43 Jahre saß Manfred Karthoff im Kreistag des Landkreises - bis ein Formfehler den Liberalen im September sein Mandat kostete.

Neu Wulmstorf. Die Wehmut ist auch nach fünf Monaten nicht verflogen. Obwohl Manfred Karthoff dieses Wort selbst nicht in den Mund nehmen würde, sind ihm seine Gefühle über den Ausgang der Kommunalwahl im September des vergangenen Jahres immer noch anzumerken. "Sicher hätte ich gerne im Kreistag weitergemacht", sagt der Neu Wulmstorfer. Schließlich könne er dort viel mehr für die Bürger vor Ort bewegen. Er habe zunächst auch überlegt, rechtliche Schritte einzuleiten. Aber dann verwarf er den Gedanken doch.

43 Jahre war Karthoff im Kreistag des Landkreises Harburg gewesen, so lange wie kein anderer aktiver Politiker, als eine parteiinterne Panne den Liberalen auf den letzten Platz der Kandidatenliste rutschen ließ. Weil beim Kreiswahlausschuss eine spiegelverkehrte Liste eingereicht wurde, stand die eigentliche Nummer eins Karthoff, in seiner Heimatgemeinde auch als Mr. FDP bekannt, plötzlich ganz unten und der Neuzugang Peter Kurland ganz oben. Die liberale Welt stand kopf und konnte auch nicht wieder zurechtgerückt werden, da die Frist für Korrekturen schon abgelaufen war.

Am Ende verlor der pensionierte Zollbeamte sein Kreistagsmandat, auch weil Neu Wulmstorf im Vergleich zu den anderen Wahlbereichen im Landkreis viel kleiner und die Gesamtzahl der Kandidaten dort geringer ist. Trösten konnte er sich mit einem Sitz im Neu Wulmstorfer Gemeinderat, wo der 74-Jährige als letzter Liberaler zum Einzelkämpfer wurde.

Jetzt, mit etwas Abstand zu den Ereignissen des Herbstes, hat Karthoff die Ruhe zum Rückblick. Erst kürzlich hat ihn seine Partei für seine jahrzehntelange Arbeit im Kreistag geehrt, beim Grünkohlessen in Egestorf. Von Bitterkeit keine Spur, nur schade, ja, das sei das Ganze nach wie vor, sagt er und nimmt einen Schluck Tee aus seiner Tasse. Wer so wie Karthoff fast ein halbes Jahrhundert Kreispolitik gemacht hat, kann nur schwer loslassen. Aber er weiß auch: Es gibt Höhen und Tiefen. Und Überzeugungen, an denen man trotz allem festhalten muss.

Eine lautet zum Beispiel, dass man nicht immer alles sagen muss, was man weiß. "Aber wenn man etwas sagt, muss es die Wahrheit sein." Eine andere bezieht sich auf die Freiheit. Die dürfe man nicht nur egoistisch sehen, sondern auch mit Blick auf die Bedürfnisse der Mitmenschen. Und dann ist da noch das Verhältnis zum Staat. "Ich finde, die Bürger sollten so wenig wie möglich bevormundet werden, aber so viel Hilfe zur Selbsthilfe wie nötig erhalten."

Reine Parteipolitik, die Unterteilung in schwarz, rot, gelb, sind dem ehemaligen Vize-Landrat immer ein Graus gewesen. Auf kommunaler Ebene sei das nicht sinnvoll, es gehe in den Gemeinden doch nicht um die Interessen von Politikern, sondern um die Bürger, meint er. "Am Ende ist es doch keine SPD-Straße, die irgendwo gebaut wird, sondern eine Straße für jedermann."

Es sind seine Erfahrungen als Flüchtling, die den gebürtigen Ostpreußen am meisten geprägt haben - sowohl persönlich als auch in seinem Wirken als Politiker. Als er noch ein Kind war, zog seine Familie von Neidenburg nach Westpreußen, in den Landkreis Rosenberg. Seine Eltern betrieben dort ein Kolonialwarengeschäft mit angeschlossenem Festsaal. Im Januar 1945 dann die Flucht mit seiner Mutter und den zwei jüngeren Brüdern. Der Vater war damals im Krieg und sollte im April, kurz vor Kriegsende, fallen. 1946 kamen sie schließlich in Rahmstorf bei Moisburg an, von dort aus ging es 1955 weiter nach Neu Wulmstorf.

