Die 79-jährige Helga Roepert, Tochter des SPD-Widerstandskämpfers Otto Lang, liest aus ihrem Buch “Anfang 1935 flog die Gruppe meines Vaters auf...“

Neugraben/Veddel. Helga Roepert, 79, steht vor dem Wohnblock auf der Veddel an der Straße Am Gleise 8 und putzt den dort verlegten "Stolperstein" blitzblank.

Er soll an ihrem Vater Otto Lang erinnern, der in Zeiten des Nationalsozialismus dem Widerstand angehörte, 1942 in ein Strafbataillon der Wehrmacht gezwungen wurde und im Mai 1945 auf der Flucht von der griechischen Insel Kos umkam. Helga Roepert lebt mit ihrem Mann, dem ehemaligen SPD-Bürgerschaftsabgeordneten Wilhelm Roepert, in einer Seniorenwohnanlage in Neugraben, kommt ab und zu gerne mit ihren Enkeln auf die Veddel, spaziert dort durch die Straßen, in denen sie aufgewachsen ist und fährt danach manchmal nach Rothenburgsort zum Ausschläger Billdeich raus. Hier hat sie die ersten Jahre ihrer Kindheit verbracht. Die 79-Jährige hat ein Buch über den Alltag ihrer Familie auf der Veddel und in Rothenburgsort geschrieben. In "Anfang 1935 flog die Gruppe meines Vaters auf..." schildert sie Episoden aus ihrer Kindheit. Es war kurz vor Weihnachten 1935, drei Monate, nachdem Otto Lang mit seiner kleinen Tochter zum ersten Mal an einem Laternenumzug teilgenommen hat, als der Aktivist von der Gestapo verhaftet und ins berüchtigte Lager Börgermoor gebracht wurde. Er hatte der SPD und dem Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold angehört. Das war illegal. Irgendjemand hatte Lang und seine Freunde verraten. "Das war furchtbar für meine Mutter Senta. Denn sie musste sich alleine durchschlagen. Es war gar nicht so leicht für sie, eine Arbeit zu finden", berichtet Roepert. Außerdem wollte kein Kindergarten Helga aufnehmen. "Mein Vater galt ja als kriminell." Also brachte Senta ihre Tochter bei ihren Brüdern unter und schlug sich irgendwie durch. Zweieinhalb Jahre sieht sie ihren Mann nicht, weiß nicht, wie es ihm im Arbeitslager ergeht. Helga vermisst ihren Vater, hält an ihren schönen Erinnerungen an ihn fest. "Mein Vater war arbeitslos, bevor ihn die Gestapo abholte. Er bekam 17, 10 Mark in der Woche an staatlicher Unterstützung." Zehn Pfennig sparte er sich auf. "Sonntags gingen wir, ich mit einem weißen Butterlecker, einer großen Schleife im Haar, er in feinem Anzug, spazieren. So lang uns unsere Füße trugen." Unterwegs erzählte der Vater Märchen "Wenn ich nicht mehr laufen konnte, suchten wir uns die nächste Straßenbahnhaltestelle und fuhren nach hause." Arbeitslose mussten nur zehn Pfennig für eine Fahrt bezahlen. "Ich brauchte kein Ticket. Kinder, die noch nicht mehr als einen Meter groß waren, fuhren umsonst." Das waren herrliche Stunden für die kleine Helga. Sie war glücklich, als ihr Vater 1938 wieder zu hause war. Da er als ehemaliger Zuchthäusler als wehrunwürdig galt, wurde er nach Kriegsbeginn 1939 nicht als Soldat eingezogen. Dann, 1940, gab es Fliegerangriffe auf Hamburg. "Da galten rigorose Verdunkelungsvorschriften. Wir Kinder wollten aber trotzdem einen Laternenumzug." Helgas Vater hatte eine ungewöhnliche Idee. "Er organisierte ein Laternenlaufen im Luftschutzkeller. Wir waren begeistert. Das werde ich niemals vergessen", sagt sie.

Dann brachen dunkle Tage für die Familie an. Vater Otto wurde1942 doch noch eingezogen. Die Wehrmacht zog ihn als "wehrunwürdigen Soldaten" ins so genannte Bewährungsbataillon 999 nach Afrika ein. Kurz vor Kriegsende war die 14 Jahre alte Helga zermürbt und völlig verängstigt von den Bombenangriffen, wohl auch voller Sorge um den Vater. "Ich habe nichts mehr gegessen, bekam nichts mehr runter." Die Mutter ging mit ihr ins Kino. "Die Filme haben mich so abgelenkt, da hatte ich wieder Appetit." Nach der Kapitulation "waren wir einerseits froh, dass der Horror vorbei war, andererseits wussten wir nicht, was mit dem Vater war." Später erfuhren es Helga und Senta von einem ehemaligen Kameraden von Otto Lang. Bei dem Versuch, von der griechischen Insel Kos mit einem Floß zu flüchten, ertrank der Vater. "Er ist nur 37 Jahre alt geworden", sagt Helga Roepert und schaut traurig auf den Stolperstein. "Es ist wichtig für nachfolgende Generationen, sich daran zu erinnern, wie es uns damals ergangen ist." Helga Roepert liest heute im Seniorentreff, Neugrabener Markt 7, Passagen aus ihrem Buch. Beginn ist ab 14 Uhr. "Anfang 1935 flog die Gruppe meines Vaters auf" ist bei der Friedrich Ebert Stiftung kostenlos erhältlich.