Eine Insel mit zwei Welten: Wo Flugzeuge der Airbus-Werft dröhnen und Hamburgs einziges Nonnenkloster heilsame Stille bietet.

Um die Position 53° 32' 0" Nord, 9° 52' 0" Ost zu erreichen, bieten sich drei Wege an: zu Wasser, zu Lande und aus der Luft. Mit der 62er-Fähre von St. Pauli, dem 150er-Bus von Altona und dem 380er-Airbus aus himmlischen Höhen. Mit diesem gigantischen Flugzeug allerdings nur zu Testzwecken. An der Elbe liegt, nur acht Meter über Normalnull, ein Dorf, in dem einer der weltgrößten Industriestandorte beheimatet ist. Zugleich ein Ort mit Folklore und absoluter Stille. Finkenwerder ist eine Insel mit zwei Welten.

Die Elbinsel ist eigentlich eine Halbinsel. Die Start- und Landebahn der Flugzeugwerft von Airbus verbindet Finkenwerder mit dem "Festland". In das Mühlenberger Loch hinein ragt das Gelände, auf dem mächtige Hallen stehen. Dort werden die Airbusse endmontiert. Hinter diesem Wort verbirgt sich Technologie vom Feinsten.

+++ Name & Geschichte +++

+++ Bekannte Söhne +++

+++ Kurz & knapp +++

Als Luftfahrtstandort weltweit führend

Der Standort Hamburg ist an der Entwicklung und Konstruktion aller Flugzeuge der Airbus-Familie beteiligt. Rumpfteile für den A 320 werden zusammengefügt, die Jets A 318, A 319 und A 321 flugfertig gemacht, der A 380 - mit 555 Sitzen der Riese im Programm - erhält seine Inneneinrichtung und die Lackierung. Hamburg zählt neben Seattle in den USA, wo die Boeing-Maschinen entstehen, und dem Airbus-Werk in Toulouse zu den drei führenden Luftfahrtstandorten der Welt. Bei Airbus auf Finkenwerder arbeiten rund 12 000 Menschen, etwas mehr, als Finkenwerder Einwohner hat.

Finkenwerder geizte auch früher nicht mit Superlativen. Auf der Rüschhalbinsel stand die Deutsche Werft. Sie galt 1953 als größter Schiffbauer der Welt. Doch 1973 war Schluss. Die Werft wurde Opfer der Schiffbaukrise. Wo einst große Pötte vom Stapel liefen, steht heute ein Hotel, das Gäste des Technologieparks beherbergt. In diesem Park haben sich Zulieferbetriebe und Ingenieurbüros angesiedelt.

Hightech beherrscht den Stadtteil, der früher von einem anderen Wirtschaftszweig dominiert war: Fischfang. Die wachsende Stadt Hamburg, die etwas weiter stromaufwärts liegt, musste ihre Einwohner mit Lebensmitteln versorgen. 1446 verkündete der Hamburger Senat, dass er den nördlichen Teil von Finkenwerder von Graf Otto II. von Holstein und Schauenburg gekauft hat. Wegen der Fischerei.

Früher Paradies für Seefischer

Der Landstrich war nicht nur durch Sturmfluten zwischen 1164 und 1236 räumlich von angrenzenden Gebieten getrennt worden, sondern durch Schlachten, Geschenke und Erbschaften auch politisch geteilt. Der Norden gehörte den Schauenburgern, später den Hamburgern, der Süden mal dem Erzbischof Gerhard von Bremen, mal den Herzögen von Braunschweig-Lüneburg, ab 1705 zu Hannover, das ihn 1866 an Preußen verlor.

+++ Zahlen & Fakten +++

Dabei war das südliche Finkenwerder (der Norden schrieb sich übrigens Finkenwärder) wirtschaftlich bedeutungslos. Im Norden wurde für Kunden gefischt. "1895, zur Blütezeit, gingen 170 Kutter der Nordinsel auf Fangfahrt, aber nur zwei Seefischer von der Südseite", sagt Kurt Wagner, der Mann, der alles über seine Heimat weiß. Er hat mehrere Bücher über Finkenwerder geschrieben, mit Claus Leimbach auch eines über die schwere Sturmflut vom 17. Februar 1962, als die Deiche brachen und gewaltige Wassermassen die Insel ertränkten. Kurt Wagner hat 12 000 Fotos, die meisten historisch, gesammelt. Sein Archiv ist das Gedächtnis dieses einzigartigen Stücks Hamburg.

