Verkehrsminister Ramsauer und Bürgermeister Scholz läuten Verlegung der Reichsstraße ein. Sinnhaftigkeit der Maßnahme erschließt sich nicht allen Wilhelmsburgern. Anwohner protestieren gegen „Steuerverschwendung“.

Hamburg. Politiker lassen sich ungern beim Reden unterbrechen. Doch diese Störung war Peter Ramsauer durchaus willkommen. Der Bundesverkehrsminister hatte seine Rede gerade begonnen, als um 10.22 Uhr einer dieser ewig langen, rostig-braunen Güterzüge vorbeidonnerte und jegliche Kommunikation unmöglich machte. „Das wird bald vorbei sein“, frohlockte der CSU-Politiker, als er sich wieder etwas Gehör verschaffen konnte.

Besser hätte Ramsauer es nicht inszenieren können: Die Verlegung der Wilhelmsburger Reichsstraße, für die der Bundesminister, Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) und Wirtschaftssenator Frank Horch (parteilos) am Donnerstag mit dem Spaten in der Hand den Beginn der Bauarbeiten einläuteten, hat unter anderem das Ziel, die Lärmbelastung in Wilhelmsburg zu reduzieren. Da kamen der Güterzug, ein Metronom und einige S-Bahnen, die im Laufe der Reden vorbeirauschten, gerade recht. Denn die vierspurige Straße, die noch das Gelände der Internationalen Gartenschau (igs) und die Wilhelmsburger Mitte durchschneidet, soll nicht nur um 500 Meter nach Osten auf die Bahntrasse verlegt werden (was den Lärm an dieser Stelle nur bündeln, aber nicht reduzieren würde), sondern die bis 2019 entstehende Doppeltrasse aus Schienen und Straße soll auch beidseitig mit mehreren hohen Lärmschutzwänden versehen werden. Um bis zu 15 Dezibel ruhiger werden soll es für Tausende Anwohner, wobei die Planer darauf verwiesen, dass sich schon drei Dezibel weniger wie eine Halbierung des Lärms anfühlten.

Die Verlegung sei eine Riesenchance für die Elbinsel, sagte Ramsauer

Ramsauer, Scholz und Horch lobten die Entwicklungsmöglichkeiten, die sich der Elbinsel dadurch böten, dass sie weniger vom Lärm geplagt und nur noch von zwei statt von drei großen Verkehrsachsen durchschnitten werde und auf den frei werdenden Flächen bis zu 2000 Wohnungen entstehen könnten. „Das ist auch eine Riesenchance, das Viertel städtebaulich aufzuwerten“, sagte der bayerische Gast aus Berlin. „Man wundert sich, dass so ewig diskutiert wurde, weil die Richtigkeit der Maßnahme so offensichtlich ins Auge sticht.“ Ramsauer betonte auch, dass die heutige Reichsstraße unsicher und marode sei: „Das sind unmögliche Zustände, die behoben werden müssen.“

Die Sinnhaftigkeit der Maßnahme erschließt sich allerdings nicht allen Wilhelmsburgern, und das erklärt auch, warum noch nicht der Startschuss für das ganze Projekt gegeben wurde, sondern zunächst nur für den Lärmschutz. Denn die Klagegemeinschaft „Rechtsschutz Lebensqualität Wilhelmsburg“ hatte im Juli beim Oberverwaltungsgericht Klage gegen das Projekt eingereicht. Die Anwohner, die wahlweise auch als „Engagierte Wilhelmsburger“ auftreten, lehnen die Verlegung aus mehreren Gründen ab: Die Straße werde mit 28 Meter Breite (bisher: 14 Meter), vier Spuren und Standstreifen und erlaubten Tempo80 wie eine Autobahn anmuten, dadurch mehr Verkehr anziehen und entsprechend mehr Lärm verursachen. Nur daher müsse dann die neue Doppeltrasse mit teuren Lärmschutzwänden versehen werden. Die Verlegung von Flüsterasphalt auf der bestehenden Piste, die Reduzierung auf Tempo50 und der Bau von Lärmschutzwänden am igs-Gelände hätten sich hingegen bewährt, wären aber beim Abriss der Straße vergeblich gewesen. Insgesamt würden 200 Millionen Euro Steuergeld von Bund und Stadt verschwendet.

Trotz der Klage hatte die Bahn am 6. August bei der Stadt beantragt, sofort mit den Arbeiten beginnen zu dürfen. Da alle Anwohner, auch die Kläger, vom Lärmschutz profitieren würden, bestehe ein öffentliches Interesse. Im Übrigen werde nur auf Bahngelände gebaut und keine unumkehrbaren Fakten geschaffen. Dem folgte die Verkehrsbehörde teilweise: Mit Schreiben vom 8.August, also unmittelbar vor dem Spatenstich, ordnete sie die „sofortige Vollziehung“ an, allerdings nur für die Arbeiten an den Gleisen sowie die Errichtung der Lärmschutzwände. Hinsichtlich der Verlegung der Straße behält die Klage ihre aufschiebende Wirkung und bleibt ein Fall für das Gericht.

Dass dennoch der erste Spatenstich gefeiert wurde, kritisierten die „Engagierten Wilhelmsburger“ als „Sandkastenspiele im Wahlkampf“. Sie setzten dem eine inszenierte Beerdigung entgegen. Zu Grabe trugen sie die Pläne für die Verlegung der Reichsstraße.