Initiative will die Verlegung und den Ausbau der Wilhelmsburger Reichsstraße mit juristischen Mitteln verhindern.

Wilhelmsburg. Jetzt müssen Richter entscheiden, ob die Wilhelmsburger Reichsstraße wie geplant verlegt und ausgebaut werden darf: Die Klagegemeinschaft "Rechtsschutz Lebensqualität Wilhelmsburg" hat am Donnerstagabend beschlossen, vor dem Oberverwaltungsgericht Hamburg gegen den Planfeststellungsbeschluss zur Verlegung der Wilhelmsburger Reichsstraße zu klagen. Mehr als 200 Menschen gehören der Solidargemeinschaft an. Sie befürchten, von mehr Lärm und Luftverschmutzung betroffen zu sein und sehen sich deshalb in ihren Rechten verletzt.

Die Kläger zweifeln grundsätzlich den Bedarf an, die verlegte Reichsstraße überhaupt zu bauen. Hartmut Sauer, Vorsitzender des Lenkungsausschusses der Klagegemeinschaft, bezeichnet die Verlegung der Wilhelmsburger Reichsstraße als "völlig verrücktes Projekt". Der Hamburger Senat mache es nur, weil das Bundesverkehrsministerium zahle. Seiner Meinung nach sei bewiesen, dass die Reichsstraße dort, wo sie sich jetzt befinde, sicher sei.

Ursprünglich sollte die Wilhelmsburger Reichsstraße bereits vor Eröffnung der Internationalen Gartenschau im April 2013 fertig sein. Das Bauvorhaben verzögerte ich aber um mehrere Jahre. Die alte Reichsstraße (B4/75) zerschneidet das Gartenschaugelände, die neue Trasse würde den Park umgehen. Der jetzige Zeitplan sieht den Baubeginn im August vor. Im Jahr 2018 soll die fünf Kilometer lange Straße fertig sein. Sie wird voraussichtlich 140 Millionen Euro kosten.

Der Hamburger Rechtsanwalt Rüdiger Nebelsieck sieht die Erfolgsausichten vor dem Oberverwaltungsgericht offenbar als gut an: "Ich bin überzeugt, dass die besseren Argumente für uns sprechen", so Rüdiger Nebelsieck bei der Gesellschafterversammlung der Klagegemeinschaft im Gasthof Sohre. Der Rechtsanwalt der Klägergemeinschaft hat gerade vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig den Umweltverband BUND mit Erfolg vertreten: Das Gericht setzte das Verfahren zur Vertiefung der Weser aus. Der Grund: Verfahrensmängel im Planfeststellungsbeschluss.

Ernsthafte Mängel in der Begründung meint Nebelsieck auch in dem 500 Seiten starken Planfeststellungsbeschlusses zur verlegten Reichstraße ausgemacht zu haben. Er wirft der Planfeststellungsbehörde vor, insbesondere beim Schallschutz "getrickst" zu haben. Die von der Trasse betroffenen Menschen bekämen weniger Schallschutz als rechtlich geboten sei, so die Einschätzung des Verwaltungsrechtsexperten. Bei 41 Häusern oder Wohnungen würden gesundheitsgefährdende Werte erreicht. Darauf habe die Planfeststellungsbehörde keine Antwort. Laut Hartmut Sauer lägen die von Lärm besonders betroffenen Wohnungen in der Mitte Wilhelmsburgs und am Vogelhüttendeich.

Die Kläger und ihr Rechtsanwalt gehen zudem davon aus, dass die Planfeststellungsbehörde die Schadstoffbelastung der Luft falsch bewertet habe. Rüdiger Nebelsieck hat vor kurzem ein Luftreinhalteklage für den Umweltverband BUND vor dem Oberverwaltungsgericht Hamburg eingereicht. Erkenntnisse daraus könnten für die Klage der Wilhelmsburger Erfolg versprechend sein.

Voraussichtlich fünf Kläger mit den besten Erfolgsaussichten werden vor dem Oberverwaltungsgericht gegen die Verlegung der Wilhelmsburger Reichsstraße vorgehen. Wer das sein wird, ist noch offen. Sie werden versuchen, den Bedarf der verlegten vierspurigen Straße grundsätzlich in Frage zu stellen und das Bauvorhaben komplett zu kippen.

Rüdiger Nebelsieck ist der Meinung, dass es der Planfeststellungsbehörde nicht gelungen sei, die konkreten Rügen der Kläger zu entkräften. Die Behörde habe nicht beweisen können, dass die alte Reichsstraße nicht standfest oder unsicher sei, wie sie behaupte. Keine Statistik, so Nebelsieck weiter, belege dass auf der alten Reichsstraße überdurchschnittlich viele Unfälle passierten. Fazit der Kläger: Die verlegte Reichsstraße sei nicht notwendig, die 140 Millionen Euro Baukosten seien Steuerverschwendung. Es würde ausreichen, die Lärmschutzsanierung an der Bahnstrecke zu realisieren.

Die Freie und Hansestadt Hamburg und das Bundesverkehrsministerium dagegen behaupten, mit der Verlegung der Wilhelmsburger Reichsstraße an die Bahntrasse werde die Elbinsel grüner und leiser. Der Inselpark, das heutige Gartenschaugelände, werde nicht mehr von einer Straße zerschnitten sein.

Das Klageverfahren vor dem Oberverwaltungsgericht dürfte das Bauvorhaben erneut verzögern. Die Klage habe aufschiebende Wirkung, sagt Rüdiger Nebelsieck, weil die Behörde den Plan nicht für sofort vollziehbar erklärt habe. So sei ein Eilantrag auf Baustopp noch nicht nötig.