In den Alphabetisierungskursen der Diakonie sind Frauen, die kaum lesen und schreiben gelernt haben

Buchholz. "Was hast du heute gekocht?" liest Manal Ibrahin vor, dreht den Kopf und schaut ihre Sitznachbarin fragend an. Die Frauen lachen über Manals Witz. Auch Wafaa Chbarou, 49, schmunzelt. "Gut vorgelesen", lobt die Lehrerin. Seit über zehn Jahren unterrichtet die Libanesin Migrantinnen in deutscher Sprache. Das Besondere: Der Alphabetisierungskursus des Diakonischen Werks der Kirchenkreises Hittfeld und Winsen richtet sich vor allem an Frauen, die in ihrem Herkunftsland kaum lesen und schreiben gelernt haben.

Integrationskurse sind in Deutschland für Migranten mittlerweile Pflicht. Aber wie soll ein Analphabet an einem solchen Kursus teilnehmen? Kaum möglich. Deshalb besucht Amtul Hafeez, 46, jeden Donnerstagnachmittag den Alphabetisierungskursus im Mehrgenerationenhaus Kaleidoskop. Sie kommt aus Pakistan. Seit nunmehr 20 Jahren lebt sie in Deutschland, erst in Lübeck, dann in Buchholz. Unsere Sprache spricht sie kaum. Nur drei Jahre hat sie in ihrer Heimat die Schule besucht. Ob sie lesen und schreiben kann? Ein wenig, arabische Schrift. Amtul tut sich schwer die Übungssätze vom Flipchart abzuschreiben. Das Handgelenk tue ihr weh, sagt sie. "Ich stehe vor dem Laden", "Er steht in der Reihe" - heute lernen die Frauen das Verb "stehen".

Mit neun anderen Frauen sitzt Amtul Hafeez an dem großen ovalen Tisch. Sie kommen aus Pakistan, Thailand, Albanien, Kolumbien, Afghanistan, Marokko, dem Iran. Manal Ibrahin, 32, ist Libanesin. Sie spricht gut Deutsch, Englisch sogar perfekt. Nur mit dem Schreiben tue sie sich schwer. Sie sei froh über das Angebot im Kaleidoskop. "Die Kurse an der Volkshochschule sind immer vormittags", sagt die vierfache Mutter. Dann habe sie keine Betreuung für ihre zweijährige Tochter. Die Enden ihres Kopftuchs hält Manal Ibrahin mit einer großen glitzernden Brosche zusammen.

Pelpoch Kantick, 27, ist vor einem Monat von Thailand nach Deutschland gekommen. In Bangkok habe sie bereits einen Sprachkursus beim Goetheinstitut belegt - ausreichend sei das aber nicht gewesen. Ihre Sitznachbarin Hayat Lamrane, 31, lebt seit einem Jahr in Buchholz. Die Marokkanerin hat vorher in Spanien studiert. Eine Analphabetin? Nein, das ist Hayat Lamrane nicht.

"Einige der Frauen sind schon fortgeschritten", räumt die Lehrerin ein. An sie richte sich der 15 Uhr-Kursus am Donnerstag. Hier sollen die Frauen einfache Sätze auf Deutsch schreiben und lesen können. Sie lernen Substantive und Verben, Groß- und Kleinschreibung. "Die Teilnehmerinnen die anschließend kommen, sind auf einem niedrigeren Leistungsniveau."

Wie Grundschüler in der ersten Klasse lernen sie Buchstaben, Zahlen, erste Wortbildungen. Auch dienstags gibt es eine Anfänger- und Fortgeschrittenengruppe, freitags lernen Frauen auf einem noch hören Level längere Stücke schreiben und lesen. Rund 40 Frauen besuchen die fünf Kurse. Das Ziel: Die Teilnehmerinnen sollen für weiterführende Sprach- und Integrationskurse fit gemacht werden. Dafür braucht es viel Geduld und Zeit. "Viele der Teilnehmerinnen machen die gleichen Fehler wieder und wieder", so Wafaa Chbarou.

Zu Beginn der Stunde fragt die Lehrerin die Hausaufgaben ab. Jede Teilnehmerin sollte zehn Sätze mit dem Verb "sitzen" schreiben. Marilda Asallanis Sätze sind kaum zu verstehen. Ihre Sitznachbarin beugt sich über ihr Heft, spricht Marilda die Wörter deutlich vor. Die Frauen helfen sich untereinander. Die Stimmung im Kursus ist gut. Trotzdem lässt sich Wafaa Chbarou die Aufgaben der 27 Jahre alten Albanerin zeigen. "Da ist viel falsch", sagt sie, "das korrigiere ich nach der Stunde."

"Die Sprache des Landes zu lernen in dem man lebt, ist das Wichtigste überhaupt", sagt Wafaa Chbarou. Sie weiß es aus eigener Erfahrung. Wafaa hat schon im Libanon als Lehrerin gearbeitet. Das war vor 25 Jahren. In Deutschland unterrichtet sie Deutsch als Fremdsprache. Ihre drei Kinder sind hier aufgewachsen, haben eine Ausbildung gemacht, studiert. "Auch wenn sich viele schwer tun. Die Frauen wollen lernen", ist sich Wafaa Chbarou sicher. "Wenn sie denn dürfen." Sie weiß, dass einige Ehemänner es nicht gerne sehen, wenn ihre Frauen zum Deutschkursus gehen. Mit ihnen reden, nein, das bringe nichts. "Die Männer sagen mir dann, ja, sie darf. Aber sobald ich aus der Tür bin, wird es wieder verboten." Dabei vertrauen die Frauen der Libanesin. Viele bringen behördliche Briefe mit zum Unterricht, lassen sie von Wafaa übersetzten.

Dorothea Gabelmann ist froh über die gute Beziehung zwischen Lehrerin und Schülerinnen. An ihrer Stelle hänge der Kursus. Die Migrationsberaterin des Diakonischen Werks der Kirchenkreise Hittfeld und Winsen kümmert sich um die Finanzierung. Dieses Jahr kommen die Gelder zu zwei Dritteln aus der evangelischen Erwachsenenbildung und zu einem Drittel aus der Kollekte der Landeskirche Hannover. Für die Frauen ist der Kursus kostenlos, von dem Großteil des Geldes wird Walfaa Chbarou bezahlt.

"Du stehst neben Rita", "Das Mädchen steht allein." Hayat Lamrane liest die Sätze flüssig vor. Plötzlich klingelt ihr Handy. Hektisch nimmt sie ab, murmelt ein paar Worte. Dann springt sie auf, greift Jacke und Tasche. "Mein Sohn weint, er ist krank, ich muss nach Hause", sagt sie. Die Lehrerin nickt. Sie weiß, dass die Frauen nur im Notfall dem Unterricht fernbleiben. Nach eineinhalb Stunden klappen alle ihre Hefte zu. Fröhlich verabschieden sie sich von Wafaa Chbarou. Ob die Lehrerin manchmal frustriert ist von den langsamen Lernfortschritten? "Nein, ich mache das gerne, auch nach zehn Jahren."