Bezirksamtsleiter Völsch spricht nach knapp einem halben Jahr im Amt über Stärken und Schwächen des Bezirks. Potenziale sollen genutzt werden.

Harburg. Nach gut 140 Tagen im Amt hat Harburgs neuer Bürgermeister seine Kontakte im Bezirk ausgebaut und Gedanken zur Zukunft entwickelt. Michelle Kossel, Jochen Gipp und Frank Ilse befragten den Rathauschef.

Hamburger Abendblatt: Herr Völsch, Sie wohnen in Fischbek und Sie kochen gern. Wo kaufen Sie ein?

Thomas Völsch: Weit überwiegend kaufe ich in Neugraben ein, auf dem Wochenmarkt und bei Einzelhändlern im Zentrum. Mein Weinhändler ist bei mir vor der Haustür. Natürlich kaufe ich auch in der Harburger Innenstadt, der Hamburger Innenstadt oder in Neu Wulmstorf, weil es dort teilweise Sachen gibt, die auch nicht in der Hamburger Innenstadt zu finden sind.

Seit 30 Jahren wurde in die Neugrabener Ladenzeile nicht investiert. Was kann gegen den Verfall getan werden?

Völsch:Die Probleme, die wir in Neugraben oder in anderer Dimension auch in Harburg in der Lüneburger Straße haben, beruhen meiner Ansicht auf vier Faktoren. Erstens die Infrastruktur. Neugraben ist verbesserungswürdig. Allerdings ist dies nicht nur die Aufgabe der Stadt, sondern auch Privater wie zum Beispiel das SEZ. Zweitens die Renditeerwartungen der Immobilienbesitzer. Sie sind teilweise anspruchsvoll und fördern so Discounter und Ketten. Drittens das Angebot. Kluge Aktionen und außergewöhnliche Produkte können Alleinstellungsmerkmale schaffen. Etwas mehr Vielfalt auf dem Wochenmarkt würde vermutlich auch helfen. Viertens sind es die Verbraucher selber. Ich kann im Internet bestellen, ich kann aber auch bei "meinem" Laden im Stadtteil kaufen. Das ist notwendig, wenn man solche Zentren erhalten will.

Gutachten besagen, dass es in Neugraben an der Kaufkraft hapert, ein zusätzliches Problem?

Völsch: In Neugraben fehlt keine Kaufkraft, sie ist im Hamburgweiten Vergleich sogar eher überdurchschnittlich. Neugraben leidet unter einer erheblichen Abwanderung der Kaufkraft. Die Leute gehen woanders einkaufen, weil sie im Ort nicht finden, was sie suchen.

Muss mehr Werbung für Wohngebiete gemacht werden?

Völsch: Ja! Die Vermarktung unserer Baugebiete muss deutlich verbessert werden. Beim Rundgang über die Harburger Bautage-Messe konnte man auch einen Stand für das Neubaugebiet Apfelgarten in Neu Wulmstorf besuchen. Aber es gab keine Vermarktungs-Stände für unsere großen Harburger Projekte Elbmosaik und Röttiger Kaserne. Die Senatskommission für Wohnungsbau und Stadtentwicklung hat jetzt beschlossen, dass wir die Vermarktung an eine professionelle Gesellschaft übertragen.

Soll heißen?

Völsch: Planung, technische Umsetzung und Vermarktung solcher Gebiete müssen von Anfang an zusammen gedacht werden. Es nützt mir nichts, etwas zu planen, das am Markt am Ende nicht nachgefragt wird. Das konnte man leider im Elbmosaik gut beobachten. Wir können in Süderelbe aufgrund unserer Lage der herausragende Standort für junge Familien sein. Mit zwei kleinen Kindern und einem mittleren Einkommen kaufen sie aber keine Villa für eine halbe Million Euro. Solche Dinge müssen schon im Planungsstadium berücksichtigt. Im Elbmosaik hat sich selbst das städtische Wohnungsunternehmen Saga schwer getan, auf dem Bauern-Pachtland zu investieren.

Liegt das an der Erbpacht?

Völsch: Nicht nur. Vor allem hat der Bezirk dort in den letzten Jahren kategorisch Geschosswohnungsbau und geförderten Wohnungsbau abgelehnt. Und das genau ist das Geschäft der Saga. Nun hat man sich auf Reihenhausbebauung geeinigt. Wir müssen mal davon wegkommen, immer schlecht über den öffentlich geförderten Wohnungsbau zu reden. Wir brauchen auch diesen Weg um bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, zu Beispiel für den Polizisten im Stadtteil, der uns unterwegs den Weg zeigt oder die Krankenschwester, die uns hilft gesund zu werden. Außerdem gibt es viele verschiedene Förderwege, selbst für Familien mit bis zu 65 000 Euro Jahreseinkommen.

Wie steht es um die Bebauung des Röttiger Kasernengeländes?

Völsch: Es sind 774 Wohneinheiten vorgesehen, ein knappes Drittel davon im Geschosswohnungsbau. Aber nicht mehr als dreieinhalb-geschossig. Das sind relativ kleine Einheiten. Der überwiegende Teil wird zudem natürlich privat finanziert und nicht öffentlich gefördert. Der Rest stellen Einzel und Reihenhäuser auf 57 Hektar Fläche. Das ist keine Großraumsiedlung. Wenn wir die wachsende Stadt einerseits und Klima- und Landschaftsschutz andererseits ernst meinen, dann müssen wir auch an Geschosswohnungsbau denken und können nicht nur Einzel- und Reihenhausbau betreiben. Der Flächenverbrauch kann so nicht weitergehen.

