Ausschuss setzt Verfahren über Abschiebung aus. “Hamburg nicht zuständig.“ Familie muss sich an Bielefelder Ausländerbehörde wenden.

Hamburg. Zwischen den Pappschildern herrscht am Morgen großer Optimismus. In Klassenzimmer C 121 der Heinrich-Hertz-Schule liegen zwei Englischstunden hinter den Schülern, die sich hier auf die gymnasiale Oberstufe vorbereiten. Die Stimmung ist gelöst, nur die Schilder mit den kämpferischen Parolen künden von einer dunklen Ahnung. Melania Sarkissian , eine Schülerin der Klasse, soll nach 13 Jahren in Hamburg nach Armenien abgeschoben werden, am Nachmittag wird sich der Eingabenausschuss der Hamburgischen Bürgerschaft mit der Widerrede der Schule befassen. "Es wird schon alles gut", sagt Melania. "Ist Gerechtigkeit so schwer?", steht auf einem der Pappschilder.

"Gerechtigkeit ist zumindest nicht einfach", lautet am späten Nachmittag die Antwort auf diese Frage. Melanias morgendlicher Optimismus ist jedenfalls handfester Ernüchterung gewichen. Nach eingehender Beratung erklärt der Eingabenausschuss zwar seine Absicht, Mutter Armine, 42, sowie Anna, 11, und Melania, 17, helfen zu wollen. Er stellt aber gleichzeitig fest, nicht zuständig zu sein. Das Verfahren wird zunächst ausgesetzt. Ein Ausschussmitglied sagt: "Wir wollen, aber wir können nicht helfen."

Das Hauptproblem sei der vorschnell gestellte Asylantrag der Sarkissians. Er hatte im Januar zur Folge, dass die Zuständigkeit wechselte. Der Fall wurde nach Quotenregel von der hamburgischen an die nordrhein-westfälische Ausländerbehörde abgegeben. Ohne die Hilfe der Familie könne die Stadt das Verfahren nun nicht mehr an sich ziehen, sagt Norbert Smekal, Sprecher der Ausländerbehörde.

+++ Menschlichkeit hat Vorrang +++

+++ Melania droht vor dem Abi die Abschiebung +++

+++ Die Rechtslage im Fall Melania +++

Stefan Knief, der Anwalt der Sarkissians, ist da anderer Meinung: "Die Hamburger Ausländerbehörde hätte die Zuständigkeit trotz Asylgesuchs bei sich halten können", sagt er. Es gebe die Möglichkeit, eine "Überquote" geltend zu machen, wenn eine besondere Bindung an die Stadt vorliege. Diese Bindung sah die Ausländerbehörde nicht. Dass Melania seit elf Jahren in Hamburg die Schule besucht und ihre Schwester Anna sogar hier geboren ist, habe keine Rolle gespielt.

Die Familie habe 13 Jahre lang ein Geheimnis aus ihrer Herkunft gemacht und so ihre Duldung erzwungen. Erst 2011 konnte die Behörde Armenien als mögliches Herkunftsland der Mutter ermitteln. Dass beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge nie ein wirksamer Asylantrag der Familie eingegangen ist, wie ein Sprecher dem Abendblatt gestern bestätigte, ändere nichts an der Situation, sagt Smekal. Vor allem nicht an der Zuständigkeit der Bielefelder Ausländerbehörde. Juristisch sei das Abschiebungsverfahren korrekt, und Schulen gebe es auch in Bielefeld. Menschlich verstehen das aber weder Melania und ihre Familie noch Mitschüler und Lehrer. Melanias und Annas Schullaufbahnen seien bei einem Wechsel in ein anderes Bundesland äußerst gefährdet, schreibt die Heinrich-Hertz-Schule in einer Stellungnahme. Warum die beiden Schülerinnen, die Armenien nie gesehen haben, für das Herkunftsland der Mutter bestraft werden sollen, kann an der Schule niemand nachvollziehen. "Sie gehören hierher", sagt Mitschülerin Alexandra Tesch. Als freundliche, verantwortungsbewusste und hilfsbereite Person sei Melania ein Teil der Schule. "Deshalb soll sie hierbleiben", sagt auch ihr Klassenkamerad Philipp Behnke. Und als Klassenlehrer könne sich auch Michael Jansen nur für den Verbleib der 17-Jährigen in Hamburg aussprechen. "Akzeptiert" und "integriert" sei Melania, weshalb man die Abschiebepraxis Hamburgs angesichts dieses Falls durchaus kritisch hinterfragen sollte.

Bereits am Sonnabend hatten sich Politiker wie der CDU-Bundestagsabgeordnete Marcus Weinberg und der Vorsitzende der Härtefallkommission, Sören Schumacher (SPD), im Abendblatt für ein grundsätzliches Bleiberecht der Schülerinnen ausgesprochen. Mit der fehlenden Zuständigkeit Hamburgs und der Vertagung des Eingabenausschusses ist dieses Ziel jedoch in die Ferne gerückt. Der Fall scheint momentan zu komplex für eine schnelle Lösung.

Die Familie müsse nun ihre Eingaben in Bielefeld machen, damit es weitergehen könne, heißt es in Hamburg. Bereits im März hatte die Hansestadt ihre Zahlungen eingestellt und den finanziellen Druck auf die Sarkissians erhöht. Ob sich die Familie, die momentan mit Spenden über die Runden kommt, so lange in Hamburg halten kann, ist demnach ungewiss. Allein die Schüler der Heinrich-Hertz-Schule wollen sie nicht aufgeben. "Wir kämpfen", sagen sie. Schon heute geht's weiter.

Die Demonstration für ein Bleiberecht von Melania und Anna Sarkissian in Hamburg beginnt heute um 15 Uhr an der Heinrich-Hertz-Schule. Auf dem Weg zum Winterhuder Marktplatz steht der Marsch Sympathisanten und Unterstützern offen.