Heinz Strunk wird mit dem Kulturpreis 2010 des Landkreises Harburg ausgezeichnet

Winsen. "Alles an die Sekt-Bar, denn es ist noch Sekt da. "Swingtime is Good Time. Good Time is better time." Die Stimmungssprüche des Bandleaders Gurki, der bei der Tanzkapelle "Tiffanys" für fast schon dadaistische Momente zwischen Liedern von "Mooooaaarius" oder Klaus und Klaus sorgt, kennt jeder, der "Fleisch ist mein Gemüse" gelesen, oder besser inhaliert hat. Heinz Strunk hat in diesem autobiografischen Roman seine von Akne, Lethargie und anderen Widrigkeiten geplagte Land-Adoleszenz im Bermudadreieck rund um Winsen, Maschen und Buchholz beschrieben. Als dörflicher Tanzmucker: Gefühlt hatte diese Daseinsform ungefähr soviel Sex-Appeal und Ansehen wie das Leben als Straßenreiniger.

Ein Leben ganz weit unten. Leben auf der falschen, der uncoolen Seite von Hamburg, südlich der Elbe - im Landkreis Harburg. Was tun? An ein Berühmtwerden auf den Schützenfesten, Feuerwehrbällen und Dorffeten als pink befrackte Musikerwitzfigur in einer drittklassigen Combo - zudem mit einer alarmierend entzündeten Akne ist für Heinz nicht zu denken. Die pulsierenden Flechten geben den Sound des Scheiterns vor, einen apokalyptischen Takt, der von "Gut-Schuss!", Gigi Andersons "Sommernacht in Rom" und Schützenfestbier begleitet wird.

Heinz Strunk ist mit seinem "Entwicklungsroman" aus dem Landkreis Harburg trotzdem zu deutschlandweiter Berühmtheit gelangt, landete einen Bestseller, der sich nach Informationen von Rowohlt sage und schreibe fast 400 000 Mal verkaufte und von Christian Görlitz verfilmt wurde.

Der Autor lebt heute im Stadtteil St. Pauli

Strunk trägt nun zu den ergrauten und stoppelig hoch stehenden Haaren Designer-Anzug, ein dandyeskes Goldkettchen und goldgerahmte Brille. In seinem neuen Appartement im Stadtteil St. Pauli macht ihm gerade die Elektrik das Leben schwer, aber davon lässt er sich nicht die Laune verderben. Der Kulturpreisjury aus dem Landkreis serviert er wahlweise Kaffee, Champagner oder Bier auf der Dachterrasse. Die Leberwurst als Mitbringsel aus Harburg ist: gut.

Die Leserherzen sind Strunk und seiner aberwitzigen Poetik des Scheiterns, des Ekels und der offensiv benannten Benachteiligung aus "Fleisch ist mein Gemüse" zugeflogen. Dafür nimmt ihn nun der Landkreis Harburg herzlich in seine Arme, der Kreis schließt sich: Strunk bekommt den Kulturpreis Blauer Löwe 2010 in der Sparte Literatur verliehen.

Was macht den Roman so besonders? Es ist die trostlos-skurrile und haargenau ins Auge gefasste Belanglosigkeit der Existenz, aus der es keinen Ausweg zu geben scheint: Heinz' literarischem Alter Ego gelingt bei "Tiffanys" zwar der Absprung von den Zuwendungen des Sozialamtes Hamburg-Harburg, dafür steht er jetzt bleich wie der Vollmond und in kompromittierenden Outfits von "Uniformen Heinemann" als Saxofonist vor "Biestern". Biester? Das sind die dörflichen Sexbomben, nur engagiert, um sein Triebleben als Tanzmucker zum Kollabieren zu bringen.

Erotische Apokalypse zwischen Winsen und Hollenstedt

Ein roter Faden durch Strunks Oeuvre: Den Höhepunkt erreicht die erotische Apokalypse beim Faslam im fiktiven Hollenstedter Gasthaus Kroll vor besonders hemmungslosen "Biestern". Strunks literarischer Held logiert im Harburger "Zwergenhaus" bei Mama, die von Psychosen gebeutelt ist. Zuweilen ereilt ihn die depressive "Muckerstarre", ein Zustand vergleichbar dem eines "trägen Insekts", der mit Dosenbier, Souvlaki oder in der Winsener Spielhallendynastie kuriert wird. Die Verzweiflung wird an Musikschülerinnen mit Atombusen ausgelassen, an denen Heinz ein strenges pädagogisches Exerzitium probt (Tonleitern in Des-Dur und as-Moll).

Strunk spielt in dem 2004 bei Rowohlt publizierten Bestseller auf der gesamten Klaviatur des Tragikkomischen. Seine schonungslos sezierende Beobachtungsgabe wird genauso auf sich, wie auf die tumbe Umwelt angewendet. Viele Typenzeichnungen sind herrlich. Der ungehemmt originelle Sprachwitz, die Milieustudie im Dunstkreis schrulligen Schützenwesens oder die bizarre Poetik, mit der Strunk den Mief verrottender Landgasthöfe sowie die entfesselte Dorfjugend beim "Danz op de Deel" zeichnet, ist preiswürdig.

Einstimmig krönte die Kulturpreis-Jury, der für das Abendblatt Rolf Schriefer und Stefanie Maeck angehörten, den Autor. Damit kam der Abendblatt-Vorschlag durch: Heinz Strunk, alias Mathias Halfpape, 1962 in Harburg geboren, wird für das literarische Denkmal geehrt, das er Harburg vor allem mit "Fleisch ist mein Gemüse" gesetzt hat.

"Fleisch ist mein Gemüse" ist auf liebevolle Weise entlarvend, doch nie bösartig. Hier gilt, was der gute alte Freud über den Humor dachte: So richtig befreiend löst sich nur etwas beim Lachen, wenn auch ein kleines wahres Tabu enthüllt und eine Grenze überschritten wird. Für solche humoristischen Punktlandungen und Überschreitungen des guten Geschmacks ist Strunk ein sicherer Garant. Landrat Joachim Bordt: Der Autor habe "für den Landkreis Harburg Literaturgeschichte geschrieben."

Mittlerweile sind Strunks Romane "Die Zunge Europas" und "Der Fleckenteufel" erschienen. Wieder Bestseller. Strunk inszeniert ab Oktober zum zweiten Mal am Hamburger Schauspielhaus. Er ist ein Gewinner. Dabei half ihm auch der Zufall: Denn ein Spaß-Album von ihm gelangte einst durch Zufall an Bela B., Schlagzeuger der Ärzte, der es an die richtigen Männer brachte. Zur Verleihung des Kulturpreises am 2. November im Hittfelder ric wird Strunk den Fuß geläutert in den Landkreis setzen.