"Als Flüchtling war man ja nicht überall gern gesehen", erinnert sich Manfred Karthoff an die Anfangsjahre in der Heidesiedlung südlich der Bundesstraße 73, wo seine Mutter wie viele andere Vertriebene mit Mitteln aus dem Lastenausgleich ein Häuschen für die kleine Familie baute. Da auf dem ehemaligen Wehrmachtsgelände noch genügend Bauland zur Verfügung stand, wurden dort viele Flüchtlinge aus dem Osten angesiedelt. Doch das Verhältnis zwischen den Zuzüglern und den Einheimischen war nicht immer einfach, die unterschiedlichen Herkünfte bargen Konflikte. Trotzdem sollte es dem Flüchtling später gelingen, eine Einheimische zu heiraten.

+++ Enfant terrible des Harburger Kreistages +++

"Neid war oft ein Thema", sagt Karthoff, der nach der Schule eine Ausbildung zum Groß- und Außenhandelskaufmann absolvierte. Schon früh merkte er, dass er als Flüchtlingskind immer wieder an unsichtbare Grenzen stieß, die gar nichts mit ihm als Person, sondern nur mit seiner Herkunft zu tun hatten. "Das war mit ein Grund, warum ich unbedingt in die Politik gehen wollte." Er wollte etwas bewegen.

Für sich selbst hat Manfred Karthoff das zumindest geschafft. Er machte auf dem zweiten Bildungsweg das Fachabitur und ging dann zum Zoll, wo er von 1966 bis zu seiner Pensionierung vor elf Jahren arbeitete. 1968 zog er als 31-Jähriger für die CDU in den Kreistag und war mit Abstand der jüngste Politiker. "Der zweitjüngste war über 50", sagt er und kann sich ein Lächeln nicht verkneifen. Auch nach außen hin waren die Unterschiede sichtbar. Karthoff rumpelte mit seiner Ente zu den Sitzungen, die anderen fuhren im dicken Wagen vor.

Die Bildungs- und Sozialpolitik sei ihm immer Herzensangelegenheit gewesen, erzählt er. Deshalb wechselte er auch 1976 von der CDU in die FDP - aus seiner Sicht kamen diese Themen in der CDU nämlich zu kurz. Auch innerhalb der Partei habe er ein "soziales Ungleichgewicht" beobachtet, das ihn abgeschreckt habe. Die FDP erschien ihm vor allem wegen des Freiheitsgedankens und der Europapolitik als eine gute Wahl. Und das sei sie auch nach wie vor, "nur hat die Partei ihre Themen in der vergangenen Zeit auf Bundesebene nicht gut verkauft".

Er selbst habe als junger Mensch erst lernen müssen, mit den politischen Gepflogenheiten umzugehen, sagt Karthoff. Vieles gehe nur über Ränkespiele und Absprachen, aber auch darauf sei nicht immer Verlass. Im Rückblick glaubt der Vater zweier erwachsener Töchter, dass er früher energischer und rücksichtsloser für manche Dinge gekämpft habe als er es heute tun würde. Auch habe er wohl nicht immer alle Punkte bei bestimmten Entscheidungen berücksichtigt.

Den aktuellen Trend in vielen Kommunen, die Beteiligungen von Bürgern zu fördern oder Bürgerentscheide einzuleiten, sieht Karthoff eigentlich als Selbstverständlichkeit an. Es wundere ihn ein wenig, dass das auf einmal so eine große Sache sei, Politiker sollten doch seit jeher den Bürgerwillen vertreten. Er habe beispielsweise immer alle Betroffenen über bestimmte Bebauungspläne informiert. Wenn amtliche Bekanntmachungen lediglich in einem Schaukasten aushängen, habe das noch nie gereicht.

Seine eigene politische Zukunft macht der gläubige Katholik vor allem von seinem gesundheitlichen Zustand ab. "Natürlich merkt man, dass man älter wird." Was er früher an einem Tag geschafft habe, dauere heute länger. Wenn er aber eine Erfahrung im Laufe seines Lebens gemacht habe, dann die, dass man niemals nie sagen solle. Was genau er damit meint, lässt er - ganz Politikprofi - im Raum stehen.