Zum 1. Dezember sollte der Pottkieker in Dulsberg eigentlich schließen. Doch dann spendeten fast 1000 Leser des Hamburger Abendblatts. Jetzt ist die Existenz der Sozialküche für drei Jahre gesichert.

Eigentlich sollte es diese Weihnachtsfeier gar nicht geben. Wenn alles nach Plan gelaufen wäre, dann wäre der Gastraum des Pottkiekers jetzt leer. Die Großküche würde hier nicht mehr stehen, sondern irgendwo auf einem Schrottplatz vor sich hinrosten. Und die alten Menschen, die hier jeden Tag herkommen, müssten sehen, wo sie Anschluss finden.

Zum Glück läuft im Leben nicht immer alles nach Plan.

Auf den Tischen im Pottkieker stehen an diesem Nachmittag Teller mit Dominosteinen und Zimtsternen. Und Platten mit Apfelstreuselkuchen, Schokokuchen, Käsekuchen. Der Kaffee dampft, alle Plätze sind besetzt. Die alten Menschen schnattern aufgeregt durcheinander. Gleich soll im Pottkieker die Weihnachtsfeier losgehen.

Carmen Krüger bittet eine Mitarbeiterin aus der Küche, ein Weihnachtsglöckchen zu bimmeln. Ruhe, die Chefin will was sagen. „Sie saßen eigentlich schon vor verschlossenen Türen“, sagt Krüger. „Aber jetzt geht es weiter, und das ist sicher.“ Die alten Menschen jubeln, sie klatschen, sie lachen.

Rückblick. Im Oktober veröffentlichte das Statistische Bundesamt Zahlen zur Altersarmut. Demnach ist Hamburg die Hauptstadt der armen Rentner. In der gleichen Woche musste Carmen Krüger den alten Menschen im Pottkieker mitteilen, dass die Einrichtung zum 1. Dezember schließen muss. Staatliche Fördermittel sollten wegfallen: 15 Mitarbeiter hat die Sozialküche, sieben sollten nicht weiterbeschäftigt werden. Es wäre das Aus für den Pottkieker gewesen. 32.000 Euro fehlten, um im kommenden Jahr weitermachen zu können.

Hunderte alter Menschen hätten nicht nur einen Ort verloren, wo es Scholle mit Bratkartoffeln und Dessert für drei Euro gibt. Sondern auch einen Ort der Begegnung. Einsamkeit ist häufig schlimmer als finanzielle Armut.

Es ist anders gekommen. „Was für ein Jahr!“, sagt Carmen Krüger bei ihrer Weihnachtsrede. Sie erzählt von dem Abendblatt-Artikel über die drohende Schließung. Den vielen Leserbriefen. Der plötzlichen Betriebsamkeit in der Sozialbehörde. Und von den Spenden.

Fast 1000 Abendblatt-Leser haben für den Erhalt des Pottkiekers gespendet. Leser, die selbst nicht viel Geld haben und trotzdem etwas tun wollten. Und Großspender. Insgesamt kamen so rund 200.000 Euro zusammen. Die Sozialbehörde, die Arbeitsagentur und das Bezirksamt Nord beriefen eine Krisensitzung ein. Ergebnis: Der Pottkieker bekommt weiterhin 15 vom Staat geförderte Jobs. Wenn es dabei bleibt, ist der Pottkieker nicht nur für 2014 gerettet – sondern insgesamt für drei Jahre.

Carmen Krüger berichtet von einer sehr reichen Hamburgerin. Diese habe bei ihr angerufen und gesagt, sie wolle 32.000 Euro spenden. Krüger sagt, sie habe der Dame angeboten, ihr die Einrichtung mal zu zeigen. Die Frau sagte: „Glauben Sie nicht, dass ich für etwas spende, was ich noch nicht gesehen habe.“ Offenbar war die Spenderin schon inkognito da gewesen.

Carmen Krüger und ihre Mitarbeiter verteilen an diesem Nachmittag Geschenke. Viele nehmen die bunten Päckchen lächelnd entgegen und stecken sie schnell in Einkaufsbeutel. Als ob sie sich das Auspacken, das Freuen, für zu Hause aufsparen wollen. Die Pakete kommen von Hamburger Unternehmen, die Mitarbeiter haben die Geschenke dem Pottkieker gespendet.

Hans-Peter Lorentzen hat sein Päckchen schon eingesteckt. Jetzt muss er los, zum 23er-Bus. Seine HVV-Karte kostet weniger, wenn er Bus und Bahn nur bis 16 Uhr nutzt. Aber er will sich noch bei Carmen Krüger verabschieden. „Ich freu mich schon, wenn ich nächstes Jahr wiederkommen kann. Ich fühle mich hier immer so wohl. Ich bin so froh und so dankbar, dass der Pottkieker gerettet ist“, sagt der 73-Jährige.

