Heinz Strunk wird vom Landkreis der Blaue Löwe für “Fleisch ist mein Gemüse“ verliehen

Hätte dieser Mann gewusst, dass sein Intermezzo in der Showband "Tiffanys" im Landkreis Harburg schlappe zwölf Jahre andauern würde, dann, so Heinz Strunk, wäre er wahrscheinlich auf der Stelle bewusstlos umgefallen. Heinz Strunk wusste es nicht. Und so musste er in Echtzeit, unsediert und ziemlich wach miterleben, wie tumbe Schützenfeste, entfesselte Dorfjugendliche beim "Danz op de Deel" in dramatisch verrottenden Landgasthöfen, und vor allem seine eigenen Darbietungen als pink kostümierte Musikerwitzfigur bei "Tiffanys" jedes Wochenende als Feier des schlechten Geschmacks vor seinen Augen wie Nietzsches ewige Wiederkehr des Gleichen abspulten. Heute trägt Heinz Strunk dunklen Anzug, die grauen Haare am Ansatz leicht hoch gegelt, und jeder kennt seinen Roman "Fleisch ist mein Gemüse", der dieser persönlichen Leidenszeit im Nachhinein Sinn einhaucht.

Zu einem Entwicklungsroman im Landkreis Harburg hat Strunk seine Erlebnisse verdichtet, in dem er von den eigenen hochentzündlich pochenden Akneflechten, erotischen Dilemmata, ländlicher Lethargie und erlittenen Muckerdepressionen erzählt. Heute sind das Schatten der Vergangenheit: Strunk inszeniert und spielt mittlerweile in "Rust ein deutscher Messias" am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg, ein Projekt, das den 19-jährigen Piloten und seine aberwitzige Landung auf dem Roten Platz in Moskau dramaturgisch nutzt.

Heinz Strunk hat eigentlich gar keine gute Laune

Und vermutlich hätte Heinz Strunk nicht geglaubt, dass er so schnell wieder in Harburg landen würde. Wie auf dem Roten Platz in Moskau hat er sich vergangenen Dienstag beim Festakt im "rail info center" in Hittfeld sicher nicht gefühlt, denn es gab feierlich den Blauen Löwen, den Kulturpreis des Landkreises Harburg in der Sparte Literatur verliehen.

Spätestens bei dem von Strunk persönlich gewünschten Laudator nahm die Veranstaltung richtig Fahrt auf: Boris Lauterbach alias König Boris aus der Hamburger Hip-Hop-Formation "Fettes Brot", trat mit dandyeskem Hütchen an das Laudatorenpult und erwärmte mit seiner hamburgisch knarzigen Stimme die Herzen des Auditoriums: "Herzlich Willkommen auf dem Dampfer der guten Laune", startete er.

Der Heinz Strunk, so lernte das Publikum über den Geehrten, der habe ja eigentlich "gar keine gute Laune", der sei viel "zu wach", sehe "zu viel": Humor als Antwort auf Melancholie, wie auch Strunk später unterstrich. Und in der Tat zeichnet es alle Romane von Heinz Strunk, von "Fleisch ist mein Gemüse" angefangen über den Adoleszenzroman "Fleckenteufel" bis hin zu "Die Zunge Europas" aus, dass sie mit einer seismografischen Sensibilität gerade den melancholischen Momenten und den Momenten des Scheiterns im Dasein mit schonungsloser Präzision Ausdruck verleihen und aus der unerschrockenen Sezierung des Schrecklichen ihren Witz beziehen.

Dass Strunk dieses wachsame Sensorium auch ungebrochen auf das Tragikomische in der eigenen Person anwendet, ließ ihm die Leserherzen nur so zufliegen, die sich in die skizzierte Bedeutungslosigkeit des Muckerlebens bei "Tiffanys" und in die skandalös peinlichen, ja manchmal demütigenden Auftritte im Pink-Panther-Kostüm sympathetisch einfühlten.

Strunk selbst ging in seiner Dankesrede auf seine damalige biografische Ausgangssituation in Harburg in den 80er-Jahren ein, eine trostlose Einzimmerwohnung in Marmstorf und seine recht chancenfreien Träume von der großen Komponistenkarriere. Sein vor Skurrilität strotzender Roman "Fleisch ist mein Gemüse" katapultierte ihn dann 2004 mit einem Schlag aus der Bedeutungslosigkeit hinaus: 400 000 mal verkauft, bei Rowohlt verlegt, schlussendlich sogar verfilmt, landete Strunk mit seiner "Poetik des Scheiterns" auf der anderen Seite der Elbe, wohnt mittlerweile auf St. Pauli und hat in Hamburgs Kulturszene die Nase ganz weit vorn. Beim gemütlichen Teil der Veranstaltung im "rail info center" freute sich das Publikum einhellig über den würdigen, weit über die Grenzen Hamburgs hinaus bekannten Kulturpreisträger, der als junges, zukunftsweisendes, in Strecken auch gekonnt selbstironisches Signal des Landkreises verstanden wurde. Einige Gäste konnten selber noch berichten, dass sie die Galaband "Tiffanys" höchstpersönlich auf ihren Festen oder gar Hochzeitsgesellschaften erlebt hatten oder dass sich beim Lesen der Eindruck eingestellt hatte, selbst bei den Feten dabei gewesen zu sein.

Ein debiles Instrumentalstück auf dem Saxofon

Strunk wiederum nutzte den Festakt im Hittfelder Industriegebiet, um die Vergangenheit aufleben zu lassen: Auf der Bühne des "rail info center" las er aus seinem Erfolgsroman eine Szene über das erste Schützenfest in Moorwerder aus dem Jahr 1985. Bei beträchtlichem Stimmeinsatz ließ er noch einmal "Time is tight", "ein debiles Instrumentalstück" oder "Sommernacht in Rom" von Gigi Anderson auferstehen. Das Saxofon hatte er mitgebracht, um dem Harburger Publikum das Erlebte noch einmal plastisch und akustisch vor Augen und Ohren zu stellen. Wer Heinz Strunk, den Musiker, Komiker und Autor noch nicht kannte, konnte spätestens jetzt Tränen lachen.

Am Ende ging es glücklich mit dem "Blauen Löwen", seiner Freundin und Laudator Boris Lauterbach im Taxi zurück über die Elbbrücken. Für Heinz Strunk war es eine definitiv geläuterte Rückkehr in die Heimat. Das von der Sparkasse Harburg Buxtehude gestiftete Preisgeld von 2000 Euro wird ihm überwiesen werden. Auch nicht schlecht für die Vergangenheitsbewältigung.