Sie haben kürzlich vor dem Hintergrund von Masterplan und vieler vorliegender Gutachten ein Konzept für die Zukunft verlangt - was meinen Sie damit?

Völsch: Wir brauchen ein Bild davon, was Harburg als Bezirk sein soll und kann. Welche Funktion wir in der Gesamtstadt übernehmen wollen und können. Das muss ein ehrliches Profil sein. Nicht eines, das wir uns wünschen, sondern ein realistisches. Welche Funktion haben wir für das Umland, welche Funktion als Wohnstandort, als Wirtschafts- und Einkaufsstandort.

Und wie bringen Sie das nach Hamburg rüber?

Völsch: Harburg hat zahlreiche Standortvorteile: direkte und kurze Anbindung zur Hamburger City - trotzdem ein naturnaher Wohnstandort, mehrere Autobahnanschlüsse, einen eigenen Bahnhof mit ICE-Halt, wir haben einen eigenen Hafen - und jede Menge Platz für weitere Entwicklung. Außerdem haben wir unsere TU. Welcher Bezirk hat schon eine eigene Universität mit einem weltweit hervorragendem Ruf. Ein enormer Vorteil für die weitere Entwicklung als Technologiestandort.

Wie soll das Profil gestaltet werden?

Völsch: Ein paar mehr Leute als bisher müssen sich Gedanken machen und diskutieren. Das funktioniert über Einrichtungen wie die Bezirksversammlung, den Wirtschaftsverein oder auch den Channel. Den Entscheidungsträgern auf der anderen Elbseite muss klar gemacht werden, welche Potenziale wir haben. Die Stadt muss Entscheidungen treffen für die Infrastruktur, beispielsweise für die Ertüchtigung der Seevestraße.

Das würde uns helfen, den Binnenhafen richtig zu erschließen und bestimmte Bereiche von Verkehrsbelastungen und vom Lärm zu befreien. Das reizvolle am Binnenhafen ist die Mischung aus gewerblicher Nutzung und Wohnen. Außerdem muss sich auch die Frage stellen, was Investoren mittels public-private-partnerships dazu beitragen können. Unsere Aufgabe ist es, die planerischen Voraussetzungen zu schaffen. Und das müssen wir jetzt hinkriegen, das brennt genauso, wie die Anforderungen im Wohnungsbau, denn jetzt haben wir hier die optimalen politischen Voraussetzungen.

Also eine Art Agenda 2015?

Völsch: Vielleicht eher 2030. Wir müssen sehen, wo wir hin wollen und insbesondere eine Verbindung schaffen zwischen der Harburger Innenstadt und dem Binnenhafen, von mir aus mit einer Landschaftsbrücke. Ich denke, die technischen Möglichkeiten, die Bahnlinie verschwinden zu lassen, sind beschränkt. Andererseits möchten wir ja, dass der Verkehr mehr auf der Schiene stattfindet und weniger auf der Straße.

Was könnte der Agenda-Slogan für Harburg sein?

Völsch: Ich bin kein Werbetexter. Aber die Themen Wohnen im Süden, Wohnen am Wasser, Technologie und Technische Universität müssen schon eine Rolle spielen. Das zeigt auch die Entwicklung im Binnenhafen. Ohne die TU wären wir nicht dahin gekommen, wo wir sind. Der maritime Faktor, also Leben und Arbeiten am Wasser, steht auch für Harburg.

Welche planerischen Voraussetzungen können geschaffen werden, um die Harburger Innenstadt und seinen Markt auf dem Sand für Menschen wieder attraktiv zu machen?

Völsch: Wir müssen etwas für den Harburger Wochenmarkt tun, über die Gestaltung und andere Öffnungszeiten nachdenken. Ich hoffe sehr, dass wir auch eine Lösung hinbekommen für die veralteten Gebäude, die sich in Privatbesitz befinden. Die Stadt kann hier sogar einen Beitrag leisten. Wir hätten finanzielle Mittel, die wir verwenden können, insbesondere was das neue WC angeht. In der Diskussion ist noch der Business Improvement Distrikt für den Sand und die Hölertwiete. Gewünscht wäre die Ansiedlung größerer Läden. Wir müssen sehen, dass wir Geschäfte hierher bekommen. Wir müssen auch in der Harburger Innenstadt etwas für Wohnen in der Stadt tun, wie attraktive Angebote für Studierende.

Wird es künftig Finanzen zur Aufwertung des Stadtteils geben. In Wilhelmsburg und auf der Veddel veränderten sich dadurch Bevölkerungsstruktur und Kaufkraft.

Völsch: Ich sehe, dass es mit der Stadtentwicklung in Wilhelmsburg auch in Harburg weiter geht. Das hat auch der Oberbaudirektor vergangene Woche in seinem Vortrag gesagt. Ich habe daran ein großes Interesse, auch vor dem Hintergrund des Sprungs über die Elbe.

Was gefällt Ihnen nun besser - Ihre Tätigkeit als SPD-Bürgerschaftsabgeordneter oder als Bezirksamtsleiter?

Völsch: Es war eine große Ehre, in einem Landesparlament zu sitzen. Abgeordneter, Volksvertreter zu sein, ist eine wundervolle Aufgabe. Aber es ist auch eine große Herausforderung, die konkreten Geschicke für 150 000 Einwohner Harburgs zu lenken - eine Herausforderung, der ich mich gerne stelle.