Die Harley Days boten am Wochenende alles, was das Bikerherz begehrt. Friseurin Andrea Geyer aus Bergstedt sagt: “Das Gefühl ist unbezahlbar.“.

Hammerbrook. Es ist kein infernalisches Wummern, kein protziges Knattern und auch kein entnervendes Kläffen: Mit einem kraftvollen Röhren startet Andrea Geyers Harley Street Glide. Erst sanft, dann ein bisschen intensiver. Mit Gefühl eben. Die Männer im Umkreis von einigen Metern, und das sind viele, halten inne und schauen gebannt in Richtung der hoch gewachsenen Frau mit blonder Mähne in Lederkleidung. Was für ein Bild von einem Motorrad!

Bei den Harley Days ist es eben der satte Sound, der anmacht. PS kann jeder haben; Ausstrahlung und Charakter machen den Unterschied. Kein Wunder: Frau Geyer, Friseurin mit eigenem Salon im Stadtteil Bergstedt und passionierte Bikerin, hat ihre Maschine nach persönlichem Gusto stylen lassen. Das Ergebnis kann sich sehen lassen: verzierte Trittbretter, Zusatzscheinwerfer, Kofferverlängerung, Solositz mit Schlangenlederdesign, Spezialhupe, Swarovski-Steine rund um die Armaturen und so weiter. Alles vom Feinsten, aber mit Stil. Das ist die Kunst.

Hingucker Nummer eins jedoch ist die Lackierung. Wochenlang hat Dany Schramm in Börnsen in seiner Manufaktur ganze Arbeit geleistet und ein Unikat der eleganten Art geschaffen. Der mit Blattsilber unterlegte Lack schimmert schwarz-orange, von einem Hauch Kupfer geküsst. Und der Auspuff der Marke Jekyll & Hyde produziert dieses melodische Bollern, typisch für die kostspieligen Maschinen made in Milwaukee. Abgefahren, im wahrsten Sinn des Wortes.

+++ Nur 200 Motorradfahrer bei Biker-Parade im Regen +++

Am Wochenende gab es dieses maschinelle Fauchen tausendfach: Von Freitag bis zum verregneten Sonntag besuchten mehr als 250 000 Zweiradfreaks das 40 000 Quadratmeter umfassende Festgelände rund um die Großmarkthallen. Veranstaltungen überall in der Stadt, besonders am Spielbudenplatz und an der Mönckebergstraße, privat organisierte Klubtreffen und die Abschlussparade, an der wegen Regens nur 200 Fahrer teilnahmen, lockten nicht nur Anhänger der weltberühmten Marke an. 70 000 Harleys kreuzten in diesen drei Tagen durch die Stadt.

Was anno 1903 von den Tüftlern Harley und Davidson in einer winzigen Garage begründet wurde, ist aktuell mit 1,2 Millionen Mitgliedern die weltweit größte Motorradfahrervereinigung. Letztlich schlau, dass die Stadt 2011 ihre Drohung nicht wahrmachte, die urwüchsigen Motorradtage zu verbieten. Das Festival, so meinte damals mancher, passe nicht zum Nimbus einer Umwelthauptstadt.

Umso besser passt das Happening - mit Magnetwirkung weit über die Tore der Hansestadt hinaus - zum Image einer weltoffenen Metropole. Das Angebot auf dem Areal zwischen Amsinckstraße und Elbe hatte Kinocharakter.

"Hier pulsieren Herzblut und Leidenschaft hochtourig", sagt Bikerin Andrea Geyer bei einem Kaffee auf einer Holzbank neben der Mainstreet. So heißt die Fahrspur, auf der Fahrer den Stolz ihrer Freizeit präsentieren - im Schritttempo natürlich nur. Stundenlang. Es mufft nach Benzin, Bratwurst und Fischbrötchen. Mancher kann es dann doch nicht ganz sein lassen und lässt die Pferdestärken zwischen seinen Beinen röhren. Obwohl Motorräder dieser Marke ja mehr eine Frage der Lebenseinstellung als Fortbewegungsmittel sein sollen.