Im Oktober hatte das Abendblatt Christel Fechner getroffen. Sie bekommt 800 Euro Rente, mehr als die Hälfte zahlt sie für ihre Seniorenwohnung, in der sie alleine lebt. Sie bekommt Geld vom Sozialamt. Fechner sagte damals, dass es nicht so schlimm sei, mit wenig Geld auskommen zu müssen. Schlimm sei die Einsamkeit. Im Pottkieker trifft sie ihre Freunde, bleibt mit ihnen nach dem Mittagessen noch zum Klönschnack sitzen. Als das Aus im Oktober verkündet wurde, ging es Fechner schlecht. Jetzt läuft die 71-Jährige strahlend durch die Räume, umarmt Carmen Krüger und alle anderen. „Wir sind wie eine Familie“, sagt Fechner. „Einfach wunderschön, dass das so bleibt.“

Auch Christian Böttcher ist zur Weihnachtsfeier gekommen. „Komm mal her!“, ruft er Fechner zu – und schon sitzt sie kichernd auf seinem Schoß. Böttcher ist mit 95 der Älteste hier. Die andern Rentner um sie herum johlen: „Müssen wir uns jetzt Gedanken machen?“ Auch Böttcher bekommt Grundsicherung. Seit vier Jahren isst er im Pottkieker, die Mitarbeiter bringen ihm das Essen an den Platz, denn er ist nicht mehr so gut auf den Beinen. Wenn er mal nicht da ist, rufen sie an. Er soll nicht zu den Menschen gehören, die auf einmal nicht mehr da sind – und keiner merkt es. Böttcher sagt, dass er für den Pottkieker gebetet hat. Und dass Gott sein Gebet erhört hat.

Eine Frau liest den Senioren eine Weihnachtsgeschichte vor, ein anderer Unterstützer des Pottkiekers schmettert Weihnachtslieder. „Oh Tannenbaum“, „In der Weihnachtsbäckerei“ zum Beispiel. Und, obwohl es kein Weihnachtslied ist, den „Hamborger Veermaster“. Alle singen und klatschen mit, es gibt jetzt auch Sekt und Bier, zur Feier des Tages.

Die 15 Mitarbeiterinnen des Pottkiekers tragen leuchtende Weihnachtsmützen. Vor einigen Tagen haben sie neue Arbeitsverträge bekommen. Küchenleiterin Susanne Feld erzählt, dass sie schon bei der Arbeitsagentur war nach ihrer Kündigung im Oktober. Sie brachte ihren Lebenslauf und Bewerbungen mit. Man sagte ihr, dass es schwer werden würde auf dem Arbeitsmarkt, für sie als 52-Jährige. Als die Rettung perfekt war, meldete sie sich sofort ab. „Die bei der Agentur haben gesagt: Gott sei Dank!“ Feld und alle anderen Mitarbeiterinnen wissen, wie sich Arbeitslosigkeit anfühlt. Der Pottkieker war für sie die Rückkehr ins Arbeitsleben. Feld fühlt sich den sozial schwachen Senioren nahe. „Wir sind alle gleich. Man darf uns alle nicht aufs Abstellgleis stellen.“ Feld sieht in der großen Anteilnahme vor allem eins: „Wir werden endlich akzeptiert.“

Carmen Krüger hat in den vergangenen Wochen viele Telefonate geführt. Ein Förderverein für den Pottkieker sollte gegründet werden. Die Satzung ist fertig, im Januar soll die Gründungssitzung stattfinden. Auch einige Spender wollen sich im Verein engagieren.

Zum Ende der Feier packt Carmen Krüger Kuchen und Dominosteine in Alufolie und gibt sie den Rentnern mit. Sie verabschiedet sich von einer alten Frau, die ihr von ihrem Mann erzählt. Er braucht dringend eine Blutwäsche, es geht ihm sehr schlecht, aber er weigert sich, in die Klinik zu gehen. Die Frau weint. Sie sagt, dass sie Angst habe, jetzt nach Hause zu gehen. Krüger nimmt sie in den Arm. Dann sagt sie ihr, dass sie einfach den Krankenwagen rufen soll, dann müsse ihr Mann sich behandeln lassen. Die Frau nickt.

Eigentlich sollte Krüger nach dem Aus des Pottkiekers den Job wechseln, sich künftig um psychisch kranke Menschen kümmern. Es war auch unklar, ob die Chefin ihre Einrichtung verlässt, als der Pottkieker gerettet war. Carmen Krüger war sich nicht ganz sicher, ob sie noch die Kraft hat für den Job. Jetzt steht fest, dass sie bleiben wird. Sie will weitermachen, nach diesem Hamburger Weihnachtsmärchen.

Der Pottkieker hat jetzt Ferien, bis zum neuen Jahr. Und Carmen Krüger macht sich schon wieder Gedanken darüber, wie ihre Senioren bis dahin mit der Einsamkeit fertig werden.