Hamburg. An der Binnenalster ist ein neuer „Denkort“ geplant. LSBTIQ*-Szene steht im Fokus. Wahl des zentralen Standorts kein Zufall.

Es ist ein prominenter Platz direkt an der Hamburger Binnenalster, an dem ein neuer „Denkort“ geplant ist: Der Senat hat am Dienstag darüber entschieden, dass hier an der Ecke Neuer Jungfernstieg/Lombardsbrücke in Zukunft ein Zeichen für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt gesetzt werden soll.

Den Planungen zugrunde liegt eine entsprechende Forderung aus der Szene – und auch die Bürgerschaft hatte vor einiger Zeit den Senat aufgefordert, den Ort auf den Weg zu bringen. Passend zur Pride Week in dieser Woche gehen die Planungen nun in die nächste Runde.

Alster Hamburg: Denkmal für sexuelle Vielfalt entsteht direkt am Ufer

Das Denkmal entsteht auf der Grünfläche am Alsterufer, an deren Spitze derzeit die Bronzeskulptur „Windsbraut“ über die Wasserfläche blickt. Auf dem Gelände etwa so groß wie ein Tennisplatz sollen die Besucher künftig Impulse bekommen zur Auseinandersetzung mit Vielfalt in der Stadt.

Der Ort soll hinweisen auf die Diskriminierung und Ungleichbehandlung von Lesben und Schwulen, aber auch von intergeschlechtlichen Menschen und Trans*menschen.

„Mit dem Beschluss des Senats zur Umsetzung des Denkorts für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt setzen wir in der Pride Week ein deutliches Zeichen für gleiche Rechte für alle“, sagt Carsten Brosda (SPD), Senator für Kultur und Medien.

Hamburger Community hatte Idee zum Denkort bereits 2015

Zum ersten Mal kam die Idee in der Community bereits 2015 auf, nach dem alljährlichen Aids-Gottesdienst in St. Katharinen, sagt Gottfried Lorenz, Mitbegründer und Sprecher der Initiative, die heute den Namen „Denk-mal sexuelle und geschlechtliche Vielfalt“ trägt. „Nur in Neuengamme, wurde uns damals bewusst, gibt es zurzeit eine Gedenktafel für die von den Nazis verfolgten und umgebrachten Homosexuellen“, so Lorenz. Doch die KZ-Gedenkstätte sei „weit weg von der Innenstadt“.

Somit wurden weitere Ideen gesammelt, Vorbilder in Amsterdam und Berlin etwa gibt es bereits. Es kamen auch neue Mitstreiter hinzu, bis sich 2018 dann die genannte Initiative gründete.

„Denkort soll erinnern und in die Zukunft weisen“

Beim Treffen mit dem Abendblatt am zukünftigen Denkmal erzählt Lorenz von den Motiven, die mit dem Platz verbunden sind. „Er soll erinnern und in die Zukunft weisen“, fasst der 83-Jährige zusammen, der die Geschichte der Homosexuellen und deren Verfolgung in Hamburg von 1919 bis heute intensiv erforscht.

Gottfried Lorenz ist Mitbegründer und Sprecher der Initiative, die heute den Namen „Denk-mal sexuelle und geschlechtliche Vielfalt“ trägt und sich für ein Denkmal an der Hamburger Alster einsetzt.
Gottfried Lorenz ist Mitbegründer und Sprecher der Initiative, die heute den Namen „Denk-mal sexuelle und geschlechtliche Vielfalt“ trägt und sich für ein Denkmal an der Hamburger Alster einsetzt. © Michael Rauhe

Wichtig sei, über das Erinnern hinauszukommen. Es soll an der Binnenalster nicht nur um die Zeit der Verfolgung gehen, sondern vor allem um gegenwärtige und zukünftige Herausforderungen, sagt Lorenz, der zuletzt als Studiendirektor am Gymnasium in Glinde gearbeitet und stets zu seiner eigenen Homosexualität gestanden hat.

