Die bretternden Lastwagen erschüttern die Häuser so, dass Risse in Fassaden entstehen. Auch Putz fiel schon herunter - nicht ungefährlich.

Harburg. Rrummms: Als Gastronom Sven Oliver Scharf in seinem Restaurant am Karnapp aus der Eingangstür schaut, fallen Gesteinsbrocken vor seine Füße. Wenige Tage ist das her. "Die Trümmerteile stammen aus dem Erker im ersten Stock", sagt er und erhebt seine Stimme, denn gerade donnert ein Lkw die Straße herunter. Nicht der erste Laster an diesem Morgen. Scharf: "Der Lärm ist eigentlich nicht das Problem, sondern die Erschütterungen, die durch den Schwerlastverkehr hervorgerufen werden, setzen den historischen Gebäuden zu. In den Wohnungen platzt der Putz von den Decken - und es platzen eben auch die Steine aus der Fassade."

Einen Tag musste Scharf aus Sicherheitsgründen schließen und machte Verluste "in Höhe von mehreren Hundert Euro." Einige Tage später bekommt er Besuch. Ingenieure, beauftragt vom Bezirksamt, messen das Ausmaß der Erschütterungen, nicht nur bei Scharf, sondern auch einige Meter weiter bei Leon Przybylski.

Fünf Stunden lang summten im Flur und im ersten Stock des Hauses, das 1904 erbaut wurde, die Geräte. Przybylski: "Um herauszufinden, dass hier etwas nicht stimmt, muss man sich nur die Risse in der Fassade anschauen. Jedes Mal, wenn ein Laster vorbeifährt, vibriert es im Wohnzimmer und die Möbel wackeln." Und dass es dank Fahrbahn und Bahntrasse übermäßig laut ist am Karnapp, ist auch dem Bezirksamt schon länger bekannt. So bestätigt ein stadtplanerisches Gutachten, dass der Geräuschpegel viel zu hoch ist. Im Rahmen eines Gesprächs mit dem Hamburger Abendblatt bestätigte Henning von Ladiges, Leiter des Amts für Stadt- und Landschaftsplanung, dass Werte deutlich über 60 bis 70 Dezibel erreicht werden. Das sei für ein Wohngebiet unzumutbar. Pech für die Bewohner: Der Karnapp ist nicht als ein solches ausgewiesen.

Und es wird vermutlich noch lauter. Denn wie berichtet, soll dank einer geplanten Neuauflage des Bebauungsplans der Lkw-Verkehr aus dem Binnenhafengebiet verschwinden. Im Binnenhafen, an der Schlossstraße und an den so genannten Hafenköpfen am Kanalplatz und am Veritaskai entstehen neue Wohngebiete. Da stören die Brummis. Laut von Ladiges habe man eine Güterabwägung getroffen - der Karnapp mit seinem historischen Gebäudeensemble zog die schlechtere Karte und soll Bestandteil von Harburgs kleiner Binnenhafenquerspange sein.

"Na ja, wer in eine Großstadt zieht, muss mit dem Lärm rechnen. Es sind die Erschütterungen, die den Leuten hier das Leben zur Hölle machen", sagt Anwohner Geerd Fischer, der sein denkmalgeschütztes Haus, errichtet 1645, mit hohem Aufwand selbst restauriert hat. Beim Tag des offenen Denkmals am 9. September wird er Besuchern die Geschichte seines Hauses erläutern. "Immerhin befinden wir uns hier in der letzten traditionellen Wohnquartier des Stadtteils. Ich kann nicht glauben, dass der Bezirk dieses Viertel der Zerstörung preisgeben will."

Schon häufiger hat er sich in Ausschüssen zu Wort gemeldet. "Der historische Karnapp bildet vom Zentrum aus gesehen das Gesicht des Binnenhafens, gemeinsam mit den Neuentwicklungen, wie Tower, Silo und TuTech. Gerade diese Vereinigung von Gegensätzen macht den eigentlichen Reiz des Binnenhafens aus", sagte er. Richtig sauer ist er über Harburgs Baudezernenten Jörg Heinrich Penner. "Warum will Herr Penner hier die Bewohner vertreiben, wo doch die Stärkung des Wohnens Entwicklungsziel für den Harburger Binnenhafen ist." Was er von den aktuellen Messungen halten soll, weiß der engagierte Karnapp-Bewohner noch nicht so recht. "Abwarten", sagt er.

Für Baudezernent Penner ist indes nicht gesichert, ob die vorbeirauschenden Laster für die Erschütterungsschäden verantwortlich sind: "Platt gesagt - kann ein 40-Tonner-Lkw, der vor dem Haus vorbeifährt, große Erschütterungen hervorrufen oder sind es die Güterzüge, die zehn Meter weiter entlang brausen. Das wollen wir herausfinden."

Dahinter könnte Kalkül stecken. Denn ergeben die Messungen, dass die Deutsche Bahn für die Schäden an Harburgs geschichtsträchtigen Häusern verantwortlich ist, muss sie als Verursacher auch Abhilfe schaffen - und nicht der finanzielle angeschlagene Bezirk. "Deswegen ist es auch besser, wenn zwei unabhängige Gutachterbüros mit den Messungen beauftragt werden", sagt CDU-Kreischef Ralf Dieter Fischer. Er rät den Bewohnern, sich vorerst nicht gegen den neuen Bebauungsplan zu stellen. "Neue Richtlinien sehen zugleich Schutzmaßnahmen für die Anwohner, wie etwa Dämmplatten oder Fassadenschutz, vor."

Restaurantchef Sven-Oliver Scharf ist skeptisch. "Wenn hier schon Verkehr abgeleitet werden soll, dann aber nur, wenn ein Tempo-30-Limit für Lkw eingeführt wird. Das würde uns helfen."