Ohne Anschluss zur Außenwelt: Weil die Cranzer Rollbrücke nicht barrierefrei ist, können Rollstuhlfahrer die Buslinie 150 nach Altona nicht erreichen.

Cranz. Wie es ist, wenn ein Ort seine wichtigste Lebensader verliert, erleben derzeit die rund 800 Bürger in Cranz hautnah. Seit April ist die Brücke über dem Este-Sperrwerk wegen Reparaturarbeiten gesperrt. Wer von ihnen mit dem Auto zur Arbeit in Richtung Finkenwerder und Hamburg will, muss seitdem den Umweg über Hove und Neuenfelde in Kauf nehmen. Auch die Buslinie 150 nach Altona, die für alle Nicht-Autofahrer den Anschluss an die Außenwelt garantiert, kann seit der Sperrung nicht mehr ihre gewohnte innerörtliche Tour über die Haltestellen Estebogen, Altes Sperrwerk und Cranz (Fähre) fahren, sondern startet östlich der Este an der Ersatzhaltestelle Alter Fährweg.

Genau das ist vor allem für Ältere, weniger mobile Bürger und Eltern mit Kinderwagen ein Problem. Sie können lediglich über die Rollbrücke am Alten Este-Sperrwerk zur Haltestelle gelangen - doch die Brücke stellt für sie sozusagen ein natürliches Hindernis dar. Das mehr als 40 Jahre alte Bauwerk ist an beiden Enden nur über mehrere Stufen zugänglich. Ein unhaltbarer und eigentlich unnötiger Zustand, wie Gudrun Schittek und viele andere Cranzer finden, die sich regelmäßig zum Dorfstammtisch im Café Albers Miteinander treffen.

Sie wollen dafür kämpfen, die Rollbrücke zumindest während der bis September dauernden Sperrung mithilfe einer provisorischen Rampe barrierefrei zu machen. "Ansonsten sitzen die älteren Leute ohne Auto hier fest", sagt Gudrun Schittek. Cranz sei sehr lang gestreckt, vom südlich gelegenen Estebogen bis zum Elbdeich seien es zwei Kilometer. Wenn dort kein Bus mehr entlangfahre, werde das für die Älteren schnell zu einem Problem. Mal eben zu Fuß zur Rollbrücke und dann auch noch die Stufen hinaufsteigen, das würden viele einfach nicht schaffen.

+++ Brücke am Este-Sperrwerk wird am langen Wochenende geöffnet +++

Wie rasch und unkompliziert eine Rampe theoretisch zu bauen wäre, macht Manfred Ganzert deutlich. "Wenn zehn Leute mit anpacken würden, wäre man an einem Tag fertig", schätzt er. Mehr als 8000 Euro würde das Ganze sicherlich nicht kosten. Warum die Hafenverwaltung Hamburg Port Authority (HPA) ein Provisorium nicht zulässt, ist ihm und vielen anderen Cranzern ein Rätsel.

Sabine Stüben von der HPA-Pressestelle begründet es mit der Statik der Rollbrücke. Sie gebe es nun mal nicht her, eine Rampe anzubringen. Rein baulich wäre es zwar möglich, jedoch wäre die Rampe nicht sicher genug. Sie verweist außerdem auf den geplanten Neubau der Brücke, der jedoch seit drei Jahren auf sich warten lässt.

Ein bereits fertiggestellter Neubau hatte damals so große Mängel, dass HPA ihn nicht abnehmen konnte. Als dann auch noch die beauftragte Firma Insolvenz anmeldete, war klar, dass die Angelegenheit kein rasches Ende finden würde. Das Projekt wurde erst einmal in die sogenannte mittelfristige Planung zurückgestellt.

"Wir haben derzeit andere Projekte, die auf der Prioritätenliste höher stehen", begründet Sabine Stüben die Tatsache, dass eine neue Auftragsvergabe frühestens zu Beginn des kommenden Jahres geprüft werden könne. Man wisse um den Missstand in Cranz, und das Schicksal der Bürger sei HPA auch nicht gleichgültig, aber es gebe nun mal keine Alternative.

Schöne Worte, die den Cranzern auch nicht weiterhelfen. Fakt sei, dass es in dem Ort seit einem Jahr keine Lebensmittel mehr zu kaufen gebe und nur zwei Ärzte niedergelassen seien, sagt Boy Friedrich. Gerade diejenigen ohne Auto seien auf den Bus angewiesen. Er habe ja Verständnis, dass das Este-Sperrwerk repariert werden müsse und die Brücke gesperrt sei. Aber warum man ihnen nicht etwas entgegen komme, verstehe er nicht.

So geht auch Manfred Ganzert davon aus, dass er für seinen unbürokratischen Vorschlag kein grünes Licht bekommen wird. Er habe überlegt, eine Art Sammeltaxi für nicht mobile Cranzer einzurichten. "Ich würde sie im Ort einsammeln, zur Brücke bringen und ihnen hinüberhelfen, damit sie zum Bus gelangen können", sagt er. Da er aber davon ausgeht, dass das nicht genehmigt wird, hat er die Idee gar nicht erst weiterverfolgt.

Ihre letzte Hoffnung setzen die Cranzer jetzt in dem Wunschbaum, der Anfang Mai zum Europäischen Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung in der Harburger Hölertwiete aufgestellt wurde und an dem auch der Wunsch nach einer barrierefreien Rollbrücke hängt. Am 30. Mai soll der Baum geerntet werden.