13 neue Stolpersteine erinnern an das Schicksal von Harburgern, die von Nationalsozialisten ermordet wurden. Einweihung am 12. Juni.

Harburg. Der Historiker Klaus Möller aus Sottorf im Rosengarten zeigt tiefen Respekt vor den Opfern nationalsozialistischer Gräueltaten. Hingebungsvoll putzt er am Harburger Ring 8, gleich am Herbert-Wehner-Platz, einen Stolperstein, der an ein Harburger Opfer des Nationalsozialismus erinnert. Dann legt Klaus Möller, ehemaliger Konrektor am Heisenberg-Gymnasium, zwei rote Rosen auf den Boden. "In unserer Gesellschaft leben Menschen unterschiedlicher Herkunft, Rasse und Religion, aber alle haben die gleiche Menschenwürde", sagt der 77-Jährige. "Wenn wir das nicht respektieren, laufen wir Gefahr, dass sich die schlimmen Verbrechen wiederholen."

Am Dienstag, 12. Juni, werden 13 Harburger Stolpersteine bei einer Gedenkveranstaltung um 11 Uhr im Haus der Kirche, Harburger Ring 20, eingeweiht. Allein sieben dieser Mahnmale erinnern an die Ermordung von Harburgern, die in der NS-Zeit in einer Behinderteneinrichtung lebten.

Zu den Ermordeten zählt auch der Harburger Ernst Mammen. Er verlebte seine Kindheit und Jugend nicht bei seiner Mutter an der Hermannstraße 4 (heute: Salzburger Häuser), sondern in den Rotenburger Anstalten der Inneren Mission, einem Ort der Zuflucht für Menschen mit geistigen, seelischen und körperlichen Behinderungen in der Kreisstadt an der Wümme.

Er war gerade einmal 21 Jahre alt, als Adolf Hitler im Oktober 1939 den Befehl zur massenweisen Ermordung unheilbar kranker Menschen erteilte. Der "Führer" sprach dabei von dem "Gnadentod", der den Opfern gewährt würde. In der Folgezeit wurden mehr als 150 000 behinderte Menschen durch Gas, Nahrungsmittelentzug, verweigerte medizinische Hilfeleistung, sträfliche Vernachlässigung und gezielte Injektionen getötet.

Auch Ernst Mammen konnte diesem Schicksal nicht entrinnen. Er wurde am 31. Juli 1941 in die "Landesheilanstalt Weilmünster" verlegt und war fünf Monate später nicht mehr am Leben. Ein Zeitzeuge: "Da die Betten durchfault waren, lagen die Sterbenden in der Badewanne im Wasser. Sie waren nur noch Haut und Knochen."

+++ Das Schicksal nicht vergessen +++

Auch Helmut Wichert, geboren am 12. März 1913 in Harburg, lebte ein kurzes Leben: eingewiesen in die "Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt für Geistesschwache zu Langenhagen" am 5. Juli 1920, überführt in die Rotenburger Anstalten der Inneren Mission am 19. August 1929, "verlegt" in die "Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren-Irsee" am 7. Oktober 1941, ermordet am 28. Oktober1943. Der Stolperstein für den Harburger Helmut Wichert wird in der Grumbrechtstraße 41 verlegt werden.

Drei Jahre nach Helmuts Geburt ließen der Fabrikarbeiter Franz Wichert und seine Frau Auguste ihren Sohn in der Heimfelder St.-Paulus-Kirche taufen. Als er endlich laufen gelernt hatte, taumelte er dabei mehr, als dass er sich natürlich fortbewegte. Außerdem war er sehr unruhig und stets darauf aus, Schaden anzurichten. Nachdem ein kurzer Aufenthalt im Harburger Krankenhaus keine Besserung bewirkt hatte, wurde Helmut mit sieben Jahren in Langenhagen eingewiesen.

Unter den Kranken waren viele Kinder, die in der Anstaltsschule ausgebildet wurden, um später in einer Küche, einer Tischlerei, einer Gärtnerei, einer Wäscherei und einer Nähstube zu arbeiten. Dieses Ziel erreichten allerdings nur die bildungsfähigen "Zöglinge", während die "Pfleglinge" dauernder Pflege bedurften.

Mit 16 Jahren kam Helmut Wichert in die Rotenburger Anstalten. Die Eingangsuntersuchung ergab die Diagnose: "Idiotie". In seiner neuen Umgebung zeigte Helmut sich "willig und erträglich". Er kam zunächst in die Sattlerei, später in die Anstaltsschneiderei, wo er Knöpfe annähte.

Am 9. Dezember 1935 wurde er - wie 334 andere Patienten vor und nach ihm - auf Grund des "Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses" zwangssterilisiert. Die Zwangssterilisierung mit dem Ziel, die "Durchseuchung" des "Volkskörpers" mit "ungesundem Erbgut" zu unterbinden, war ein erster Schritt auf dem Weg zur "Vernichtung lebensunwerten Lebens" im "Dritten Reich". 1939 erließ Hitler, unheilbar kranke Menschen massenhaft zu töten. Es begann die sogenannte "Aktion T 4", die systematische Ermordung von Psychiatriepatienten und Behinderten. Mehr als 70 000 Patienten von "Heil- und Pflegeanstalten" waren nicht mehr am Leben, als die Tötung weiterer Insassen durch Gas im August 1941 eingestellt wurde und die zweite Phase der "Euthanasiepolitik" begann, in der das grausige Mordprogramm mit anderen Mitteln fortgesetzt wurde.

+++ Über einen Laternenumzug im Luftschutzkeller +++

Am 7. Oktober 1941 wurde Helmut Wichert mit 64 anderen Männern und Frauen in die "Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren-Irsee" in Schwaben verlegt. Hier wurde er als "gutmütiger Schwachsinniger und hilfloser Stotterer", der zu keiner nützlichen Arbeit in der Lage war, klassifiziert. Nach einigen Monaten galt er als pflegebedürftig.

Nach dem Stopp der "Aktion T 4" setzte Anstaltsleiter Dr. Valentin Falthauser seine Vernichtungstätigkeit in der "Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren-Irsee" fort. Noch vor der Verkündung des "Hunger-Erlasses" für die bayrischen "Heil- und Pflegeanstalten" vom 30. November 1942 führte er in seinem Haus die "Entzugs-Kost", für alle Insassen ein, die keine "nennenswerte, nutzbringende Arbeit leisten". Es war eine fett- und vitaminlose Ernährung, die im Wesentlichen nur aus abgekochtem Gemüse und Wasser bestand. Diese Hungerkost führte bei den Patienten innerhalb von drei Monaten zu schweren Hungerödemen.

Diese Vernichtungsaktion wurde in Kaufbeuren-Irsee durch eine medikamentöse Tötungspraxis ergänzt, wie die Aussage einer Pflegerin zeigt: "Die Kranken bekamen Luminal oder Veronal, vereinzelt auch Trional in Tablettenform sowie Luminal und Morphium-Scopolamin in flüssiger Form. Die Folge war ein tiefer, bleierner Schlaf (Bewusstlosigkeit) der Kranken, aus dem sie nicht mehr erwachten. Der Tod trat manchmal sehr schnell, schon am ersten Tag, mindestens aber am zweiten oder dritten Tag, ein." 1944 starb in Kaufbeuren-Irsee fast die Hälfte der "Pfleglinge". So lange lebte der Harburger Helmut Wichert nicht: Er zählte zu den 261 Toten des Jahres 1943.