Die Bauwagengruppe “Zomia“ will in Wilhelmsburg am Ernst-August-Kanal bleiben

Wilhelmsburg. Der Couscous und die Linsen kochen im Gemeinschaftswagen, die Malinois-Hündin Runa, 6, kuschelt auf dem Sofa in der Abendsonne und sechs junge Menschen im Alter von 21 bis 34 Jahren überlegen bei Bionade und Wasser, wie es weitergehen wird mit ihnen, mit ihren Wohnungen, mit ihrer Hab und Bleibe. Wir sind zu Besuch auf dem mittlerweile bundesweit bekannten Bauwagenplatz "Zomia": in Wilhelmsburg, im nördlichen Reiherstiegviertel am Ernst-August-Kanal, auf einem Areal, das juristisch gesehen Industriefläche ist.

"Wir haben diesen Ort gesucht und gefunden", sagt Marie, 30. Marie ist gebürtige Hamburgerin, stammt aus Wandsbek und studiert Soziale Arbeit. Sie lebt in einem Bauwagen auf "Zomia", gemeinsam mit 14 anderen jungen Menschen, die nicht in Wohnungen leben wollen.

Junge Menschen, die Miete sparen wollen. Junge Menschen, die unter ihresgleichen leben wollen. Junge Menschen, die nicht CDU, FDP, SPD oder GAL wählen. Junge Menschen, die die Protestbewegung "Recht auf Stadt" unterstützen. Junge Menschen, die genauso leben wollen, wie leben. "Ich kann mir vorstellen, in zehn Jahren auch noch so zu leben wie heute", sagt Marie. "Aber nicht immer mit einer kurzen Perspektive von ein paar Monaten. Ich habe besseres vor in meinem Leben, als alle Naslang umzuziehen."

Marie möchte "gute, kritische Jugendarbeit machen". Andi, 28, Metallkünstler aus dem Gängeviertel, das Herrchen von Runa, kann sich auch vorstellen auf der Industriefläche zu leben. Er sagt: "Ich will im Wagen leben und gut ist. Manche Mietwohnungen sind wie Legebatterien, da fühle ich mich schlecht."

Auf "Zomia" gibt es keine Legebatterien, sondern Wohnwagen und Wagen - die meisten haben Sonnenkollektoren. Marie hat eine Dachterrasse, auf der sie sich sonnen und Geige spielen kann. Das Wasser kommt von Freunden aus Wilhelmsburg, dreieinhalb Minuten mit dem Fahrrad entfernt. Im Winter wird mit Holz geheizt. Für menschliche Bedürfnisse gibt es eine Trenntoilette mit Regenwasser und Sägespänen.

Und da ist Markus Schreiber, der Mitte-Chef, 50 Jahre alt. Der Sozialdemokrat aus Finkenwerder wäre gerne Senator für Stadtentwicklung und Umwelt geworden. Schreiber war lange im Gespräch, aber Bürgermeister Olaf Scholz nahm Jutta Blankau an Bord, die ehemalige Bezirksleiterin der IG Metall Küste. Jetzt sind fünf Frauen und fünf Männer im Senat und der Pastorensohn Schreiber regiert weiter Hamburgs wichtigsten Bezirk.

Markus Schreiber sollte die Kuh vom Eis holen. Er sollte den Beschluss der Bezirksversammlung umsetzen: Schicht im Schacht für "Zomia" am 30. April. Auf die Frage, ob er den Kopf hinhalten müsse für Innensenator Michael Neumann, für Stadtentwicklungssenatorin Jutta Lankau, für Bürgermeister Olaf Scholz, ja: für die ganze SPD, die Hamburg in eine bessere Zukunft führen will, sagt Markus Schreiber: "Dazu sage ich nichts." Er sagt auch: "Auch Schwierigkeiten sind in meinem Gehalt mit drinnen."

Markus Schreiber sagt, man legalisiere den Zustand, wenn man "Zomia" am Ernst-August-Kanal lasse. Er sagt: "Das sind liebe Menschen, keine Bösen. Die werden von selber gehen, weil sie Sorge haben, ihre Wagen zu verlieren." Er sagt: "Die haben keine Wärmedämmung. All das, was man von Saga-Mietern verlangt, haben die nicht. Diese Form des Wohnens stammt aus dem letzten Jahrtausend. Sie ist total überholt, das ging mal früher, als ich jung war. Wohnwagenplätze widersprechen dem Anspruch ökologischen Bauens. Saga-Mieter leben fünf- bis zehngeschossig und verbrauchen nur ein Zehntel der Fläche."

Am Dienstagabend wird sich Schreiber mit Wilhelmsburger Wohnwagenleuten und Bezirkspolitikern treffen, danach mit dem Bürgermeister sprechen. Die jungen Menschen von "Zomia" haben Widerspruch eingelegt gegen eine Allgemeinverfügung. Schreibers Mitarbeiter werden den Widerspruch bearbeiten. Schreiber wird danach die sofortige Vollziehung anordnen sie im Amtlichen Anzeiger veröffentlichen. Die Leute von "Zomia" können noch vors Verwaltungsgericht ziehen.

Im Herbst 2002 war Markus Schreiber junger Mitte-Chef, als die Wagenburg "Bambule" geräumt wurde. Der damalige Innensenator Ronald Barnabas Schill - "Richter Gnadenlos" - fand die Räumung gut, er hielt den Kopf hin, es kam wochenlang zu Straßenschlachten. "Diesmal", sagt Markus Schreiber, "bleibt die Geschichte an mir hängen." Er sagt nicht: Olaf Scholz wird ihm präzise Anweisungen geben, wie mit den "Zomianern" zu verfahren sei.

Die Hamburgische Bürgerschaft hat am Donnerstagnachmittag fast einstimmig beschlossen, dass das Bauwagen-Thema in den Ausschuss für Stadtentwicklung verwiesen wird. "Solange der Ausschuss debattiert, werden keine Fakten geschaffen", sagte der Abgeordnete Andy Grote, 42, SPD. Der Grund: Der neue SPD-Senat will keinen Bauwagenplatz vor dem 1. Mai räumen, an dem es in Hamburg oft zu Auseinandersetzungen zwischen Autonomen und der Polizei kommt. Der Wilhelmsburger SPD-Abgeordnete Metin Hakverdi, 42, duzt sich mit den Leuten von "Zomia". Er sagt: "Wir werden für diese Menschen irgendwo in Hamburg einen Platz finden."

"Mein Gefühl sagt, wir bleiben hier", sagt Marie. Die Vögel zwitschern, die Lkw rollen über die nahe Harburger Chaussee. Der Couscous köchelt im Topf. Die Sonne streicht noch knapp über die Birken. Am Sonnabend, 30. April, werden die "Zomianer" an der überregionalen Demonstration in Hamburg "gegen kapitalistische Zustände und für die Aneignung von Stadt - für den Erhalt der Roten Flora und gegen die Räumung des Wagenplatzes Zomia" teilnehmen. Abends werden sie in den Mai tanzen. Auf ihrer Homepage steht: "Essen, Konzerte, Feuertonne, Cocktails, unräumBAR, Chill-Out. Räumung? Wir haben besseres vor!"