Coming-out für viele Menschen auch heute noch schwierig

Der Pädagoge betont, dass ein Coming-out für viele Menschen auch heute noch schwierig und keine Selbstverständlichkeit sei, „vor sich selber, vor der Familie“ – und das 30 Jahre nach der Aufhebung des Paragrafen 175, der Homosexualität kriminalisierte. „In meiner Generation war es noch üblich, das zu verheimlichen. Viele Gleichaltrige waren verheiratet, haben Kinder, um ihre wahre Sexualität zu verdecken“, sagt der ehemalige Lehrer.

Der Ort an der Binnenalster soll gleich mehrere Anstöße zum Nach- und Weiterdenken geben, betont auch Brosda: „Wir wollen mit dem Ort dauerhaft zeigen, dass Hamburg für Vielfalt und Respekt steht.“ Es solle zudem daran erinnert werden, „dass die LSBTIQ*-Szene auch hier lange unterdrückt wurde und auch heute im Alltag immer wieder Diskriminierung erfahren muss.“

Minderheiten lösen Ängste in der Gesellschaft aus

Lorenz betont, dass jede Minderheit, egal ob religiös, sprachlich oder eben sexuell, nach wie vor Ängste in der Gesellschaft auslöse. „Weil mir etwas fremd ist oder ich Sorge habe, davon vereinnahmt zu werden“, schildert Lorenz die Herausforderungen im Zusammenleben von Mehrheit und Minderheit in einer Gesellschaft.

Das Denkmal soll neben Denkanstößen zugleich Gelegenheit bieten, sich zum Austausch, zu Kundgebungen oder Demonstrationen zu treffen. Wünschenswert sei es, auf dem Gelände einen Pavillon zu errichten, der auch die Möglichkeit für Ausstellungen und Gespräche in kleinem Kreis biete, sagt Lorenz.

Denkmal unmittelbar an der Route der CSD-Demonstration

Dabei ist die Wahl des Standorts kein Zufall, denn dieser liegt unmittelbar an der Route der Hamburger Demonstration zum Christopher Street Day (CSD).

Zugleich war die Standortentscheidung kein Alleingang, sie wurde einvernehmlich mit den LSBTIQ*- Initiativen, den Behörden und dem Bezirk Hamburg-Mitte getroffen, beschreibt Enno Isermann, Pressesprecher der Behörde für Kultur und Medien, den bisherigen Prozess der Planung.

LSBTIQ*-Community schlägt Prisma für die Gestaltung vor

Wie der Ort gestaltet wird, ist noch völlig offen. „Warum nicht ein Prisma zeigen?“, stellt Lorenz eine Idee aus der Community vor. „Ein Prisma spiegelt viele Farben – nimmt man eine davon weg, ist alles grau in grau ...“, spielt er auf die Vielfalt an. Letztlich müssten aber nun die „Kunstgötter“ entscheiden, wie der Ort gestaltet werde.

Denn nachdem die Konzeption des Platzes nicht nur mit der Initiative „Denk-mal sexuelle und geschlechtliche Vielfalt“, sondern auch durch einen Workshop mit 40 unterschiedlichen Organisationen der Hamburger LSBTIQ*-Communitys entwickelt worden ist, soll nun ein mehrstufiger künstlerischer Wettbewerb ausgelobt werden. „Wir werden Künstler dabei voraussichtlich gezielt ansprechen“, sagt Isermann.

Alster Hamburg: 300.000 Euro für die Realisierung des neuen Denkmals

Für die Realisierung des Denkmals sollen 300.000 Euro zur Verfügung gestellt werden, für das Wettbewerbsverfahren und die Vorbereitung weitere 114.000 Euro.

Aber nicht nur Geld, auch Geduld wird das neue Zeichen für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt erfordern: Da der gesamte Prozess mit vielen Beteiligten geführt wird und mehrere Stufen umfasst, dürfte mit der Fertigstellung erst in etwa zwei Jahren zu rechnen sein, schätzt Isermann.