Geplant sind am Straßburger Platz ein SOS-Kinderdorf, eine größere Kita und eine kleinere Kirche. Anwohner plädieren für Erhalt.

Hamburg. Sie ist das Wahrzeichen des Stadtteils Dulsberg, die mächtige Frohbotschaftskirche am Straßburger Platz. Der Turm ragt 35 Meter in den Himmel, und der Blick von seiner Spitze eröffnet seinen Besuchern oft ungeahnte Perspektiven. Was dabei viele lange Zeit übersehen haben: Der gesamte Komplex ist baufällig, die kalkulierten Sanierungskosten von 535 000 Euro übersteigen die finanziellen Möglichkeiten der kleinen Gemeinde. Deshalb ist für den Kirchenvorstand der Abriss des Kirchenschiffs und des Gemeindehauses jetzt eine ernsthafte Option. Nur der Turm soll stehen bleiben. "So schmerzlich ein Abriss auch wäre, er ist wahrscheinlich die einzige Chance, dass wir an diesem Standort mit einem neuen räumlichen Konzept weiter unsere seelsorgerische und sozialdiakonische Arbeit leisten können", sagt Pastorin Maren Wichern.

Der drohende Abriss einer Kirche weckt Emotionen, entsprechend groß war der Andrang auf der 220. Sitzung des Stadtteilrats Dulsberg, auf der unter Tagesordnungspunkt drei über den "Planungsstand zur stadtteilbezogenen Aufwertung des kirchlichen Grundstücks" berichtet wurde. Es seien seit Jahren viele Gespräche geführt worden, sagte Tobias Behrens, Geschäftsführer der Stattbau Hamburg GmbH, und präsentierte das Ergebnis der bisherigen Überlegungen: Die Kirche sei mit 600 Plätzen für den heutigen Bedarf überdimensioniert, gewöhnlich besuchten 20 bis 30 Gläubige die Gottesdienste, nur zu Weihnachten seien es manchmal mehr als 300. Eine Grundsanierung des 1937 eingeweihten Gebäudes sei überfällig, nachdem erste Teile des Dachs auf die Straße gefallen sind. Verletzt wurde dabei niemand.

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Eine Sanierung habe jedoch keinen Sinn, betonte Behrens, weil sie nichts an der Grundproblematik ändere: Kosten und Nutzen der Räume stünden selbst danach weiter im krassen Missverhältnis und überfordere die Finanzkraft der Kirche mit ihrem Jahresetat für Betriebskosten in Höhe von 37.000 Euro. Deshalb der Abrissplan. Das 3300 Quadratmeter große Grundstück soll neu aufgeteilt werden. Auf 2000 Quadratmetern könnte ein SOS-Kinderdorf entstehen, nach Berlin erst das zweite innerstädtische in Deutschland. Die evangelische Kindertagesstätte würde sich auf 500 Quadratmeter erweitern. In ihr könnten künftig zwei Elementar- und zwei Krippengruppen betreut werden. Der Kirche blieben bei dieser Umgestaltung 650 Quadratmeter, "ausreichend Platz für uns", sagt Pastorin Wichern. Kinderdorf, Kita und Kirche haben inzwischen erklärt, die Mittel für diese Baumaßnahmen aufbringen zu können. Über die Höhe ist bisher nichts bekannt. Die Gesamtkosten dürften aber im Millionenbereich liegen.

Bevor die Bagger anrücken, muss das Amt für Denkmalschutz seinen Segen geben. Bislang lehnt die Behörde einen Abriss ab. Weitere Gespräche sind anberaumt. Auch viele Anwohner und die Partei Die Linke plädieren für den Erhalt des Kirchenschiffs, wohl aus Angst vor einer Gentrifizierung des Stadtteils. "Die Dulsberger haben über Jahrzehnte immer wieder Geld gesammelt, damit ihre Hauptkirche funktionsfähig bleibt", sagt Norbert Stindt, Vorsitzender der Geschichtsgruppe Dulsberg, "ein Abriss kommt für uns nicht infrage." Stattdessen befürwortet er Umbauten im Inneren des Gebäudes, um dieses effektiver nutzen zu können. Stindt: "Mein Eindruck ist, dass nicht alle Alternativen geprüft wurden."

Sylvia Wowretzko ist die SPD-Bürgerschaftsabgeordnete des Stadtteils mit eigenem Büro an der Dithmarscher Straße. Sie engagiert sich seit August vergangenen Jahres für eine einvernehmliche Lösung, schaltete dafür den SPD-Fraktionsvorsitzenden Andreas Dressel ein und besuchte mit Pastorin Wichern den damaligen Bezirksamtsleiter Wolfgang Kopitzsch, um gemeinsam die Denkmalschutzproblematik zu erörtern. "Wichtig ist, alle Akteure auf dem Dulsberg und alle Bürgerinnen und Bürger mit ins Boot zu holen", fordert Wowretzko. "Das hohe Investitionsvolumen für den Erhalt der Kirche in ihrer jetzigen Form sollte genauso beachtet werden wie eine vernünftige Finanzplanung bei einem Umbau." Wenn das Denkmalschutzamt dem von der Kirchenseite gewünschten Weg zustimme, könne sie sich gut vorstellen, "dass eine solche Anlage unter Einbeziehung eines SOS-Kinderdorfes den Stadtteil aufwertet und die Kirche ihre bisherige Bedeutung wahrt."

Wann Entscheidungen fallen, weiß im Moment niemand. Pastorin Wichern erwartet sie innerhalb der nächsten drei Jahre. Bis dahin werden an der Kirche nur noch die allernötigsten Reparaturen in Angriff genommen.