Wohnen im Denkmal - In Harburg wurde mit viel Liebe ein 350 Jahre altes Fachwerkhaus saniert. es steht in der zweitältestens Straße Hamburgs.

Ein total heruntergekommenes, vermülltes Haus am Karnapp weckte das Interesse von Geerd Fischer, als er 1986 für die Hamburger Stadtentwicklungsbehörde eine Inventarisierung des Harburger Binnenhafens durchführte. Die zweitälteste Straße Harburgs, deren Bedeutung auf das niederdeutsche Wort "Ausbau" zurückzuführen ist, wurde in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts als Damm am damaligen Seevekanal angelegt. Urkunden, alte Pläne und Recherchen belegen, dass das Giebelfachwerkhaus, das die Aufmerksamkeit des Soziologen auf sich zog, das älteste der eher bescheidenen Wohnhäuser auf den schmalen, lang gestreckten Parzellen ist. Sie wurden ehemals von Harburger Kleinbürgern und Handwerkern bewohnt. "Eine Holzprüfung hat ergeben, dass die Eichenbalken im Haus und in der Fassade um das Jahr 1643 gefällt und circa 1645 in dem Gebäude verbaut wurden. Somit muss das Haus am Karnapp mehr als 350 Jahre auf dem Buckel haben", sagt Fischer.

Trotz seines desolaten Zustands sollte das einstige Harburger Kleinod nicht dazu verdammt sein, dem Boden gleichgemacht zu werden, befand Fischer. Nachdem es akribisch in Augenschein genommen worden war, entschied auch das Denkmalschutzamt, dass das charmante Haus zu schade zum Abreißen sei. So wurde ein entsprechendes Gutachten erstellt und eine Finanzierung zum Erhalt auf die Beine gestellt. Aber weder Investoren noch Architekten trauten sich an das Objekt heran, das aufgrund seiner Lage an der B 73 und einem viel befahrenen Bahngleis nicht gerade einen Traumstandort hat. "Dann habe ich allen meinen Mut zusammengenommen und zugeschlagen", erinnert sich Fischer, der den Harburger Binnenhaften wie seine Westentasche kennt. Damals konnte er noch nicht ahnen, worauf er sich bei diesem Kauf eingelassen hatte. Zwei Jahre lang gab es für ihn weder ein Wochenende noch einen Abend zum Entspannen. Jede freie Minute verbrachte er auf der Baustelle, um die Bauarbeiter vor Ort tatkräftig zu unterstützen. Ganz zu schweigen von dem beträchtlichen finanziellen Aufwand, den es trotz der Unterstützung seitens des Denkmalschutzes in Höhe von 400 000 Mark zu stemmen gab. "Doch der Aufwand und die ganze Mühe haben sich gelohnt", bilanziert der Harburger, der sein ganzes Leben lang in dem Stadtteil südlich der Elbe gelebt hat. "Es ist klasse und macht großen Spaß, in einem Denkmal zu wohnen. Meine Frau und ich genießen das tolle Ambiente trotz aller Belastungen jeden Tag, auch wenn die Arbeit in einem alten Haus wie diesem niemals aufhört. Den letzten Sommer habe ich zum Beispiel damit zugebracht, sämtliche Fenster und Türen zu streichen."

Heute beherbergt das zweigeschossige Haus drei Wohneinheiten, das beliebte italienische Weinlokal Grauer Esel sowie eine Weberwerkstatt, in der die Frau von Geerd Fischer, eine Schwedin, arbeitet. Der Hausbesitzer bewohnt das erste Obergeschoss, die Beletage. Die rund 100 Quadratmeter große, gemütliche Wohnung ist mit vielen sorgsam zusammengesuchten Antiquitäten eingerichtet und erinnert ein wenig an ein skandinavisches Puppenhaus. Zum urigen Flair tragen vor allem die windschiefen Fenster, die robusten Eichenbalken an den Decken, die krummen und schiefen Holzstützen mit Kopfbändern und Voluten, die breiten Dielenbretter sowie die alten, aufgearbeiteten Holztüren bei. Und wenn man die imposante Diele im Eingangsbereich mit ihrem hohen Ständergerüst und ihrem Katzenkopfpflaster betritt, dann hat man das Gefühl, auf einen Schlag zurück in die Vergangenheit katapultiert worden zu sein.

"Bevor wir mit dem Neuaufbau des Hauses beginnen konnten, musste die gesamte Bausubstanz abgetragen werden", erzählt Fischer. Stehen geblieben seien nur die Ostfassade, das Balkengerüst im Innern und das Dach. Während der Abbrucharbeiten kamen viele "Schätze" und einige Überraschungen zum Vorschein. Brandspuren zum Beispiel und zwei Kanonenkugeln aus dem Beschuss während der napoleonischen Besatzung. Die Steine der besonders schmuckvollen, hinteren Fassade hat Fischer selbst per Hand abgetragen und von Mörtelresten gereinigt, damit sie wieder neu vermauert werden konnten. "Heute sieht alles ungefähr so wie früher aus, nur viel schöner", schwärmt Geerd Fischer. Das zeigt sich unter anderem auch an der eindrucksvollen rückseitigen Steilgiebelfassade mit den dekorativen Ziegelausfachungen und der geschnitzten Inschrift am Türsturz: "In einem stehet unserem Seligheitt".

Das Haus vor dem Abbruch bewahrt und ihm ein "zweites Leben" geschenkt zu haben hat Geerd Fischer keine einzige Sekunde lang bereut. Anerkennung findet er für die Verantwortlichen des Denkmalschutzamtes. "Ihnen gebührt viel Lob dafür, dass sie dieses wunderschöne Haus erhalten und sich dafür eingesetzt haben."

Fischer findet, dass es in Harburg noch viele weitere Häuser gibt, die erhaltenswert sind: "Alte Dinge bereichern nicht nur unser Leben, sondern auch das unserer Nachkommen. Deshalb ist es unsere Aufgabe, sie zu bewahren."