"Nicht nur Fischer entdeckten im 19. Jahrhundert die Insel, sondern auch Handwerker wie Zimmerleute, Segelmacher, Netzmacher, Schmiede - und Maler, die hier Motive für ihre Gemälde fanden wie in Flandern und Holland", sagt Wagner.

Tor zum Alten Land

Inzwischen ist der letzte Seefischer Finkenwerders von Bord gegangen. Moderne Technik, die aufkommende Motorschifffahrt, später Fangfabrikschiffe haben für den Wandel gesorgt. Geblieben ist das bedeutende Obstbaugebiet, das Tor zum Alten Land. Der "Finkenwerder Herbstprinz", ein wohlschmeckender Apfel, ist beste Werbung für den Stadtteil über Hamburgs Grenzen hinaus. Ältere Finkenwerder können sich sogar noch an einen Wein namens "Finkenwerder Schüttelfrost - Nordhang" eines gewissen Lord of Camster erinnern: eine amüsante Fußnote der Obstler-Geschichte.

Auch die Zeit der 369 Jahre währenden Spaltung ist vorüber. Erst seit 1937 ist die Insel durch das Groß-Hamburg-Gesetz nicht mehr in die Hamburger und die sogenannte Lüneburger Seite geteilt. Die Bistumsgrenze der katholischen Kirche verlief allerdings noch bis 1993 quer durch Finkenwerder. Der Straßenname Landscheideweg erinnert an die Zeit der Spaltung.

An wohl kaum einem anderen Ort in der Hansestadt ist die Sangesfreude so groß wie auf Finkenwerder. Hier wirken fünf stimmgewaltige Vereine und Chöre. Die Finkwarder Speeldeel gibt den Ton an. In ihren farbenfrohen Trachten verkörpert sie eine Mischung aus Tradition und Moderne. Hoch- und plattdeutsche Evergreens sowie Shantys hat die Speeldeel, die vor gut 100 Jahren von den Heimatdichtern Hinrich Wriede und Gorch Fock gegründet wurde, in ihrem Repertoire. Der 1976 gegründete Finkwarder Danzkring war mit einem ähnlichen Programm auch sehr erfolgreich. Die Liedertafel Harmonie Finkenwärder von 1865 ist einer der ältesten Männergesangsvereine Hamburgs, Germania Finkenwärder folgte 1884. Jüngeren Ursprungs sind der Kirchenchor und der Chor Shout for Joy der Gospelstation in der evangelischen Kirche St. Nikolai und der Frauenchor Frohsinn.

Auf die stattliche Zahl von 2300 Mitgliedern kommt der Turn- und Sportverein Finkenwerder, der 1893 gegründet wurde. Der Klub bietet alles, was das Herz des Sportlers braucht. Fußball und Handball, Judo und Schwimmen, Tanzen und Triathlon. Auf Finkenwerder, wo Gemeinschaftsgeist aufgrund der Insellage traditionell einen besonderen Stellenwert genießt, geht man zum TuS und nicht in ein Fitnessstudio. Außerdem bietet Finkenwerder Wassersportlern den größten Sportboothafen auf Hamburger Gebiet.

Entspannen bei Karmeliterinnen

Der Rest ist Schweigen. Am Norderkirchenweg herrscht absolute Ruhe. In der Karmelzelle von der Menschwerdung, dem einzigen Nonnenkloster Hamburgs, kann man dem Dröhnen von Airbus ebenso wie dem Druck der Großstadt entfliehen. Gestresste Ärzte und Manager etwa finden hier Entspannung und zu sich selbst, verrät Schwester Teresa, die älteste der drei Karmeliterinnen. "Es gibt da eine große Sehnsucht, die nicht erfüllt wird", erklärt sie, gerade bei Menschen, die glauben, alles zu haben. Wer kommt, muss Handy und Notebook am Eingang abgeben. "Wer entsagen kann, gewinnt viel", sagt Schwester Teresa, "der findet sich selbst und vielleicht auch Gott."

+++ Der Stadtteil-Pate: Hans Wacker +++

Und der Finkenwerder selbst, wie fühlt er sich in seinem Dorf am Strom? Kurt Wagner meint: "Wir fühlen uns als Insulaner. Wir sind keine Hamburger, aber wir ehren und schätzen sie." Sein Augenzwinkern ist nicht zu übersehen.

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