Der 25 Jahre alte Dennis D. schlich sich im Dorf auf Grundstücke und guckte durch Fenster. Jetzt muss er für neun Monate ins Gefängnis.

Winsen/Marxen. Der Augustabend bricht langsam über Marxen herein, ein junger Mann verlässt mit seinem Schäferhund die Wohnung und stiefelt durch das 1300-Seelen-Dorf im Landkreis Harburg. Er hat ein Ziel im Visier: ein Haus, nicht gut einsehbar, geschützt von Büschen und Stauden. Er geht durch den Garten und bleibt neben dem Terrassenfenster stehen. Mehr als eine Stunde verharrt er ruhig mit seinem Hund und blickt durch die Scheiben. Im Wohnzimmer sitzt ein Mädchen, 14 Jahre alt - der Mann aus Marxen hat es im Visier, ohne Unterlass.

An diesem Nachmittag sitzt Dennis D., 25, auf der Anklagebank im Saal 226 des Amtsgerichts Winsen. Der Prozess beginnt nicht gut für ihn - sein Pflichtverteidiger begrüßt ihn erstmals im Gerichtssaal und sagt, er kenne "die Aktenlage" kaum. Dennis D. ist angeklagt, im Sommer 2011 dreimal Hausfriedensbruch begangen zu haben, "um in die Fenster der Häuser zu gucken", auch in Bade- und Schlafzimmerfenster.

Dennis D. räumt die Taten sofort ein. Er habe das Mädchen aber nur im Wohnzimmer beobachtet, bei den anderen Fällen sei er kurz nach dem Eindringen aufs Grundstück erwischt worden. "Warum", will Richter Dr. Michael Herrmann wissen, "machen Sie das?"

"Ich gucke durch die Fenster, um zu sehen, wie die Leute leben", sagt Dennis D. "Ich gucke mir das an, weil bei mir schief läuft, was bei anderen Menschen funktioniert. Ich fühle mich wohl, wenn ich andere Familien beobachte, weil ich das so nicht erlebt habe."

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Eine "psychische Störung" liege bei ihm vor, sagt der Angeklagte. "Ich hatte damals eine Internetbekanntschaft, die hat mich ausgenutzt. Ich habe für 400 Euro ihr Handy aufgeladen, aber sie hat mich auch an diesem Abend wieder versetzt. Da bin ich dann wieder durch das Dorf gezogen." Der Richter hat keine Fragen zu den Taten mehr, die drei Zeugen müssen nicht aussagen. Von ihnen ist außerhalb des Gerichtssaals zu hören, dass die drei Fälle nur die Spitze des Eisbergs sei. Der "Stalker von Marxen" sei Dutzende Male auf Grundstücke geschlichen. Sein Schäferhund hinterließ Kot in den Gärten, der Stalker habe viele Blumen und Beete zertrampelt. Viele Marxener hätten aber auf darauf verzichtet, den jungen Mann anzuzeigen.

Dennis D. ist kein unbeschriebenes Blatt. Der Kfz-Mechaniker in Festanstellung hat neun Einträge im Strafregister, darunter viermal wegen Hausfriedensbruchs in Bayern. Wegen zweier Taten hat er jeweils eine zweimonatige Haftstrafe bekommen, die für drei Jahre auf Bewährung ausgesetzt wurde. Eine Auflage war, dass sich Dennis D. in psychotherapeutische Behandlung begibt. Den Kontakt zum Psychotherapeuten hat er im September abgebrochen - "weil ich einen Drogenabsturz hatte", sagt der Angeklagte.

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Im Oktober 2011 haben wieder drei Marxener Strafanzeige wegen Hausfriedensbruchs gestellt. Dennis D.s Bewährungshelferin schreibt in einem Bericht: "Herr D. plant mit seiner Mutter nach Winsen zu ziehen. Auch dem Vorschlag, in ein betreutes Wohnheim zu ziehen, ist er nicht abgeneigt. Herr D. benötigt Unterstützung in jeglicher Hinsicht. Momentan zeigt er keine Einsicht, sich ändern zu wollen."

Der Richter verliest ein Gutachten eines bayerischen Landgerichtsarztes. Auch in Bayern habe Dennis öfter ein Mädchen in deren Haus beobachtet. Er habe gesagt, er werde dem Mädel nie etwas tun. Dennis' Kindheit war nicht auf Rosen gebettet. Seine Eltern ließen sich kurz nach der Geburt scheiden. Zum Vater hatte er kaum Kontakt. Seine Mutter ist Alkoholikerin. Seine erste Freundin ist bei einem Verkehrsunfall gestorben. Dennis D. hat mitunter sechs Flaschen Bier und eine Flasche Schnaps am Tag getrunken. Er sucht "nach Nähe, Liebe und Zuneigung und wollte sich in eine Scheinwelt flüchten. Eine krankhafte seelische Störung ist auszuschließen. Er war stets in der Lage, das Unrecht seiner Taten einzusehen".

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"Meine Mutter wollte sich in meiner Gegenwart mit Tabletten umbringen", sagt Dennis D. "Ich habe ihr das Glas aus der Hand geschlagen."

Richter Dr. Michael Herrmann spricht ein hartes Urteil: Neun Monate Knast ohne Bewährung für Dennis D. "Hausfriedensbruch wird ja landläufig als Kavaliersdelikt angesehen. Aber er löst bei den Betroffenen Angst aus. Sie leiden unter einer Persönlichkeitsstörung, aber ein Ausschluss der Schuldfähigkeit liegt nicht vor. Bei ihnen ist ein Unrechtsbewusstsein vorhanden."

Dennis D. sagt, "ich möchte mir helfen lassen, mir tut es leid, dass es dem 14 Jahre alten Mädchen nicht so gut geht". Deren Mutter sagt, ihre Tochter traue sich nicht mehr abends allein auf die Toilette zu gehen. Alle Zeugen sagen, sie wünschen Dennis D. keinen Gefängnisaufenthalt: "Er braucht Hilfe und wir hoffen, dass er seinen Weg machen wird."