Kernige Typen wie Wolfgang "Wolle" Ohl haben solchen prolligen Protz nicht nötig. Der 58 Jahre alte Bankkaufmann aus der Sparte Schiffsfinanzierung mit Büro in der Innenstadt hegt und pflegt seine Road King Classic mit der Inbrunst eines Oldtimers. "Ich bin seit 2005 genussvoll infiziert", formuliert der Wilhelmsburger. Wie viele andere Glaubensbrüder ist er aktives Mitglied in einem Harley-Klub, Chapter genannt. Anfangs sei die Ehefrau skeptisch gewesen, heute ist sie Sozia.

Allein fahrende Frauen scheinen die Ausnahmen zu sein. Gefühlte Männerquote bei den Harley Days: 80 Prozent. Somit ist der Blick frei für das Wesentliche - und für Fahrgestelle, Chassis und Hubraum im ursprünglichen Sinn. Gut und gerne 150 Stände auf dem Jahrmarkt bieten alles, was das Bikerherz begehrt. Die Auswahl an Lederkluft in ausgefallenen Variationen ist gewaltig. Gern genommen werden Produkte mit Totenköpfen, Adlern, Flügeln, Himmelskörpern und Sternenbannern. Andere wählen Helme mit Teufelshörnern, Tarnbemalung, lackierten Knochen oder mystischer Verzierung.

Wer seine Kreditkarte parat hat, kann individuelle Beleuchtungen, Bremslichter, Sirenen und vor allem Auspuffanlagen ordern. Kleine Monsterfiguren, schräge Kopftücher, Tattoos und kostbare Tankdeckel runden ein erstaunliches Angebot ab. Im Nu mutiert ein Anzugträger zum Rebell. Und warum soll nicht auch ein Topverdiener in den Fünfzigern die Rockerseele vergangener Tage zur Schau stellen und sich einen Zopf flechten? Alltag ist morgen.

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Wer mit aufgemotzten Motorrädern fremder Fabrikate über den Parcours der Eitelkeiten schleicht, wird links liegen gelassen. Das Prinzip ist auf den ersten Blick klar: je cooler, desto passender. Gespiegelte Sonnenbrillen, Mundschutz, dezent angespeckte Lederklamotten machen sich indes nur dann gut, wenn die Miene passt: ein bisschen überlegen, leicht süffisant. Lustig wird es vor allem dann, wenn abgebrühte Kerle in einem Outfit wie vom anderen Stern Schlange stehen, um sich Pfannkuchen mit Nutella oder Naschkram zu kaufen. In jedem Mann ein Kind. Auch wenn er eine Harley steuert.

Noch eine weitere Gemeinsamkeit fällt auf: Über Geld redet hier keiner gerne. Man hat es meist, zeigt es ja auch mit der Maschine, bleibt jedoch lieber diskret. Die Preislisten sprechen eine klarere Sprache: Die günstigste Harley kostet 8120 Euro, wer es unterm Hintern luxuriöser haben will, wird mit 28 000 Euro und mehr zur Kasse gebeten. Doch damit fängt der Spaß erst an: Für den persönlichen Stempel und ein Unikat nach Maß sind keine Grenzen gesetzt. Allein eine Lackierung nach persönlichen Wünschen kann mit ein paar Tausendern zu Buche schlagen.

"Das Lebensgefühl ist unbezahlbar", weiß nicht nur Andrea Geyer. Den Motorradführerschein machte sie mit 17, und ihre glanzvolle Street Glide 103 hütet sie wie ihr allerbestes Stück. Apropos: Lebensgefährte Heiko fährt ebenfalls auf eine Harley ab. Allerdings nicht als Sozius, sondern auf eigenen zwei Rädern. "So ist das Glück perfekt", sagt die Frau mit der schicken Kutte und dem Tiger auf der Lederhose. Dann setzt sie ihren Helm auf, startet die Maschine und brummt los. Harleyluja!