Neue Flüchtlingsunterkunft ist beschlossen. Die Stadt will an der Berzeliusstraße 600 Flüchtlinge unterbringen. Politiker aller Parteien sind empört. Grund dafür sind alte Schlagzeilen.

Hamburg. Die Berzeliusstraße im Billbrooker Industriegebiet, in der in den 90er-Jahren eine slumähnliche Einrichtung bundesweit für Schlagzeilen sorgte, die 2002 geschlossen wurde, bekommt wieder eine Flüchtlingsunterkunft. Mit 600 Plätzen ist diese dann eine der größten in Hamburg. Zunächst war es nur ein Gerücht und es wurde von einer „Prüfung“ gesprochen, doch jetzt steht fest: Die Eröffnung der Einrichtung auf der Brachfläche in der trostlosen Gegend ist bereits für Oktober dieses Jahres geplant. Das kam durch die Antwort des Senats auf eine schriftliche Kleine Anfrage des CDU-Bürgerschaftsabgeordneten David Erkalp ans Licht.

Alle großen Parteien sind fassungslos über diese Entscheidung und greifen den Bezirk Mitte und die zuständige Sozialbehörde scharf an. „Hier entsteht in einem Umkreis von 100 Metern ein Mega-Getto mit fast 1400 Asylbewerbern“, kritisierte CDU-Politiker David Erkalp. Die „Berze“ wieder als Flüchtlingsunterkunft zu nutzen, sei verantwortungslos, besonders wenn man an die schlimmen Zustände in den 90er-Jahren zurückdenkt“, so Erkalp weiter.

Fakt ist: In Billstedt gibt es bereits die Flüchtlingsunterkünfte am Billstieg und am Billbrookdeich mit insgesamt 739 Flüchtlingen. Diese liegen in der Nachbarschaft zu der geplanten neuen Unterkunft an der Berzeliusstraße.

Bei der Aufnahme von Flüchtlingen nimmt Billstedt in der Hansestadt einen Spitzenplatz ein. CDU-Politiker David Erkalp wirft den Verantwortlichen vor: „Die Stadt benutzt Billstedt als Mülleimer. Die Verteilung der Flüchtlinge über die Stadtteile muss ausgewogen sein.“

Auch die Billstedter SPD-Bürgerschaftsabgeordnete Hildegard Jürgens ist aufgebracht. Das ausgerechnet der Bezirk der Wiedereinrichtung einer Massenunterkunft zugestimmt habe, sei unerklärlich. Auch Jürgens macht auf die schon problematische Situation vor Ort aufmerksam.

Grünen-Fraktionschef Michael Osterburg befürchtet: „Sozialsenator Detlef Scheele (SPD) schafft sehenden Auges eine neue Problemunterkunft.“ Dem Grünen-Politiker ist wichtig: „Wenn die Sozialbehörde es wirklich durchzieht, dann fordern wir ein hochwertiges Betreuungskonzept mit mehr Mitarbeitern und ein Integrationskonzept für die Bewohner.“

Forderungen nach einer besseren Betreuung sind für Hildegard Jürgens auch keine Lösung. Die SPD-Politikerin erinnert an die Vergangenheit: „In der ehemaligen Unterkunft an der Berzeliusstraße mussten die Menschen hinter meterhohen Zäunen leben, die eigene Polizeistation direkt am Ende der Straße. Jetzt einfach nur eine bessere Betreuung zu fordern, offenbart die Unkenntnis über den Stadtteil.“

Damals lebten hier von der Außenwelt weitgehend isoliert Hunderte Flüchtlinge und auch Obdachlose in heruntergekommenen Barackenbauten, die in den 60er-Jahren gebaut worden waren. Es herrschten Zustände, die an Drittwelt- und Schwellenländer erinnerten. Im Jahre 1999 starb dort ein Bewohner verwahrlost. Er war verhungert, obwohl er unter Betreuung stand.

In einem Abendblatt-Bericht aus dem März 2002 hieß es: „Menschen, Ratten, Kakerlaken, Scherben, Müll. Weil der Spielplatz völlig zerstört ist, spielen die Kinder im Abfall.“ Der damalige Bezirksamtsleiter Markus Schreiber (SPD) sagte in demselben Bericht: „Es ist wirklich entsetzlich. Leute stehen vor Feuern, überall liegt Müll.“ 2002 wurde die Einrichtung schließlich geschlossen.

Wie es auf dem Areal aussehen soll, geht aus der Antwort des Senats auf die Erkalp-Anfrage hervor: 29 Modulhäuser sollen hier errichtet werden. In vier der Gebäude werden die Verwaltung und Räume für Kinderbetreuung, Schulungen und den Tagesaufenthalt untergebracht. In der Antwort heißt es: „Anders als in den 80er- und 90er-Jahren sehen die Planungen eine weitläufige, sozialverträgliche Anordnung der Unterkünfte auf dem Gelände sowie einen verbesserten Betreuungsschlüssel vor.“

Das Bezirksamt Mitte hält die Fläche für geeignet und weist Kritik zurück

Wenig Verständnis für die Kritik scheint es im Bezirksamt Mitte zu geben, hier wurde die Fläche ausgesucht: „Es gibt einen hohen Druck wegen der steigenden Zahl von Flüchtlingen. Deshalb kommt jede Fläche in Betracht, die für eine Unterkunft geeignet ist – unabhängig davon, in welchem Stadtteil diese liegt“, sagte Sprecherin Sorina Weiland. Dass Billstedt und das angrenzende Billbrook bereits extrem viele Flüchtlinge aufgenommen haben, weiß auch Weiland. Aber: „Flüchtlinge sind keine Belastung, sondern Menschen, die jetzt ganz einfach unsere Hilfe brauchen“, so Weiland weiter.

Unterdessen wirft Martina Kaesbach (FDP) der Stadt vor: „Die Einrichtung neuer Flüchtlingsunterkünfte wird vom SPD-Senat dilettantisch betrieben. Wie sonst ließe sich erklären, dass im Zuge der Planungen ein so schwieriger Standort wie der an der Berzeliusstraße mit dabei ist.“

In Hamburg werden wegen des großen Bedarfs insgesamt 15 neue Flüchtlingsunterkünfte mit 3164 Plätzen eingerichtet. Neben der Berzeliusstraße (Bezirk Mitte) sind dies folgende: August-Kirch-Straße, Holstenkamp, Sieversstücken (Altona); Brookkehre (Bergedorf); Sophienterrasse, Pinneberger Straße, Hagendeel (Eimsbüttel); Kurdamm, Wendenstraße, Jugendpark Langenhorn (Nord); Wetternstraße, Am Radeland (Harburg); Volksdorfer Grenzweg, Bahngärten (Wandsbek).