Dr. Christoph Giffey hält den Vorschlag des Gesundheitsministers für zumutbar. Denn: Im Landkreis Harburg wird die Versorgungsrate für Patienten sinken.

Bendestorf/Hannover. Landarzt werden? Nein, Danke! Warum sollte Christoph Giffey ausgerechnet am Anfang seiner Medizinerlaufbahn einen Gedanken daran verschwendet haben? Für den gebürtigen Bremer war schon damals, vor 30 Jahren, abwegig, was für viele Studenten heute unvorstellbar ist: Als Landarzt in der Provinz praktizieren.

1993 landete der 50-jährige Allgemeinmediziner trotzdem in Bendestorf. Nach seiner Bundeswehrkarriere musste er sich beruflich neu orientieren und hörte von einem Bekannten, dass in der Nordheide eine Hausarztpraxis frei werde. Auch die dazugehörige Villa stand zum Verkauf. Seitdem ist Dr. Christoph Giffey niedergelassener Arzt am Itzenbüttler Mühlenweg, nennt sich selbst Landarzt.

Ein Zuckerschlecken sei das nicht, denn vom romantisierten Bild des Landarztes, der bei Sonnenschein und leichter Brise durch goldgelbe Felder fährt, sei wenig übrig. Hausbesuche machen, verlässlicher Ansprechpartner sein und auch ein bisschen Seelsorger - so sehe die Realität aus. Dr. Christoph Giffey betreut 1000 Patienten im Quartal und macht damit 150 000 Euro Umsatz im Jahr.

Diese Aussicht lockt Studierende von heute nicht mehr. Vielmehr zieht es junge deutsche Ärzte in Kliniken, in die Forschung oder ins Ausland, was dazu führt, dass bundesweit die Mediziner knapp werden. Insbesondere Hausärzten auf dem Land fällt es schwer, einen Nachfolger zu finden. Das belegen die Zahlen der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachen (KVN), die derzeit 680 niedergelassene Mediziner sucht.

Auch im Landkreis Harburg könnten bald einige Orte ohne Hausarzt dastehen: Die Kassenärztliche Vereinigung rechnet damit, dass in Niedersachsen in den kommenden zehn Jahren 4200 Ärzte in den Ruhestand gehen. Das sei mehr als ein Drittel der 11 000 Ärzte im Land. Besonders betroffen seien strukturschwache Gegenden wie Gifhorn oder das Emsland - aber auch der Landkreis Harburg. Im südlichen Hamburger Speckgürtel, so prognostiziert die KVN, könnte der Versorgungsgrad für Patienten auf 80 Prozent absacken. "Uns bricht der Nachwuchs weg. Im Jahr 2020 werden landesweit 1000 Hausärzte fehlen", sagt Eberhard Gramsch, Vorsitzender der KVN.

Deshalb begrüße er den Vorschlag von Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler (FDP), den Numerus clausus für Medizinstudenten abzuschaffen und eine Landarztquote einzuführen. Künftig sollen damit auch Rettungsassistenten, Sanitäter oder Krankenschwestern Zugang zum Studium erhalten. Denn, so Rösler, der Notenspiegel allein sage nichts darüber aus, ob ein Studienanfänger ein guter Arzt werde. Übergeordnetes Ziel: Die Zahl der Studienplätze soll erhöht werden. Derzeit liegt sie bei 9000, in den 80er-Jahren waren es allein in Westdeutschland 12 000. "Dies kann aber nur ein Baustein sein", so der KVN-Vorsitzende Gramsch. Deshalb spreche der niedersächsische Arztverbund seit geraumer Zeit in Eigeninitiative gezielt Medizinstudenten an, versuche sie für das Land zu gewinnen.

Währenddessen zeigt sich auch der niedersächsische Städte- und Gemeindebund vom Vorstoß des Gesundheitsministers begeistert: "Endlich kommen konkrete Vorschläge auf den Tisch, um den Hausarztberuf auch auf dem Land wieder attraktiver zu machen", sagte Präsident Rainer Timmermann. Und auch an der Basis, beim Bendestorfer Landarzt Christoph Giffey, kann man dem Vorschlag Charme abgewinnen: "Natürlich bringt es nichts, einen unmotivierten Landarzt zu verpflichten. Aber letztlich ist die Landarztquote eine Frage der Zumutbarkeit. Kann man einem Studenten zumuten, sich festzulegen, als Landarzt zu arbeiten? Ich denke: Das wäre nicht verkehrt. Der Staat müsste sich da durchsetzen." Kritiker der bundespolitischen Oppositionsparteien hingegen verurteilen diese Festlegung als vermessen.

Giffey indes weiß es mittlerweile zu schätzen, für seine Patienten der Landarzt zu sein. Ehrlicher Klönschnack, kompetente Behandlung - da wisse man, was man hat: "Bei uns gibt es jedenfalls kein Schickimicki", sagt Giffey. Und überdies genieße er die "Freiheit", keinen Chef zu haben und am eigenen Familienleben teilhaben zu können. Es sei ein großer Vorteil, mit seiner Frau Claudia und den drei Kindern unter einem Dach zu wohnen und zu arbeiten. Bis ins Alter von 68 will er noch praktizieren, seine Nachfolge sei bislang ungeklärt. "Aber Bendestorf liegt günstig, an der Schnittstelle zur Stadt. Ein klassischer Landarzt im Süden des Landkreises hat es sicher schwerer. Da könnte es dünn werden für die hausärztliche Versorgung."

Und warum scheint es für Studenten so grausam zu sein, Landarzt werden zu müssen? Dass die Entfernung zur Großstadt gerade jungen Menschen wichtig ist, könne er nachvollziehen. Darum müssten Hausärzte in ländlichen Regionen gefördert werden. "Attraktiv wird es, wenn das Geld auf dem Land stimmt. Dann können sich junge Mediziner auch mit kulturell weniger anspruchsvollen Gegenden anfreunden. Günstige Räume, etwas Startkapital und eine angemessene Vergütung - dann würden es sich viele Studenten überlegen", sagt Giffey.

Sein Sohn Christian ist 21 Jahre alt und studiert im zweiten Semester Medizin. Vom Vorschlag des Gesundheitsministers hält er wenig: "Ein Auswahlverfahren nach Motivation halte ich für sinnvoller als einen gesenkten Numerus clausus. Ein Hausarzt muss soziale Empathie mitbringen. Und deshalb bringt es nichts, Studenten zum Landarzt zu zwingen." Und? Will er in die Fußstapfen seines Vaters treten? Christian windet sich etwas: "Keine Ahnung", sagt er. "Mal sehen."