Mitarbeiter protestieren gegen die Stilllegung der Harburger Raffinerie

Wilhelmsburg/Harburg. Als Heiko Penshorn vor fast 30 Jahren als Produktionsfacharbeiter in der Harburger Raffinerie des Mineralölkonzerns Shell anfing, da dachte er, "das ist ein Arbeitsplatz fürs Leben, hier werde ich in Rente gehen". Mittlerweile ist der 50-Jährige aus Meckelfeld Meistervertreter in der Abteilung Destillation/Konvertierung und Mitglied im Betriebsrat.

Seit dem vergangenen Mittwoch sieht die Welt für Heiko Penshorn vollkommen anders aus: Nichts mehr mit einem krisensicheren Arbeitsplatz bis zur Rente, nichts mehr mit Lebens- und Planungssicherheit! Denn an jenem Mittwoch hat der Chef von Shell Deutschland Oil, Dr. Peter Seifried, auf einer Mitarbeiterversammlung verkündet, dass der nach Exxon zweitgrößte Mineralölkonzern der Welt Mitte 2012 wesentliche Teile der Anlage stilllegen will.

Die Harburger Shell-Raffinerie hat viele Preise gewonnen

Rund 300 der 570 Arbeitsplätze würden dann nicht mehr gebraucht, hieß es am Mittwoch. Doch der Betriebsratsvorsitzende Jörn Degetow, 50, aus Harburg, seit 33 Jahren im Betrieb, sieht die Situation noch pessimistischer: "Was den Wegfall der Arbeitsplätze angeht, sind die Zahlen noch untertrieben." Betriebsratsmitglied Michael Strietzel, 43, aus Over, sagt sogar, "wir befürchten, dass nur 100 Arbeitsplätze erhalten bleiben, wenn der Bereich, in dem Benzin, Diesel und Heizöl hergestellt werden, dichtgemacht wird". Zudem wären Hunderte Mitarbeiter von Zulieferern und Mitarbeiter von Fremdfirmen von der Teil-Schließung betroffen.

Michael Strietzel ist Schichtführer der Werkfeuerwehr in der fünften Schicht. Er sagt: "Unsere Raffinerie hat fast alle Preise, die Shell in puncto Anlagensicherheit und Verfügbarkeit vergibt, gewonnen. Es liegt also nicht daran, dass wir schlecht sind, sondern dass ein Global Player wie Shell uns nicht mehr haben will - wir passen halt nicht mehr ins Unternehmensportfolio."

Dagegen haben rund 20 Shellisten am Sonnabendvormittag im Bürgerhaus Wilhelmsburg protestiert. Anlass war der 26. Neujahrsempfang des Landesbezirks Nord der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE). Die Shellisten forderten - in Arbeitskleidung: Weg mit dem Teilungsbeschluss! Und keine Kündigungen! Der Landesbezirksleiter der IG BCE, Ralf Becker, sagte den Harburger Shellisten "alle Unterstützung" zu. Es sei ein "unhaltbarer Zustand, dass ein schwarze Zahlen schreibendes Werk strategischen Konzernentscheidungen geopfert" werde. Shell habe in Harburg wettbewerbsfähige Arbeitsplätze, "und um jeden einzelnen werden wir kämpfen".

"Vor allem die jungen Mitarbeiter, die auch schon etwas aufgebaut haben, fühlen sich vor den Kopf gestoßen", sagt Michael Strietzel. Besonders am Herz liegen ihm rund 15 junge Mitarbeiter, die die Harburger Raffinerie um das Jahr 2002 herum aus einer Raffinerie in Schwedt an der Oder nach der Ausbildung abgeworben hatte. "Die sind mit 18, 19 Jahren von zu Hause ausgezogen und haben sich in der südlichen Metropolregion Hamburg eine neue Existenz aufgebaut. Für diese Kollegen ist die Situation besonders schwer."

Ein 27 Jahre alter Kollege fällt Michael Strietzel ein. Seine Verlobte hat gerade ihren Arbeitsplatz bei Shell in Harburg verloren. Jetzt ist sein Arbeitsplatz bedroht. "Beide haben sich gerade eine Eigentumswohnung gekauft", sagt Michael Strietzel, "jetzt bricht alles zusammen."

Die Shellisten in Harburg sind hochqualifizierte Fachkräfte

Im Falle einer Kündigung hätten viele Mitarbeiter ein ganz spezielles Problem, sagt der Betriebsrat: "Sie sind ganz spezielle Fachleute in einer Raffinerie und werden es schwer haben, aufgrund ihrer Ausbildung auf dem Arbeitsmarkt der Metropolregion Hamburg eine Anstellung zu finden."

Die meisten Mitarbeiter haben eine dreieinhalbjährige Ausbildung hinter sich, hinzu kommt eine zweieinhalbjährige interne Weiterbildung. "Die Mitarbeiter sind also erst nach sechs Jahren voll einsatzfähig", sagt Michael Strietzel, "da müsste es doch im Interesse von Shell sein, diese gut ausgebildeten Fachkräfte im Unternehmen zu halten." Seine Forderung lautet daher: "Wenn es hier in Harburg den Bach heruntergeht, muss Shell für uns in Deutschland Jobs finden im Unternehmen."

Auch der Betriebsratsvorsitzende Jörn Degetow sagt: "Unterschwellig erwartet jeder bei uns ab dem 1. Januar 2012 die Kündigung. Aber Shell hat die soziale Verantwortung für die Leute."

Seit fast zwei Jahren will Shell die Anlage in Harburg verkaufen. Zahlreiche Investoren prüften die Bücher und haben dann doch abgesagt. Jetzt will Shell die Raffinerie aufspalten: Die kleine Grundölanlage soll an einen neuen Eigentümer verkauft werden, der größere Bereich ab dem zweiten Halbjahr 2012 stillgelegt werden.

101 000 Mitarbeiter arbeiten in 90 Ländern für Shell. Der Umsatz beträgt ohne Mineralölsteuern 215 Milliarden Euro, der Konzerngewinn 9,8 Milliarden Euro. Weltweit gibt es Überkapazitäten im Raffineriesektor. Allerdings will Shell mehrere Milliarden Dollar in einem Raffineriegroßprojekt in der Nähe von Shanghai investieren.