliche Leistungsförderung in den Integrierten Schulen. So haben nach den landesweit einheitlichen und zentralen Abschlussprüfungen im Schnitt 55 Prozent der 2004 in eine IGS aufgenommenen Schüler den Erweiterten Sekundarabschluss I und damit die Versetzung in die gymnasiale Oberstufe erreicht; wobei im Landesschnitt nur 28 Prozent der 2004 aufgenommenen Schüler eine Gymnasialempfehlung hatten. 27 Prozent der Kinder brachten eine Hauptschulempfehlung mit und die Quote der Hauptschulabschlüsse lag bei 15 Prozent.

Weit unter dem Landesschnitt lag mit 0,9 Prozent im Jahr 2010 auch die Quote der Schüler ohne Schulabschluss. Nach Auskunft einer Bertelsmann-Studie verlässt jeder 15. Schüler in Niedersachsen die Schule ohne einen Hauptschulabschluss.

Annegret Sloot zieht ihre Schlüsse: "Die Landesregierung versucht ohne Rücksicht auf ernsthafte Bedenken ihre ideologisch gewünschte Schulform durchzudrücken. Das wird in den Kommunal- und Landtagswahlkämpfen nur dazu führen, dass es erneut einen Schulkampf gib, der niemandem nützen wird - am wenigsten den Schülern."

Kultusminister Bernd Althusmann betätigt in einem NDR-Interview indirekt die Vermutungen der GEW-Vorsitzenden: "Im Prinzip ist alles beim Alten geblieben. Die Oberschule bietet eine echte Alternative - nicht zum Gymnasium - aber auch zur Integrierten Gesamtschulen."

Im Landkreis Lüneburg dürften die Wellen weniger hoch schlagen, weil bislang keine Oberschule mit Oberstufe vorgesehen war. Ein gymnasialer Zweig wünschen sich hingegen Eltern und Kommunalpolitiker in der Elbmarsch. Die bisherige Haupt- und Realschule in Marschacht, die Ernst-Reinstorf-Schule, soll schnellstens zur Oberschule umgewandelt werden. Die Oberschule mit gymnasialem Angebot wird mit breiter Mehrheit unterstützt als Alternative zu einer Kooperativen Gesamtschule, die politisch nicht durchsetzbar ist.